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Endlich gibt es eine Oberlandesgerichtsentscheidung zu der vieldiskutierten Frage der Regressfähigkeit von Unternehmensgeldbußen. Das OLG Düsseldorf entschied in seiner kürzlich ergangenen Entscheidung vom 27.07.2023 (Az. 6 U 1/22, NWB 2023, 2214), dass Vorstände und Geschäftsführer nicht persönlich für Kartellbußen eines Unternehmens haften. Damit bestätigt der 6. Kartellsenat die erstinstanzliche Entscheidung des LG Düsseldorf vom 10.12.2021 (Az. 37 O 66/20). Auch wenn noch nicht alle diesbezüglichen Fragen geklärt sind und eine mögliche Revision zum BGH noch aussteht, dürfte das Urteil bereits jetzt weitreichende Implikationen über die kartellrechtliche Praxis hinaus haben. 

Hintergrund

Die bisher höchstrichterlich ungeklärte Frage, ob Vorstände und Geschäftsführer persönlich für Unternehmensgeldbußen haften, wird in der Praxis spätestens seit dem sog. Schienenkartellverfahren kontrovers diskutiert. Nach Urteilen des ArbG Essen (Urt. v. 19.12.2013, NZKart 2014, 193 ff.) und des LAG Düsseldorf (Urt. v. 20.01.2015, NZKart 2015, 277 ff.), die beide eine Regressfähigkeit von kartellrechtlichen Unternehmensgeldbußen ablehnten, blieb seinerzeit die mit Spannung erwartete Entscheidung des BAG aus, da die Arbeitsgerichte nicht für kartellrechtliche Fragen zuständig seien (Urt. v. 29.06.2017, NJW 2018, 184 ff.). Mit Blick auf die teils exorbitant hohen Verbandsbußen hat die Rechtsfrage sowohl für die kartellbeteiligten Unternehmen als auch für die Organe eine enorme wirtschaftliche Tragweite bzw. für Letztere – je nach Eingreifen und Höhe einer D&O-Versicherung – sogar existenzielle Bedeutung. 

Nun kommt wieder Bewegung in die Sache: Zuletzt hatte noch das LG Dortmund in einem Hinweisbeschluss die Auffassung vertreten, dass eine Gesellschaft ihren Geschäftsführer auf Ersatz des Schadens in Anspruch nehmen kann, der ihr dadurch entstanden ist, dass er an einem der Gesellschaft zurechenbaren Kartellverstoß mitgewirkt hat. Dies schließe Bußgelder ebenso ein, wie Schadensersatzforderungen Dritter (vgl. LG Dortmund, Hinweisbeschluss vom 07.06.2023 – Az. 8 O 5/22 Kart, NZKart 2023, 443). Das OLG Düsseldorf hat nun in einem anderen Verfahren die gegenteilige Auffassung vertreten.

Sachverhalt vor dem OLG Düsseldorf

In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit verklagten zwei konzernrechtlich verbundene Edelstahlunternehmen, eine AG und eine GmbH, ihren ehemaligen Vorstandsvorsitzenden bzw. Geschäftsführer, weil er sich in diesen Funktionen an einem Edelstahlkartell beteiligt habe. Der Beklagte hatte regelmäßig am Austausch wettbewerblich sensibler Informationen teilgenommen, unter anderem als Vorstandsvorsitzender eines maßgeblichen Branchenverbandes.

In einem eingeleiteten Bußgeldverfahren verhängte das Bundeskartellamt diverse Geldbußen in Höhe von ca. 355 Mio. Euro, unter anderem gegen die GmbH und den Geschäftsleiter persönlich. Die AG wurde mit Blick auf die bereits gegen die GmbH verhängte Geldbuße mit keiner weiteren Geldbuße belegt. 

Die GmbH verlangte vom Beklagten Schadenersatz in Höhe des gegen sie festgesetzten Bußgeldes, während die AG die Erstattung von Rechtsanwalts- und Aufklärungskosten einforderte. Beide Gesellschaften klagten zudem auf Feststellung, dass der Beklagte für zukünftige Schäden, die ihnen aus dem Edelstahlkartell entstehen können, verantwortlich sei.

Das LG Düsseldorf hatte in seinem erstinstanzlichen Urteil vom 10.12.2021 (Az. 37 O 66/20) entschieden, dass den Klägerinnen weder Ersatz für die Unternehmensgeldbuße noch für die aufgewandten Rechtsanwalts- und Aufklärungskosten zustünde. Der Beklagte hafte lediglich für Folgeschäden, die den Gesellschaften aufgrund von Ansprüchen Dritter entstehen sollten. 

Kernpunkte der Entscheidung des OLG Düsseldorf

Der 6. Kartellsenat des OLG Düsseldorf bestätigte nunmehr diese Entscheidung unter ausführlicher Abwägung der Ansichten, die für bzw. wider eine Regressfähigkeit von Unternehmensgeldbußen streiten. Dabei hebt der Senat zunächst hervor, dass die von Befürwortern einer Regressfähigkeit teils entwickelten Ansätze zur Begründung einer Haftungsbegrenzung de lege lata nicht zu überzeugen vermögen. Das Gericht nimmt vielmehr eine teleologische Reduktion der maßgeblichen Binnenhaftungsnormen im Aktienrecht (§ 93 Abs. 2 AktG) und GmbH-Recht (§ 43 Abs. 2 GmbHG) vor. Begründet wird dies im Ausgangspunkt mit den Besonderheiten der Verbandsgeldbuße, deren abschließender sanktionsrechtlicher Charakter einen Regress ausschließe. Dies gelte in besonderem Maße unter Berücksichtigung des speziellen kartellrechtlichen Sanktionssystems, nach der getrennte Bußgelder gegen die Unternehmen und die handelnden Personen festgesetzt werden können, wobei das Gesetz einen unterschiedlichen Bußgeldrahmen und Bußgeldzumessungsgesichtspunkten vorsieht. Gerade weil die getrennten Bußgeldvorschriften der Höhe nach unterschiedliche Bußgeldrahmen für Unternehmen und ihre Verantwortlichen vorsehen, dürfe diese Wertung nicht untergraben werden. Zum anderen sieht der Senat den Sanktionszweck der Unternehmensgeldbuße gefährdet, sofern der Gesellschaft die Regressmöglichkeit gegenüber ihren Geschäftsleitern offen stünde. Insbesondere, wenn für Vorstände und Geschäftsführer eine D&O-Versicherung mit einer ausreichenden Deckungssumme eingreife, liefe die beabsichtigte Sanktionierung leer. 

Die Rechtsanwalts- und Aufklärungskosten könnten der AG nicht erstattet werden, da diese im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bußgeldverfahren stünden. Der 6. Kartellsenat betont aber, dass eine Haftung des Beklagten für zivilrechtliche Ansprüche Dritter dem Grunde nach bestünde.

Praxisfolgen

Da die umstrittene Frage, ob Vorstände und Geschäftsführer persönlich für Geldbußen eines Unternehmens haften, nach wie vor nicht höchstrichterlich entschieden wurde, ließ das OLG Düsseldorf die Revision zum BGH zu. 

Mit Blick auf die hohen Verbandsgeldbußen würde eine Entscheidung des BGH jedenfalls für den Bereich des Kartellrechts für viele Unternehmen und Geschäftsleiter eine zu begrüßende Rechtssicherheit bringen, was auch im Sinne von Aufsichtsräten wäre, die aufgrund ihrer Verpflichtung zur Verfolgung durchsetzbarer Ansprüche gegenüber Vorständen eigenen Haftungsrisiken ausgesetzt sind. Das Urteil des OLG Düsseldorf bedient sich dabei einer nachvollziehbaren Argumentation, die bis auf Weiteres für die Regressfähigkeit von Kartellgeldbußen als herrschend anzusehen ist und deren Argumente sich auch auf andere Bußgelder erstrecken lässt.

Mit Spannung darf daher nicht nur die Entscheidung des BGH, sondern auch die konkrete Begründung erwartet werden. Diese wird entscheidend für die Frage sein, ob die Frage der Regressfähigkeit von Bußgeldern nur für das Kartellrecht oder auch darüber hinaus als geklärt angesehen werden darf. Denn das OLG Düsseldorf leitet die teleologische Reduktion zwar im Ausgangspunkt aus dem (auf andere Bußgelder übertragbaren) Gedanken eines sanktionsrechtlichen Charakters der Verbandsgeldbuße her, argumentiert aber sodann in besonderem Maße mit den vorstehend beschriebenen Besonderheiten des kartellrechtlichen Sanktionssystems. Da der OLG-Senat sich dabei auch mit der von den Befürwortern des Binnenregresses zur Stützung ihrer Auffassung herangezogenen Rechtsprechung des BGH zu den sog. Beraterfällen auseinandergesetzt hat (hier wird die Regressfähigkeit von Verbandsgeldbußen nach § 30 OWiG gegen Berater bejaht), besteht die begründete Hoffnung, dass eine BGH-Entscheidung in dieser Sache eine umfassende Klärung und ggf. Abgrenzung zur bisherigen Rechtsprechung bringt. 

Gerne stehen wir Ihnen für Fragen, einen gedanklichen Austausch oder rechtliche Beratung in diesem Zusammenhang zur Verfügung.

OLG Düsseldorf: Keine persönliche Haftung von Vorständen und Geschäftsführern für Unternehmenskartellbußen

Endlich gibt es eine Oberlandesgerichtsentscheidung zu der vieldiskutierten Frage der Regressfähigkeit von Unternehmensgeldbußen. Das OLG Düsseldorf entschied in seiner kürzlich ergangenen Entscheidung vom 27.07.2023 (Az. 6 U 1/22, NWB 2023, 2214), dass Vorstände und Geschäftsführer nicht persönlich für Kartellbußen eines Unternehmens haften. Damit bestätigt der 6. Kartellsenat die erstinstanzliche Entscheidung des LG Düsseldorf vom 10.12.2021 (Az. 37 O 66/20). Auch wenn noch nicht alle diesbezüglichen Fragen geklärt sind und eine mögliche Revision zum BGH noch aussteht, dürfte das Urteil bereits jetzt weitreichende Implikationen über die kartellrechtliche Praxis hinaus haben. 

Hintergrund

Die bisher höchstrichterlich ungeklärte Frage, ob Vorstände und Geschäftsführer persönlich für Unternehmensgeldbußen haften, wird in der Praxis spätestens seit dem sog. Schienenkartellverfahren kontrovers diskutiert. Nach Urteilen des ArbG Essen (Urt. v. 19.12.2013, NZKart 2014, 193 ff.) und des LAG Düsseldorf (Urt. v. 20.01.2015, NZKart 2015, 277 ff.), die beide eine Regressfähigkeit von kartellrechtlichen Unternehmensgeldbußen ablehnten, blieb seinerzeit die mit Spannung erwartete Entscheidung des BAG aus, da die Arbeitsgerichte nicht für kartellrechtliche Fragen zuständig seien (Urt. v. 29.06.2017, NJW 2018, 184 ff.). Mit Blick auf die teils exorbitant hohen Verbandsbußen hat die Rechtsfrage sowohl für die kartellbeteiligten Unternehmen als auch für die Organe eine enorme wirtschaftliche Tragweite bzw. für Letztere – je nach Eingreifen und Höhe einer D&O-Versicherung – sogar existenzielle Bedeutung. 

Nun kommt wieder Bewegung in die Sache: Zuletzt hatte noch das LG Dortmund in einem Hinweisbeschluss die Auffassung vertreten, dass eine Gesellschaft ihren Geschäftsführer auf Ersatz des Schadens in Anspruch nehmen kann, der ihr dadurch entstanden ist, dass er an einem der Gesellschaft zurechenbaren Kartellverstoß mitgewirkt hat. Dies schließe Bußgelder ebenso ein, wie Schadensersatzforderungen Dritter (vgl. LG Dortmund, Hinweisbeschluss vom 07.06.2023 – Az. 8 O 5/22 Kart, NZKart 2023, 443). Das OLG Düsseldorf hat nun in einem anderen Verfahren die gegenteilige Auffassung vertreten.

Sachverhalt vor dem OLG Düsseldorf

In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit verklagten zwei konzernrechtlich verbundene Edelstahlunternehmen, eine AG und eine GmbH, ihren ehemaligen Vorstandsvorsitzenden bzw. Geschäftsführer, weil er sich in diesen Funktionen an einem Edelstahlkartell beteiligt habe. Der Beklagte hatte regelmäßig am Austausch wettbewerblich sensibler Informationen teilgenommen, unter anderem als Vorstandsvorsitzender eines maßgeblichen Branchenverbandes.

In einem eingeleiteten Bußgeldverfahren verhängte das Bundeskartellamt diverse Geldbußen in Höhe von ca. 355 Mio. Euro, unter anderem gegen die GmbH und den Geschäftsleiter persönlich. Die AG wurde mit Blick auf die bereits gegen die GmbH verhängte Geldbuße mit keiner weiteren Geldbuße belegt. 

Die GmbH verlangte vom Beklagten Schadenersatz in Höhe des gegen sie festgesetzten Bußgeldes, während die AG die Erstattung von Rechtsanwalts- und Aufklärungskosten einforderte. Beide Gesellschaften klagten zudem auf Feststellung, dass der Beklagte für zukünftige Schäden, die ihnen aus dem Edelstahlkartell entstehen können, verantwortlich sei.

Das LG Düsseldorf hatte in seinem erstinstanzlichen Urteil vom 10.12.2021 (Az. 37 O 66/20) entschieden, dass den Klägerinnen weder Ersatz für die Unternehmensgeldbuße noch für die aufgewandten Rechtsanwalts- und Aufklärungskosten zustünde. Der Beklagte hafte lediglich für Folgeschäden, die den Gesellschaften aufgrund von Ansprüchen Dritter entstehen sollten. 

Kernpunkte der Entscheidung des OLG Düsseldorf

Der 6. Kartellsenat des OLG Düsseldorf bestätigte nunmehr diese Entscheidung unter ausführlicher Abwägung der Ansichten, die für bzw. wider eine Regressfähigkeit von Unternehmensgeldbußen streiten. Dabei hebt der Senat zunächst hervor, dass die von Befürwortern einer Regressfähigkeit teils entwickelten Ansätze zur Begründung einer Haftungsbegrenzung de lege lata nicht zu überzeugen vermögen. Das Gericht nimmt vielmehr eine teleologische Reduktion der maßgeblichen Binnenhaftungsnormen im Aktienrecht (§ 93 Abs. 2 AktG) und GmbH-Recht (§ 43 Abs. 2 GmbHG) vor. Begründet wird dies im Ausgangspunkt mit den Besonderheiten der Verbandsgeldbuße, deren abschließender sanktionsrechtlicher Charakter einen Regress ausschließe. Dies gelte in besonderem Maße unter Berücksichtigung des speziellen kartellrechtlichen Sanktionssystems, nach der getrennte Bußgelder gegen die Unternehmen und die handelnden Personen festgesetzt werden können, wobei das Gesetz einen unterschiedlichen Bußgeldrahmen und Bußgeldzumessungsgesichtspunkten vorsieht. Gerade weil die getrennten Bußgeldvorschriften der Höhe nach unterschiedliche Bußgeldrahmen für Unternehmen und ihre Verantwortlichen vorsehen, dürfe diese Wertung nicht untergraben werden. Zum anderen sieht der Senat den Sanktionszweck der Unternehmensgeldbuße gefährdet, sofern der Gesellschaft die Regressmöglichkeit gegenüber ihren Geschäftsleitern offen stünde. Insbesondere, wenn für Vorstände und Geschäftsführer eine D&O-Versicherung mit einer ausreichenden Deckungssumme eingreife, liefe die beabsichtigte Sanktionierung leer. 

Die Rechtsanwalts- und Aufklärungskosten könnten der AG nicht erstattet werden, da diese im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bußgeldverfahren stünden. Der 6. Kartellsenat betont aber, dass eine Haftung des Beklagten für zivilrechtliche Ansprüche Dritter dem Grunde nach bestünde.

Praxisfolgen

Da die umstrittene Frage, ob Vorstände und Geschäftsführer persönlich für Geldbußen eines Unternehmens haften, nach wie vor nicht höchstrichterlich entschieden wurde, ließ das OLG Düsseldorf die Revision zum BGH zu. 

Mit Blick auf die hohen Verbandsgeldbußen würde eine Entscheidung des BGH jedenfalls für den Bereich des Kartellrechts für viele Unternehmen und Geschäftsleiter eine zu begrüßende Rechtssicherheit bringen, was auch im Sinne von Aufsichtsräten wäre, die aufgrund ihrer Verpflichtung zur Verfolgung durchsetzbarer Ansprüche gegenüber Vorständen eigenen Haftungsrisiken ausgesetzt sind. Das Urteil des OLG Düsseldorf bedient sich dabei einer nachvollziehbaren Argumentation, die bis auf Weiteres für die Regressfähigkeit von Kartellgeldbußen als herrschend anzusehen ist und deren Argumente sich auch auf andere Bußgelder erstrecken lässt.

Mit Spannung darf daher nicht nur die Entscheidung des BGH, sondern auch die konkrete Begründung erwartet werden. Diese wird entscheidend für die Frage sein, ob die Frage der Regressfähigkeit von Bußgeldern nur für das Kartellrecht oder auch darüber hinaus als geklärt angesehen werden darf. Denn das OLG Düsseldorf leitet die teleologische Reduktion zwar im Ausgangspunkt aus dem (auf andere Bußgelder übertragbaren) Gedanken eines sanktionsrechtlichen Charakters der Verbandsgeldbuße her, argumentiert aber sodann in besonderem Maße mit den vorstehend beschriebenen Besonderheiten des kartellrechtlichen Sanktionssystems. Da der OLG-Senat sich dabei auch mit der von den Befürwortern des Binnenregresses zur Stützung ihrer Auffassung herangezogenen Rechtsprechung des BGH zu den sog. Beraterfällen auseinandergesetzt hat (hier wird die Regressfähigkeit von Verbandsgeldbußen nach § 30 OWiG gegen Berater bejaht), besteht die begründete Hoffnung, dass eine BGH-Entscheidung in dieser Sache eine umfassende Klärung und ggf. Abgrenzung zur bisherigen Rechtsprechung bringt. 

Gerne stehen wir Ihnen für Fragen, einen gedanklichen Austausch oder rechtliche Beratung in diesem Zusammenhang zur Verfügung.

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