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29. Januar 2025

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Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst haben begonnen. Erhebliche Forderungen treffen auf leere Kassen des Bundes und der Kommunen. Die erste Verhandlungsrunde am 24.01.2025 hat – wenig überraschend – zu keinem Ergebnis geführt. Es ist mit zähen Verhandlungen zu rechnen, Warnstreiks sind nicht ausgeschlossen. Feststeht aber: Die Ergebnisse dieser Tarifverhandlungen haben unmittelbare Bedeutung für die Arbeitsverhältnisse von rund 130.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Bundes und mehr als 2,6 Millionen der Kommunalen Arbeitgeberverbände. Es geht um viel und beide Seiten werden nach allen Regeln der Verhandlungskunst um einen aus ihrer Sicht vertretbaren Kompromiss verhandeln und kämpfen. Das ist so normal wie in Ordnung, solange sich die gewerkschaftlichen Aktivitäten im Rahmen des rechtlich Zulässigen abspielen. Genau bei dieser Frage beginnt aber häufig die Unsicherheit. Wir wollen deshalb die aktuellen Tarifverhandlungen des öffentlichen Diensts als Aufhänger nutzen und Ihnen im Rahmen einer vierteiligen Beitragsserie einen praktischen Einblick in das Thema Tarifverhandlungen gewähren. Dabei werden wir uns mit vier großen Themenblöcken beschäftigen:

I. Gewerkschaftliche Aktivitäten im Betrieb bzw. Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb (brandaktuell dazu die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.01.2025 zum digitalen Zutrittsrecht)

II. Rolle des Betriebsrats während Tarifverhandlungen und tariflicher Auseinandersetzungen

III. Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei (drohendem) Arbeitskampf

IV. Spielregeln während eines Arbeitskampfes

    Im ersten Teil unserer Serie soll es um die gewerkschaftlichen Aktivitäten im Betrieb und insbesondere um das Zugangsrecht einer Gewerkschaft zum Betrieb gehen. Für die Gewerkschaften ist ein Zugang zum Betrieb überlebensnotwendig, denn in Zeiten allgemein rückläufiger Mitgliederzahlen ist es von besonderer Bedeutung, dass die Gewerkschaften im Betrieb, vor allem neben einem bestehenden Betriebsrat, als relevanter Player wahrgenommen werden. Um der grundrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit effektiv nachkommen zu können, haben die Gewerkschaften ein Zugangsrecht zum Betrieb, das unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) folgt. Typischerweise berührt aber das gewerkschaftliche Recht auf koalitionsmäßige Betätigung im Betrieb sehr schnell den Wunsch des Arbeitgebers nach einem ungestörten Betriebsablauf. Oft ist es auch ein emotionales Thema, wenn „die Gewerkschaft im Unternehmen für Unruhe sorgt.“ Insbesondere in Konstellationen, in denen sich eine Gewerkschaft im Betrieb noch nicht sehr stark machen konnte, werden gewerkschaftliche Aktivitäten vom Arbeitgeber sehr kritisch gesehen. Hierbei stellt sich die Frage, inwiefern der Arbeitgeber verpflichtet ist, der Gewerkschaft „Tür und Tor“ zu öffnen und an welchen Stellen er der Gewerkschaft zulässigerweise Grenzen setzen darf, um den ordnungsgemäßen Betriebsablauf sicherstellen zu können.

    Aufgrund dieser entgegengesetzten Interessen sind viele Einzelheiten rund um das physische oder digitale Zugangsrecht der Gewerkschaft zum Betrieb umstritten. Dennoch lassen sich allgemeine Erwägungen und Leitplanken erkennen und im Alltag nutzen – nicht zuletzt nach einer erfreulichen und überaus aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.01.2025:

    1. Klassisch: Das physische Zutrittsrecht der Gewerkschaft zum Betrieb

            Gewerkschaftsvertreter haben ein physisches Zugangsrecht zum Betrieb. Sie dürfen vor Ort Mitgliederwerbung betreiben (Aufhängen von Plakaten am schwarzen Brett, Verteilung von Flyern, Durchführung von Informationsveranstaltungen während der Pausen oder außerhalb der Arbeitszeit, Ansprache von Arbeitnehmern). Außerdem dürfen Gewerkschaftsvertreter gem. § 43 BetrVG an Betriebsversammlungen teilnehmen und auf Betriebsversammlungen sprechen. Es entspricht der herrschenden Meinung, dass die Gewerkschaft auf Grund des erwähnten Zugangsrechts nicht darauf verwiesen werden kann, nur außerhalb des Betriebs zu werben, indem sie Arbeitnehmer vor Betreten oder nach Verlassen des Betriebs, also in der Freizeit, ansprechen muss. Die Rechtsprechung geht sogar vom Gegenteil aus: Eine Gewerkschaft kann grundsätzlich selbst darüber entscheiden, ob, wann, wo und wie sie Mitgliederwerbung konkret durchführt. Das Zugangsrecht erstreckt sich nach herrschender Meinung auch auf betriebsfremde Personen. Das bedeutet, dass die Gewerkschaftsvertreter, die im Betrieb aktiv werden, nicht zwingend Arbeitnehmer des Arbeitgebers sein müssen. Entgegenstehende Interessen des Arbeitgebers (Sicherheitsaspekte, Geheimhaltung) sind aber zu beachten.

            2. Moderner: Das digitale Zugangsrecht der Gewerkschaften

            Da sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung fortlaufend ändert und die unternehmensinterne Kommunikation in den digitalen Bereich verlagert wird, stellt sich in der betrieblichen Praxis immer häufiger die Frage, ob und wie die Gewerkschaften ihr Zugangsrecht zum Betrieb auch in digitaler Form ausüben können. Obwohl das Internet auch für die Rechtsprechung kein Neuland mehr ist, ist dennoch vieles umstritten und anhand des Einzelfalls zu beurteilen. Ein allgemeines Streikgesetz kennt das deutsche Arbeitsrecht nicht und auch sonst fehlen – mit wenigen Ausnahmen – gesetzliche Regelungen. Daher werden alle Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Gewerkschaften unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitet. Es kommt also immer auf eine Einzelfallentscheidung und die Abwägung der widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und Gewerkschaft an. Mit einem Blick auf die Praxis lassen sich folgende Fallgruppen unterscheiden und bewerten:

            • Ganz frisch aus Erfurt: Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, der Gewerkschaft die dienstlichen E-Mail-Adressen aller Arbeitnehmer (aktuelle und Neueintritte) zu überlassen. Aktuell und erfreulich klar hat das Bundesarbeitsgericht am 28.01.2025 die entsprechende Ansicht des LAG Nürnberg bestätigt. Art. 9 Abs. 3 GG begründet keinen derartigen Anspruch der Gewerkschaft, weil das Interesse der Gewerkschaft an Mitgliederwerbung hinter den berechtigten Interessen des Arbeitgebers zurücksteht (Bundesarbeitsgericht vom 28.01.2025 – 1 AZR 33/24; zur Pressemitteilung des BAG geht es hier.) Die Gewerkschaft hat auch keinen Anspruch auf Nutzung eines konzernweiten Netzwerks, zB. Viva Engange.
            • Versand von gewerkschaftlichen Emails an bekannte dienstliche Mailadressen durch die Gewerkschaft ist grundsätzlich zulässig: Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts und eines Teils der Literatur ist die Beeinträchtigung, die der Arbeitgeber durch den bloßen Empfang solcher E–Mails über seine Server erfährt, meist so gering, dass das Interesse des Arbeitgebers am Schutz seines Eigentums hinter dem Betätigungsrecht der Gewerkschaft zurückzutreten hat. Dies kann allerdings nur gelten, wenn eine Beeinträchtigung des Betriebsablaufs und der Arbeit der Empfänger, also der Arbeitnehmer, dadurch ausgeschlossen wird. Kommt es nach dem Versand einer gewerkschaftlichen E-Mail zu lebhaften Diskussionen auf den Fluren und wird die Arbeit dadurch unterbrochen, wird der Arbeitgeber dies nicht akzeptieren müssen. Die Gewerkschaft darf werben und informieren, sie steht aber grundsätzlich außerhalb des Betriebs und kann betriebliche Mittel nicht nutzen, um hierdurch in den ordnungsgemäßen Betriebsablauf einzugreifen. Auch darf es durch den Versand nicht zu technischen Störungen kommen, wenn zum Beispiel die IT-Sicherheitssysteme des Arbeitgebers auf dem Empfang von Massenemails reagieren und eine vermeintliche Bedrohung erkennen. Sind der Gewerkschaft die privaten Mailadressen bekannt (dies wird zumindest bei ihren Mitgliedern der Fall sein), kann von der Gewerkschaft verlangt werden, dass der Versand von Gewerkschaftsemails an die private Adresse erfolgt.
            • Unzulässig ist laut BAG aber jedenfalls der Streikaufruf per Mail (BAG, Urteil 15.10.2013 – 1 ABR 31/12). Mitgliederwerbung und Streikaufruf sind verschiedene Formen der gewerkschaftlichen Aktivität und haben eine komplett andere Eingriffsintensität. Daher muss der Arbeitgeber nicht dulden, dass über seine IT-Infrastruktur zur Arbeitsniederlegung aufgerufen wird.
            • Keine Weiterleitung von Gewerkschaftsmails durch den Arbeitgeber an alle Arbeitnehmer: Eine Pflicht zur Weiterleitung von Gewerkschaftsmails an die gesamte Belegschaft durch den Arbeitgeber besteht nicht. Der Arbeitgeber muss gewerkschaftliche Aktivitäten im Rahmen einer Einzelfallabwägung zwar im Einzelfall dulden, eine aktive Mitwirkungspflicht kann ihm nicht abverlangt werden, insbesondere wenn die Gewerkschaft über andere Wege mit den Arbeitnehmern kommunizieren kann.
            • Ein Anspruch der Gewerkschaft auf Schaffung eines eigenen Auftritts im Intranet ist im Rahmen der Interessenabwägung ebenfalls zu verneinen. Diese Wertung passt zur grundsätzlichen Argumentation des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung zur Herausgabe der Mailadressen (Pressemitteilung vom 28.01.2025 – 1 AZR 33/24). Der Administrationsaufwand einer solchen Seite ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Rechtsposition des Arbeitgebers; auch muss es der Arbeitgeber schon aus Gründen der IT-Sicherheit nicht dulden, dass ein (möglicherweise betriebsfremder) Gewerkschaftsvertreter die Intranet-Seite über die IT-Infrastruktur des Arbeitgebers administriert. Das Intranet ist keine digitale Form des Schwarzen Bretts und auch wenn die Gewerkschaft am Schwarzen Brett Plakate zweifellos aufhängen darf, gilt dies nicht automatisch für die digitale Welt. Auch eine Pflicht zur Verlinkung der Gewerkschaftswebsite im unternehmenseigenen Intranet will das Bundesarbeitsgericht nicht annehmen (BAG, Pressemitteilung vom 28.01.2025 – 1 AZR 33/24)

            Aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müssen sich die Gewerkschaften überwiegend auf ihr physisches Zugangsrecht zum Betrieb konzentrieren. Einem digitalen Zugangsrecht zum Betrieb hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 28.01.2025 eine klare Absage erteilt. Dies wird bereits aus der Pressemitteilung deutlich. Erwartbar ist jetzt der Ruf der Gewerkschaften nach Hilfe durch den Gesetzgeber. Weiterhin gilt aber, dass die Fragen des digitalen Zugangsrechts überwiegend vom Einzelfall abhängen und daher jeder Einzelfall gesondert zu bewerten ist.

            Im zweiten Teil unserer Beitragsserie werden wir uns mit der Rolle des Betriebsrats im Umfeld tariflicher Auseinandersetzungen beschäftigen. Wie hat sich der Betriebsrat zu positionieren: Kann er als verlängerter Arm der Gewerkschaft agieren muss er eine neutrale Instanz bleiben?

            Das kleine Einmaleins: Tarifliche Auseinandersetzungen aus Arbeitgebersicht – Teil 1: Das Zutrittsrecht der Gewerkschaft zum Betrieb

            Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst haben begonnen. Erhebliche Forderungen treffen auf leere Kassen des Bundes und der Kommunen. Die erste Verhandlungsrunde am 24.01.2025 hat – wenig überraschend – zu keinem Ergebnis geführt. Es ist mit zähen Verhandlungen zu rechnen, Warnstreiks sind nicht ausgeschlossen. Feststeht aber: Die Ergebnisse dieser Tarifverhandlungen haben unmittelbare Bedeutung für die Arbeitsverhältnisse von rund 130.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Bundes und mehr als 2,6 Millionen der Kommunalen Arbeitgeberverbände. Es geht um viel und beide Seiten werden nach allen Regeln der Verhandlungskunst um einen aus ihrer Sicht vertretbaren Kompromiss verhandeln und kämpfen. Das ist so normal wie in Ordnung, solange sich die gewerkschaftlichen Aktivitäten im Rahmen des rechtlich Zulässigen abspielen. Genau bei dieser Frage beginnt aber häufig die Unsicherheit. Wir wollen deshalb die aktuellen Tarifverhandlungen des öffentlichen Diensts als Aufhänger nutzen und Ihnen im Rahmen einer vierteiligen Beitragsserie einen praktischen Einblick in das Thema Tarifverhandlungen gewähren. Dabei werden wir uns mit vier großen Themenblöcken beschäftigen:

            I. Gewerkschaftliche Aktivitäten im Betrieb bzw. Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb (brandaktuell dazu die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.01.2025 zum digitalen Zutrittsrecht)

            II. Rolle des Betriebsrats während Tarifverhandlungen und tariflicher Auseinandersetzungen

            III. Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei (drohendem) Arbeitskampf

            IV. Spielregeln während eines Arbeitskampfes

              Im ersten Teil unserer Serie soll es um die gewerkschaftlichen Aktivitäten im Betrieb und insbesondere um das Zugangsrecht einer Gewerkschaft zum Betrieb gehen. Für die Gewerkschaften ist ein Zugang zum Betrieb überlebensnotwendig, denn in Zeiten allgemein rückläufiger Mitgliederzahlen ist es von besonderer Bedeutung, dass die Gewerkschaften im Betrieb, vor allem neben einem bestehenden Betriebsrat, als relevanter Player wahrgenommen werden. Um der grundrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit effektiv nachkommen zu können, haben die Gewerkschaften ein Zugangsrecht zum Betrieb, das unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) folgt. Typischerweise berührt aber das gewerkschaftliche Recht auf koalitionsmäßige Betätigung im Betrieb sehr schnell den Wunsch des Arbeitgebers nach einem ungestörten Betriebsablauf. Oft ist es auch ein emotionales Thema, wenn „die Gewerkschaft im Unternehmen für Unruhe sorgt.“ Insbesondere in Konstellationen, in denen sich eine Gewerkschaft im Betrieb noch nicht sehr stark machen konnte, werden gewerkschaftliche Aktivitäten vom Arbeitgeber sehr kritisch gesehen. Hierbei stellt sich die Frage, inwiefern der Arbeitgeber verpflichtet ist, der Gewerkschaft „Tür und Tor“ zu öffnen und an welchen Stellen er der Gewerkschaft zulässigerweise Grenzen setzen darf, um den ordnungsgemäßen Betriebsablauf sicherstellen zu können.

              Aufgrund dieser entgegengesetzten Interessen sind viele Einzelheiten rund um das physische oder digitale Zugangsrecht der Gewerkschaft zum Betrieb umstritten. Dennoch lassen sich allgemeine Erwägungen und Leitplanken erkennen und im Alltag nutzen – nicht zuletzt nach einer erfreulichen und überaus aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.01.2025:

              1. Klassisch: Das physische Zutrittsrecht der Gewerkschaft zum Betrieb

                      Gewerkschaftsvertreter haben ein physisches Zugangsrecht zum Betrieb. Sie dürfen vor Ort Mitgliederwerbung betreiben (Aufhängen von Plakaten am schwarzen Brett, Verteilung von Flyern, Durchführung von Informationsveranstaltungen während der Pausen oder außerhalb der Arbeitszeit, Ansprache von Arbeitnehmern). Außerdem dürfen Gewerkschaftsvertreter gem. § 43 BetrVG an Betriebsversammlungen teilnehmen und auf Betriebsversammlungen sprechen. Es entspricht der herrschenden Meinung, dass die Gewerkschaft auf Grund des erwähnten Zugangsrechts nicht darauf verwiesen werden kann, nur außerhalb des Betriebs zu werben, indem sie Arbeitnehmer vor Betreten oder nach Verlassen des Betriebs, also in der Freizeit, ansprechen muss. Die Rechtsprechung geht sogar vom Gegenteil aus: Eine Gewerkschaft kann grundsätzlich selbst darüber entscheiden, ob, wann, wo und wie sie Mitgliederwerbung konkret durchführt. Das Zugangsrecht erstreckt sich nach herrschender Meinung auch auf betriebsfremde Personen. Das bedeutet, dass die Gewerkschaftsvertreter, die im Betrieb aktiv werden, nicht zwingend Arbeitnehmer des Arbeitgebers sein müssen. Entgegenstehende Interessen des Arbeitgebers (Sicherheitsaspekte, Geheimhaltung) sind aber zu beachten.

                      2. Moderner: Das digitale Zugangsrecht der Gewerkschaften

                      Da sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung fortlaufend ändert und die unternehmensinterne Kommunikation in den digitalen Bereich verlagert wird, stellt sich in der betrieblichen Praxis immer häufiger die Frage, ob und wie die Gewerkschaften ihr Zugangsrecht zum Betrieb auch in digitaler Form ausüben können. Obwohl das Internet auch für die Rechtsprechung kein Neuland mehr ist, ist dennoch vieles umstritten und anhand des Einzelfalls zu beurteilen. Ein allgemeines Streikgesetz kennt das deutsche Arbeitsrecht nicht und auch sonst fehlen – mit wenigen Ausnahmen – gesetzliche Regelungen. Daher werden alle Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Gewerkschaften unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitet. Es kommt also immer auf eine Einzelfallentscheidung und die Abwägung der widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und Gewerkschaft an. Mit einem Blick auf die Praxis lassen sich folgende Fallgruppen unterscheiden und bewerten:

                      • Ganz frisch aus Erfurt: Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, der Gewerkschaft die dienstlichen E-Mail-Adressen aller Arbeitnehmer (aktuelle und Neueintritte) zu überlassen. Aktuell und erfreulich klar hat das Bundesarbeitsgericht am 28.01.2025 die entsprechende Ansicht des LAG Nürnberg bestätigt. Art. 9 Abs. 3 GG begründet keinen derartigen Anspruch der Gewerkschaft, weil das Interesse der Gewerkschaft an Mitgliederwerbung hinter den berechtigten Interessen des Arbeitgebers zurücksteht (Bundesarbeitsgericht vom 28.01.2025 – 1 AZR 33/24; zur Pressemitteilung des BAG geht es hier.) Die Gewerkschaft hat auch keinen Anspruch auf Nutzung eines konzernweiten Netzwerks, zB. Viva Engange.
                      • Versand von gewerkschaftlichen Emails an bekannte dienstliche Mailadressen durch die Gewerkschaft ist grundsätzlich zulässig: Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts und eines Teils der Literatur ist die Beeinträchtigung, die der Arbeitgeber durch den bloßen Empfang solcher E–Mails über seine Server erfährt, meist so gering, dass das Interesse des Arbeitgebers am Schutz seines Eigentums hinter dem Betätigungsrecht der Gewerkschaft zurückzutreten hat. Dies kann allerdings nur gelten, wenn eine Beeinträchtigung des Betriebsablaufs und der Arbeit der Empfänger, also der Arbeitnehmer, dadurch ausgeschlossen wird. Kommt es nach dem Versand einer gewerkschaftlichen E-Mail zu lebhaften Diskussionen auf den Fluren und wird die Arbeit dadurch unterbrochen, wird der Arbeitgeber dies nicht akzeptieren müssen. Die Gewerkschaft darf werben und informieren, sie steht aber grundsätzlich außerhalb des Betriebs und kann betriebliche Mittel nicht nutzen, um hierdurch in den ordnungsgemäßen Betriebsablauf einzugreifen. Auch darf es durch den Versand nicht zu technischen Störungen kommen, wenn zum Beispiel die IT-Sicherheitssysteme des Arbeitgebers auf dem Empfang von Massenemails reagieren und eine vermeintliche Bedrohung erkennen. Sind der Gewerkschaft die privaten Mailadressen bekannt (dies wird zumindest bei ihren Mitgliedern der Fall sein), kann von der Gewerkschaft verlangt werden, dass der Versand von Gewerkschaftsemails an die private Adresse erfolgt.
                      • Unzulässig ist laut BAG aber jedenfalls der Streikaufruf per Mail (BAG, Urteil 15.10.2013 – 1 ABR 31/12). Mitgliederwerbung und Streikaufruf sind verschiedene Formen der gewerkschaftlichen Aktivität und haben eine komplett andere Eingriffsintensität. Daher muss der Arbeitgeber nicht dulden, dass über seine IT-Infrastruktur zur Arbeitsniederlegung aufgerufen wird.
                      • Keine Weiterleitung von Gewerkschaftsmails durch den Arbeitgeber an alle Arbeitnehmer: Eine Pflicht zur Weiterleitung von Gewerkschaftsmails an die gesamte Belegschaft durch den Arbeitgeber besteht nicht. Der Arbeitgeber muss gewerkschaftliche Aktivitäten im Rahmen einer Einzelfallabwägung zwar im Einzelfall dulden, eine aktive Mitwirkungspflicht kann ihm nicht abverlangt werden, insbesondere wenn die Gewerkschaft über andere Wege mit den Arbeitnehmern kommunizieren kann.
                      • Ein Anspruch der Gewerkschaft auf Schaffung eines eigenen Auftritts im Intranet ist im Rahmen der Interessenabwägung ebenfalls zu verneinen. Diese Wertung passt zur grundsätzlichen Argumentation des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung zur Herausgabe der Mailadressen (Pressemitteilung vom 28.01.2025 – 1 AZR 33/24). Der Administrationsaufwand einer solchen Seite ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Rechtsposition des Arbeitgebers; auch muss es der Arbeitgeber schon aus Gründen der IT-Sicherheit nicht dulden, dass ein (möglicherweise betriebsfremder) Gewerkschaftsvertreter die Intranet-Seite über die IT-Infrastruktur des Arbeitgebers administriert. Das Intranet ist keine digitale Form des Schwarzen Bretts und auch wenn die Gewerkschaft am Schwarzen Brett Plakate zweifellos aufhängen darf, gilt dies nicht automatisch für die digitale Welt. Auch eine Pflicht zur Verlinkung der Gewerkschaftswebsite im unternehmenseigenen Intranet will das Bundesarbeitsgericht nicht annehmen (BAG, Pressemitteilung vom 28.01.2025 – 1 AZR 33/24)

                      Aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müssen sich die Gewerkschaften überwiegend auf ihr physisches Zugangsrecht zum Betrieb konzentrieren. Einem digitalen Zugangsrecht zum Betrieb hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 28.01.2025 eine klare Absage erteilt. Dies wird bereits aus der Pressemitteilung deutlich. Erwartbar ist jetzt der Ruf der Gewerkschaften nach Hilfe durch den Gesetzgeber. Weiterhin gilt aber, dass die Fragen des digitalen Zugangsrechts überwiegend vom Einzelfall abhängen und daher jeder Einzelfall gesondert zu bewerten ist.

                      Im zweiten Teil unserer Beitragsserie werden wir uns mit der Rolle des Betriebsrats im Umfeld tariflicher Auseinandersetzungen beschäftigen. Wie hat sich der Betriebsrat zu positionieren: Kann er als verlängerter Arm der Gewerkschaft agieren muss er eine neutrale Instanz bleiben?

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