Nachdem wir uns im ersten Teil unserer Reihe damit befasst haben, inwieweit der Arbeitgeber die Anwesenheit und insbesondere die Mitgliederwerbung der Gewerkschaft in seinem Betrieb – sowohl in physischer als in digitaler Form – dulden muss, wenden wir uns im zweiten Teil der Rolle des Betriebsrats im tariflichen Umfeld zu.
Insbesondere während laufender Tarifverhandlungen stellt sich regelmäßig die Frage, inwiefern der Betriebsrat seine Stellung im Betrieb nutzen kann, um als „verlängerter Arm“ der Gewerkschaft aktiv ins Geschehen einzugreifen. Ist der Betriebsrat zur Wahrnehmung gewerkschaftlicher Tätigkeiten berechtigt? Unter welchen Voraussetzungen kommen der Gewerkschaft eigenständige betriebsverfassungsrechtliche Befugnisse zu?
1. Unterschiedliche Zuständigkeiten
Dem Betriebsrat kommen gemäß den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) zwingende Mitbestimmungsrechte in diversen Bereichen, wie z.B. Arbeitszeit, betriebliche Lohngestaltung oder der betrieblichen Ordnung, zu. Der Betriebsrat regelt das allgemeine Tagesgeschäft mit dem Arbeitgeber.
Die Gewerkschaft hat hingegen eine übergeordnete Funktion, ihr Wirkungsbereich ist nicht auf den jeweiligen Betrieb beschränkt. Sie vertritt die Interessen der Arbeitnehmer unternehmensübergreifend bzw. für bestimmte Branchen und verfügt damit über mehr Verhandlungsmacht als ein Betriebsrat. Gewerkschaften spielen eine zentrale Rolle bei Tarifverhandlungen und der Aushandlung von Tarifverträgen.
2. Rolle des Betriebsrats in tariflichen Auseinandersetzungen: Friedenspflicht und Neutralitätsgebot
Der Betriebsrat ist zur (gewerkschafts-)neutralen Amtsführung verpflichtet und hat Maßnahmen zu unterlassen, die den Betriebsfrieden beeinträchtigen können. Das beinhaltet insbesondere Maßnahmen des Arbeitskampfes. Der Betriebsrat darf sachlich über den Stand von Tarifverhandlungen informieren und diese inhaltlich bewerten. Die Grenze zulässigen Handelns ist überschritten, sobald der Betriebsrat gewerkschaftsähnliche Tätigkeiten aufnimmt und sich aktiv in den Arbeitskampf einmischt.
a. Welche Handlungen des Betriebsrats im Rahmen von Tarifverhandlungen/Arbeitskämpfen sind zulässig? Was hat der Arbeitgeber zu dulden? Was geht zu weit?
+ Sachliche Information über Tarifvertragsverhandlungen: Der Betriebsrat darf die Arbeitnehmer sachlich über den Stand von Tarifverhandlungen informieren und sie über den weiteren Gang der Verhandlungen auf dem Laufenden halten.
+ Ankündigung der Teilnahme von Gewerkschaftsmitgliedern auf der Betriebsversammlung: Gewerkschaftsmitglieder können gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 BetrVG an Betriebsversammlungen teilnehmen und dürfen in diesem Rahmen selbst gewerkschaftlich tätig werden (vgl. nachfolgend Ziffer 3.). Der Betriebsrat darf vorab darüber informieren, wenn dies der Fall ist.
– Kein Streikaufruf oder mittelbare Unterstützungsleistungen zu Maßnahmen des Arbeitskampfes: Der Betriebsrat darf die Arbeitnehmer nicht zum Streik aufrufen. Ebenfalls unzulässig ist die Weitergabe von Informationen an Streikende, die der Betriebsrat aufgrund seiner gegenüber dem Arbeitgeber bestehenden Informationsansprüchen im Hinblick auf den Arbeitskampf erhalten hat.
– Keine Werbetätigkeit für die Gewerkschaft mit betrieblichen Mitteln: Der Betriebsrat darf im Rahmen seiner Sprechstunde nicht für eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft werben. Er darf seine dienstliche E-Mail-Adresse auch nicht zur Weiterleitung von gewerkschaftlichem Werbematerial benutzen.
– Kein Aufruf zum Eintritt in die Gewerkschaft: Die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ist freiwillig. Der Betriebsrat darf keinen mittelbaren Zwang für die Arbeitnehmer begründen, in eine Gewerkschaft einzutreten.
b. Achtung: Gewerkschaftliche Betätigung als Betriebsratsmitglied oder als Arbeitnehmer?
Betriebsratsmitglieder sind neben ihrer Funktion als Betriebsratsmitglied noch immer Arbeitnehmer. Das Verbot einer gewerkschaftlichen Betätigung gilt nur für ein „offizielles“ Handeln als Mitglied des Betriebsrats, in der Funktion als Arbeitnehmer ist dies zulässig. Es muss daher immer danach differenziert werden, in welcher Funktion die gewerkschaftliche Betätigung erfolgt.
c. Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers
Wenn Betriebsräte die Spielregeln missachten, muss der Arbeitgeber nicht zusehen. Denkbar sind folgende Schritte als Reaktion auf ein Fehlverhalten des Betriebsrats oder einzelner Mitglieder:
- Unterlassungsanspruch: Der Arbeitgeber muss nicht dulden, dass der Betriebsrat betriebliche Mittel zur Unterstützung der Gewerkschaft im Arbeitskampf nutzt. Er kann entsprechende Aktivitäten gerichtlich untersagen lassen.
- Beantragung des Ausschlusses eines bestimmten Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsrat oder der Auflösung des Betriebsrats: Die Entscheidung kann nur durch das Arbeitsgericht getroffen werden und erfordert einen besonders gravierenden Pflichtverstoß. Insbesondere bei wiederholten Pflichtverstößen ist dies durchaus denkbar.
3. Rechte der Gewerkschaft auf einer Betriebsversammlung
Gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 BetrVG können Beauftragte der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft beratend an Betriebsversammlungen teilnehmen. Aus diesem Teilnahmerecht folgt ein Zutrittsrecht der Gewerkschaftsvertreter zum Betrieb und ein Rederecht auf der Betriebsversammlung. Das Rederecht beschränkt sich auf die vorgegebene Tagesordnung für die Betriebsversammlung. Die Gewerkschaftsmitglieder sind „Gäste“ im Betrieb und haben sich an betriebliche Regelungen – insbesondere die Friedenspflicht und das Neutralitätsgebot – zu halten.
Unzulässig sind insbesondere: Streikaufrufe, Mitgliederwerbung während der Betriebsversammlung oder sonstige Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, den Betriebsfrieden zu gefährden, z.B. bewusste Provokationen, Verbreitung bewusster oder ungeprüfter Unwahrheiten über den Arbeitgeber.
Reaktionsmöglichkeiten bei Pflichtverstößen der Gewerkschaftsmitglieder
Da die Betriebsversammlung durch den Betriebsrat einberufen wird, hat dieser die Leitung über die Betriebsversammlung. Wird die Versammlungsleitung bei Pflichtverstößen der Gewerkschaftsvertreter nicht tätig, kann ihr Ausschluss aus dem Betriebsrat beantragt werden. In Ausnahmefällen steht dem Arbeitgeber ein eigener Unterlassungsanspruch gegen den Gewerkschaftsvertreter oder die Gewerkschaft zu.
Im dritten Teil unserer Beitragsserie werden wir uns mit den Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei einem drohenden Arbeitskampf auseinandersetzen. Darf der Arbeitgeber Arbeitnehmer, die an einem Streik teilnehmen, aussperren oder sogar den Betrieb gänzlich stilllegen, um so das Risiko von Annahmeverzugslohnansprüchen zu vermeiden? Unter welchen Voraussetzungen kann eine Streikbruchprämie ausgelobt werden und inwiefern steht dem Betriebsrat hierbei ein Mitbestimmungsrecht zu?