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Datum

14. August 2024

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Die Kriterien zur Abgrenzung von echter Selbständigkeit zu Scheinselbständigkeit sind seit vielen Jahren im Kern unverändert. Dennoch ist viel Bewegung in der Praxis und gerade hochqualifizierte Tätigkeiten („Dienste höherer Art“), bei denen eine Beschäftigung von Freelancern lange Zeit als unproblematisch galt, schauen Behörden und Gerichte nun genauer hin. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in den letzten Jahren durch verschiedene Entscheidungen für solche Tätigkeiten die allgemeinen Kriterien konkretisiert und seine Fallpraxis „nachgeschärft“. Beginn der neuen Rechtsprechung waren zwei Entscheidungen zu Honorarärzten (2019). Im Jahr 2022 ist dann ein für alle Bildungseinrichtungen sehr bedeutendes Urteil ergangen, in dem das BSG eine Musikschullehrerin als sozialversicherungspflichtig beschäftigt einordnete (BSG 28.6.2022 – B 12 R 3/20 R – sog. „Herrenberg-Urteil“).

In der behördlichen Praxis der Deutschen Rentenversicherung war dieses Urteil Anlass für eine – man kann es nicht anders sagen – klare Überreaktion. So wurden Lehrer und Dozenten in Bildungseinrichtungen holzschnittartig in zahlreichen Fällen als sozialversicherungspflichtig beschäftigt angesehen, sofern die eher geringen Anforderungen an das Kriterium der betrieblichen Eingliederung erfüllt sind. Seitdem fürchten viele Träger, Honorarlehrkräfte nicht mehr rechtssicher weiter beschäftigen zu können. Der Rat der Weiterbildung-KAW forderten daher schon öffentlich den Gesetzgeber auf, Rechtssicherheit zu schaffen. Entsprechende Initiativen gab es über die letzten Jahre und Jahrzehnte immer wieder, es ist also leider davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht tätig wird. Vor diesem Hintergrund fasst der Beitrag die Kriterien zur Abgrenzung von echter Selbständigkeit zu Scheinselbständigkeit zusammen und zeigt mit Blick auf die verschärfte Rechtsprechung praxisbezogene Lösungsansätze für Unternehmen auf.

Abgrenzung echter Selbständigkeit von Scheinselbständigkeit

Kurz zusammengefasst: Entscheidende Merkmale sind die Weisungsgebundenheit und die betriebliche Eingliederung. Arbeitnehmer bzw. Beschäftigter ist, wer weisungsgebunden eine vertraglich geschuldete Leistung im Rahmen einer von seinem Vertragspartner bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Die Fremdbestimmtheit ist wiederum bei einer persönlichen Abhängigkeit gegeben, die sich insbesondere daran zeigt, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht seines Vertragspartners bzgl. Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die für eine abhängige oder selbständige Tätigkeit sprechenden Kriterien sind dabei im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls abzuwägen.

Dozenten – selbständig oder (schein-)selbständig?

Dozenten erbringen meist sog. „Dienste höherer Art“, bei denen dem Freelancer meist keine konkreten Weisungen erteilt werden. Das führ aber nicht dazu, dass er immer selbstständig im Sinne des Sozialversicherungs- und Arbeitsrechts wäre. Vielmehr kann auch bei einem stark eingeschränkten Weisungsrecht nach der Rechtsprechung des BSG die Dienstleistungserbringung fremdbestimmt sein, „wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebs erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers verfeinert sich in solchen Fällen zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“.

In der Rechtsprechung der Arbeits- und Sozialgerichte wurden Lehrer bzw. Dozenten vor 2022 sowohl als selbständig als auch als abhängig beschäftigt qualifiziert. Volkshochschuldozenten als spezielle Untergruppe wurden in der Vergangenheit ganz überwiegend als selbständig eingeordnet.

Rechtsprechungsverschärfung durch BSG-Urteil zu Musikschullehrerin

In einem aktuelleren Urteil aus dem Jahr 2022 stufte das BSG eine Musiklehrerin an einer städtischen Musikschule als abhängig beschäftigt ein (BSG 28.6.2022 – B 12 R 3/20 R). Bemerkenswert ist dies vor allem deshalb, weil es noch in einem Urteil vom 14.3.2018 bei fast identischem Sachverhalt eine selbstständige Tätigkeit angenommen hatte (BSG 14.3.2018 – B 12 R 3/17 R). Das Gericht bleibt dabei, dass maßgeblich ist, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und welche Merkmale für eine abhängige oder selbständige Beschäftigung überwiegen. Gleichzeitig richtet es die Kriterien teilweise neu aus bzw. gewichtet sie neu. Insbesondere wurde der Parteiwille als Indiz ab- und die betriebliche Eingliederung als Indiz aufgewertet.

  • Allgemein meint das Gericht, dass Lehrkräfte „grundsätzlich abhängig“ beschäftigt seien, aber auch einer selbständigen Tätigkeit nachgehen können.
  • Im dortigen Fall hat das BSG die Indizien für eine abhängige Beschäftigung als überwiegend angesehen. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Musikschullehrerin einem Weisungsrecht der Musikschule unterworfen und in einer ihre Tätigkeit prägenden Weise in die Organisationsabläufe der Musikschule eingegliedert war. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten bei „Diensten höherer Art“ (s.o.) sei eine selbstständige Tätigkeit erst dann anzunehmen, wenn bei ihrer Verrichtung eine Weisungsfreiheit vorhanden sei, die sie insgesamt als eine unternehmerische kennzeichne.
  • Als starke Indizien für eine Eingliederung in die Organisationsabläufe hat das Gericht insbesondere die Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung sowie die Festlegung auf bestimmte Unterrichtszeiten und die Räume der Musikschule als Arbeitsort angesehen.
  • Die Eingliederung der Lehrerin zeige sich auch daran, dass sie einen Unterrichtsausfall aufgrund eigener Erkrankung oder sonstiger Verhinderung zu melden hatte und ein Ausfallhonorar erhielt, wenn Schüler nicht zum Unterricht erschienen sind.
  • Zudem musste die Lehrerin an betrieblichen Veranstaltungen mitwirken, so musste sie einmal im Jahr Schülervorspiele vorbereiten und durchführen und jeweils zweimal jährlich an Gesamtlehrer- und Fachbereichskonferenzen teilnehmen.
  • Die Lehrerin habe auch keine eigene betriebliche Organisation unterhalten, keine unternehmerischen Chancen gehabt und sei keinem Unternehmerrisiko ausgesetzt gewesen. Vielmehr lag die gesamte Organisation des Musikschulbetriebs allein in den Händen der Musikschule. Die Lehrerin habe weder die Möglichkeit gehabt, eigene Schüler zu akquirieren und auf eigene Rechnung zu unterrichten, noch habe sie die geschuldete Lehrtätigkeit durch Dritte erbringen lassen dürfen.

Praktische Hinweise

1. Gelassenheit und genaue Analyse der Fallgestaltungen

Es gibt gute Gründe, als Bildungseinrichtung auch vor dem Hintergrund des BSG-Urteils zur Musikschullehrerin nicht in Panik zu verfallen. Vielmehr sollten die eigenen Fallgestaltungen genau analysiert und mit dem Sachverhalt des BSG-Urteils verglichen werden.

Dass die Deutsche Rentenversicherung dem Vernehmen nach über die Rechtsprechung hinaus ganz überwiegend Musikschullehrer bzw. Dozenten als sozialversicherungspflichtig beschäftigt bzw. scheinselbständig eingeordnet hat, ist in der Praxis, z.B. seitens des Deutschen Volkshochschul-Verbands, zurecht auf Kritik gestoßen. In der Folge hat die Deutsche Rentenversicherung zugesichert, dass bis zum 15.10.2024 im Rahmen von Betriebsprüfungen keine Statusfeststellungen mehr stattfinden („Moratorium“). Entscheidungen im Statusfeststellungsverfahren der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung können, wenn Auftragnehmer und Auftraggeber damit einverstanden sind, ebenfalls zunächst bis Mitte Oktober ausgesetzt werden. Bis dahin sollen Arbeitsgruppen Modelle der Selbständigkeit erarbeiten (so das Ergebnis eines Fachgesprächs im BMAS zu Honorarlehrkräften vom 14.6.2024).

Die Begebenheiten werden in vielen Bildungseinrichtungen andere sein als im Fall der Musikschullehrerin. Hier lohnt es sich, genau hinzuschauen. Schon das Musikschullehrer-Urteil liegt im „Graubereich“ der Abgrenzung. Selbst kleinere Abweichungen im Sachverhalt können die Waage in Richtung echte Selbständigkeit bewegen. So dürften beispielsweise bei Online-Kursen viele Kriterien, die im Musikschullehrerin-Urteil als maßgeblich erachtet werden, zugunsten einer echten Selbständigkeit sprechen.

Zwar sind nach dem BSG-Urteil aus dem Jahr 2022 überwiegend Urteile ergangen, in denen das Beschäftigungsverhältnis von Dozenten als abhängige Beschäftigung qualifiziert wurde. Allerdings gibt es auch Urteile, in denen die Selbständigkeit von Dozenten bejaht wurde. Hier ist vor allem das Urteil des LSG Hamburg (27.04.2023 – L 1 BA 12/22) hervorzuheben. Das LSG Hamburg hat die Tätigkeit einer Berufsfachschullehrerin in einem Urteil aus dem Jahre 2023 als selbständig qualifiziert, obwohl sie kaum ein Unternehmerrisiko trug. Das Gericht sah es als ein entscheidendes Indiz für eine fehlende Eingliederung in die Arbeitsorganisation an, dass es kein festes Curriculum gab und dass die zeitlichen Vorgaben der freien Lehrkräfte bei der Planung maßgeblich berücksichtigt und die festangestellten Lehrkräfte in den verbleibenden Zeiten verplant wurden. In einem anderen Urteil hat das LSG Baden-Württemberg die Tätigkeit einer Fitnesstrainerin als selbständig qualifiziert (LSG Baden-Württemberg 22.06.2023 – L 10 R 246/19). Die Trainerin brauchte keine regelmäßigen Arbeits- und Anwesenheitszeiten einzuhalten, sie gab vielmehr allein die vorher vereinbarten Kurse und unterlag hierbei keinen Weisungen eines anderen.

2. Behutsame Anpassung statt Hauruck-Aktion

Auch wenn kein Grund zur Panik besteht, kann und sollte die Aktualität des Themas zum Anlass genommen werden, den Einsatz von Dozenten möglichst rechtssicher zu gestalten. Hierfür bieten sich die folgenden Maßnahmen an:

  • Die praktische Gestaltung des Einsatzes von Dozenten abklopfen, insbesondere Prüfung der (Muster-)Verträge. Hier kann bereits durch die vertragliche Gestaltung das Risiko für Scheinselbständigkeit gesenkt werden. Unter Selbständigkeits-Gesichtspunkten sinnvoll wäre (sofern möglich) zu vereinbaren,
    • dass die Dozenten inhaltlich zwar an bestimmte, möglichst minimale Vorgaben gebunden sind, darüber hinaus aber in der Ausgestaltung der Vortragstätigkeit hinsichtlich der Art der Durchführung in Ablauf und inhaltlichem Zuschnitt weisungsfrei sind.
    • dass die Dozenten örtlich nicht weisungsgebunden sind,
    • dass die Dozenten auch für andere Auftraggeber tätig sein können,
    • dass die Dozenten sich (durch gleich qualifizierte andere Dozenten, ggf. nach Zustimmung des Auftraggebers) vertreten lassen können.

Auch die Vergütung lässt sich ggf. so gestalten, dass hierin Indizien für eine echte Selbständigkeit liegen (z.B. durch Pauschalvergütung für die Erstellung von Kursmaterialien).

  • Sensibilisierung der eigenen Mitarbeiter sowie der externen Dozenten für das Thema. Hier darf es nicht schleichend zu einer Eingliederung kommen.
  • Erstellen einer Fremdpersonal-Policy, in der insbesondere Zuständigkeiten festgelegt und Prozesse aufgesetzt werden. Bewährt hat sich in der Praxis, dass die beauftragende Stelle anhand von Checklisten abklärt, wie hoch das Risiko für eine Scheinselbständigkeit im konkreten Fall ist. Bei Risiko-Beauftragungen kann an eine (interne) Clearing-Stelle / die Geschäftsführung eskaliert werden. Auch im Hinblick auf die Vermeidung einer Strafbarkeit (die Vorsatz erfordert), ist eine solche Policy sinnvoll.

Eher abzuraten ist von Hauruck-Aktionen, in denen alle (oder ein Teil der) Selbständigen als Arbeitnehmer eingestellt werden. Jedenfalls wenn es keine Änderungen im praktischen Set-up gibt, kann dies den Anschein erwecken , dass bereits zuvor (oder im Hinblick auf den anderen Teil der „Selbständigen“) keine echte Selbständigkeit vorlag. In diesem Fall drohen Nachforderungen für die Vergangenheit. Sofern eine Umstellung auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erfolgt, sollte dies mit echten Änderungen im Vertrag und in der praktischen Gestaltung einhergehen und kommunikativ entsprechend begleitet werden (z.B. „Um Sie in Zukunft noch zeitlich passgenauer einsetzen zu können / Ihnen in der Zukunft noch genauere inhaltliche Weisungen erteilen zu können …“).

Wenn Unternehmen bei einer Überprüfung ihrer Verträge und Praxishandhabung feststellen, dass womöglich ein Fall von Scheinselbständigkeit vorliegt, wäre mit Blick auf die Zukunft zu überlegen, ob die Gestaltung nicht dahingehend geändert werden kann, dass echte Selbständigkeit vorliegt.

Sind keine Änderungen möglich, kann ein Clearing-Verfahren Rechtssicherheit bringen. Hier sollte allerdings genau überlegt werden, welches Vertragsverhältnis vor die Clearing-Stelle gebracht werden soll und ggf. ein „Muster“-Verfahren geführt werden, statt zahlreicher Parallel-Verfahren.


Weiterführende Links:

„Fortentwicklung der Rechtsprechung“: Die große Anti-Selbstständigen-Offensive der DRV (vgsd.de) 

2024-KAW-Forderungspapier-Freiberuflichkeit.pdf (volkshochschule.de)

Scheinselbständigkeit von Dozenten vermeiden

Die Kriterien zur Abgrenzung von echter Selbständigkeit zu Scheinselbständigkeit sind seit vielen Jahren im Kern unverändert. Dennoch ist viel Bewegung in der Praxis und gerade hochqualifizierte Tätigkeiten („Dienste höherer Art“), bei denen eine Beschäftigung von Freelancern lange Zeit als unproblematisch galt, schauen Behörden und Gerichte nun genauer hin. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in den letzten Jahren durch verschiedene Entscheidungen für solche Tätigkeiten die allgemeinen Kriterien konkretisiert und seine Fallpraxis „nachgeschärft“. Beginn der neuen Rechtsprechung waren zwei Entscheidungen zu Honorarärzten (2019). Im Jahr 2022 ist dann ein für alle Bildungseinrichtungen sehr bedeutendes Urteil ergangen, in dem das BSG eine Musikschullehrerin als sozialversicherungspflichtig beschäftigt einordnete (BSG 28.6.2022 – B 12 R 3/20 R – sog. „Herrenberg-Urteil“).

In der behördlichen Praxis der Deutschen Rentenversicherung war dieses Urteil Anlass für eine – man kann es nicht anders sagen – klare Überreaktion. So wurden Lehrer und Dozenten in Bildungseinrichtungen holzschnittartig in zahlreichen Fällen als sozialversicherungspflichtig beschäftigt angesehen, sofern die eher geringen Anforderungen an das Kriterium der betrieblichen Eingliederung erfüllt sind. Seitdem fürchten viele Träger, Honorarlehrkräfte nicht mehr rechtssicher weiter beschäftigen zu können. Der Rat der Weiterbildung-KAW forderten daher schon öffentlich den Gesetzgeber auf, Rechtssicherheit zu schaffen. Entsprechende Initiativen gab es über die letzten Jahre und Jahrzehnte immer wieder, es ist also leider davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht tätig wird. Vor diesem Hintergrund fasst der Beitrag die Kriterien zur Abgrenzung von echter Selbständigkeit zu Scheinselbständigkeit zusammen und zeigt mit Blick auf die verschärfte Rechtsprechung praxisbezogene Lösungsansätze für Unternehmen auf.

Abgrenzung echter Selbständigkeit von Scheinselbständigkeit

Kurz zusammengefasst: Entscheidende Merkmale sind die Weisungsgebundenheit und die betriebliche Eingliederung. Arbeitnehmer bzw. Beschäftigter ist, wer weisungsgebunden eine vertraglich geschuldete Leistung im Rahmen einer von seinem Vertragspartner bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Die Fremdbestimmtheit ist wiederum bei einer persönlichen Abhängigkeit gegeben, die sich insbesondere daran zeigt, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht seines Vertragspartners bzgl. Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die für eine abhängige oder selbständige Tätigkeit sprechenden Kriterien sind dabei im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls abzuwägen.

Dozenten – selbständig oder (schein-)selbständig?

Dozenten erbringen meist sog. „Dienste höherer Art“, bei denen dem Freelancer meist keine konkreten Weisungen erteilt werden. Das führ aber nicht dazu, dass er immer selbstständig im Sinne des Sozialversicherungs- und Arbeitsrechts wäre. Vielmehr kann auch bei einem stark eingeschränkten Weisungsrecht nach der Rechtsprechung des BSG die Dienstleistungserbringung fremdbestimmt sein, „wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebs erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers verfeinert sich in solchen Fällen zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“.

In der Rechtsprechung der Arbeits- und Sozialgerichte wurden Lehrer bzw. Dozenten vor 2022 sowohl als selbständig als auch als abhängig beschäftigt qualifiziert. Volkshochschuldozenten als spezielle Untergruppe wurden in der Vergangenheit ganz überwiegend als selbständig eingeordnet.

Rechtsprechungsverschärfung durch BSG-Urteil zu Musikschullehrerin

In einem aktuelleren Urteil aus dem Jahr 2022 stufte das BSG eine Musiklehrerin an einer städtischen Musikschule als abhängig beschäftigt ein (BSG 28.6.2022 – B 12 R 3/20 R). Bemerkenswert ist dies vor allem deshalb, weil es noch in einem Urteil vom 14.3.2018 bei fast identischem Sachverhalt eine selbstständige Tätigkeit angenommen hatte (BSG 14.3.2018 – B 12 R 3/17 R). Das Gericht bleibt dabei, dass maßgeblich ist, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und welche Merkmale für eine abhängige oder selbständige Beschäftigung überwiegen. Gleichzeitig richtet es die Kriterien teilweise neu aus bzw. gewichtet sie neu. Insbesondere wurde der Parteiwille als Indiz ab- und die betriebliche Eingliederung als Indiz aufgewertet.

  • Allgemein meint das Gericht, dass Lehrkräfte „grundsätzlich abhängig“ beschäftigt seien, aber auch einer selbständigen Tätigkeit nachgehen können.
  • Im dortigen Fall hat das BSG die Indizien für eine abhängige Beschäftigung als überwiegend angesehen. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Musikschullehrerin einem Weisungsrecht der Musikschule unterworfen und in einer ihre Tätigkeit prägenden Weise in die Organisationsabläufe der Musikschule eingegliedert war. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten bei „Diensten höherer Art“ (s.o.) sei eine selbstständige Tätigkeit erst dann anzunehmen, wenn bei ihrer Verrichtung eine Weisungsfreiheit vorhanden sei, die sie insgesamt als eine unternehmerische kennzeichne.
  • Als starke Indizien für eine Eingliederung in die Organisationsabläufe hat das Gericht insbesondere die Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung sowie die Festlegung auf bestimmte Unterrichtszeiten und die Räume der Musikschule als Arbeitsort angesehen.
  • Die Eingliederung der Lehrerin zeige sich auch daran, dass sie einen Unterrichtsausfall aufgrund eigener Erkrankung oder sonstiger Verhinderung zu melden hatte und ein Ausfallhonorar erhielt, wenn Schüler nicht zum Unterricht erschienen sind.
  • Zudem musste die Lehrerin an betrieblichen Veranstaltungen mitwirken, so musste sie einmal im Jahr Schülervorspiele vorbereiten und durchführen und jeweils zweimal jährlich an Gesamtlehrer- und Fachbereichskonferenzen teilnehmen.
  • Die Lehrerin habe auch keine eigene betriebliche Organisation unterhalten, keine unternehmerischen Chancen gehabt und sei keinem Unternehmerrisiko ausgesetzt gewesen. Vielmehr lag die gesamte Organisation des Musikschulbetriebs allein in den Händen der Musikschule. Die Lehrerin habe weder die Möglichkeit gehabt, eigene Schüler zu akquirieren und auf eigene Rechnung zu unterrichten, noch habe sie die geschuldete Lehrtätigkeit durch Dritte erbringen lassen dürfen.

Praktische Hinweise

1. Gelassenheit und genaue Analyse der Fallgestaltungen

Es gibt gute Gründe, als Bildungseinrichtung auch vor dem Hintergrund des BSG-Urteils zur Musikschullehrerin nicht in Panik zu verfallen. Vielmehr sollten die eigenen Fallgestaltungen genau analysiert und mit dem Sachverhalt des BSG-Urteils verglichen werden.

Dass die Deutsche Rentenversicherung dem Vernehmen nach über die Rechtsprechung hinaus ganz überwiegend Musikschullehrer bzw. Dozenten als sozialversicherungspflichtig beschäftigt bzw. scheinselbständig eingeordnet hat, ist in der Praxis, z.B. seitens des Deutschen Volkshochschul-Verbands, zurecht auf Kritik gestoßen. In der Folge hat die Deutsche Rentenversicherung zugesichert, dass bis zum 15.10.2024 im Rahmen von Betriebsprüfungen keine Statusfeststellungen mehr stattfinden („Moratorium“). Entscheidungen im Statusfeststellungsverfahren der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung können, wenn Auftragnehmer und Auftraggeber damit einverstanden sind, ebenfalls zunächst bis Mitte Oktober ausgesetzt werden. Bis dahin sollen Arbeitsgruppen Modelle der Selbständigkeit erarbeiten (so das Ergebnis eines Fachgesprächs im BMAS zu Honorarlehrkräften vom 14.6.2024).

Die Begebenheiten werden in vielen Bildungseinrichtungen andere sein als im Fall der Musikschullehrerin. Hier lohnt es sich, genau hinzuschauen. Schon das Musikschullehrer-Urteil liegt im „Graubereich“ der Abgrenzung. Selbst kleinere Abweichungen im Sachverhalt können die Waage in Richtung echte Selbständigkeit bewegen. So dürften beispielsweise bei Online-Kursen viele Kriterien, die im Musikschullehrerin-Urteil als maßgeblich erachtet werden, zugunsten einer echten Selbständigkeit sprechen.

Zwar sind nach dem BSG-Urteil aus dem Jahr 2022 überwiegend Urteile ergangen, in denen das Beschäftigungsverhältnis von Dozenten als abhängige Beschäftigung qualifiziert wurde. Allerdings gibt es auch Urteile, in denen die Selbständigkeit von Dozenten bejaht wurde. Hier ist vor allem das Urteil des LSG Hamburg (27.04.2023 – L 1 BA 12/22) hervorzuheben. Das LSG Hamburg hat die Tätigkeit einer Berufsfachschullehrerin in einem Urteil aus dem Jahre 2023 als selbständig qualifiziert, obwohl sie kaum ein Unternehmerrisiko trug. Das Gericht sah es als ein entscheidendes Indiz für eine fehlende Eingliederung in die Arbeitsorganisation an, dass es kein festes Curriculum gab und dass die zeitlichen Vorgaben der freien Lehrkräfte bei der Planung maßgeblich berücksichtigt und die festangestellten Lehrkräfte in den verbleibenden Zeiten verplant wurden. In einem anderen Urteil hat das LSG Baden-Württemberg die Tätigkeit einer Fitnesstrainerin als selbständig qualifiziert (LSG Baden-Württemberg 22.06.2023 – L 10 R 246/19). Die Trainerin brauchte keine regelmäßigen Arbeits- und Anwesenheitszeiten einzuhalten, sie gab vielmehr allein die vorher vereinbarten Kurse und unterlag hierbei keinen Weisungen eines anderen.

2. Behutsame Anpassung statt Hauruck-Aktion

Auch wenn kein Grund zur Panik besteht, kann und sollte die Aktualität des Themas zum Anlass genommen werden, den Einsatz von Dozenten möglichst rechtssicher zu gestalten. Hierfür bieten sich die folgenden Maßnahmen an:

  • Die praktische Gestaltung des Einsatzes von Dozenten abklopfen, insbesondere Prüfung der (Muster-)Verträge. Hier kann bereits durch die vertragliche Gestaltung das Risiko für Scheinselbständigkeit gesenkt werden. Unter Selbständigkeits-Gesichtspunkten sinnvoll wäre (sofern möglich) zu vereinbaren,
    • dass die Dozenten inhaltlich zwar an bestimmte, möglichst minimale Vorgaben gebunden sind, darüber hinaus aber in der Ausgestaltung der Vortragstätigkeit hinsichtlich der Art der Durchführung in Ablauf und inhaltlichem Zuschnitt weisungsfrei sind.
    • dass die Dozenten örtlich nicht weisungsgebunden sind,
    • dass die Dozenten auch für andere Auftraggeber tätig sein können,
    • dass die Dozenten sich (durch gleich qualifizierte andere Dozenten, ggf. nach Zustimmung des Auftraggebers) vertreten lassen können.

Auch die Vergütung lässt sich ggf. so gestalten, dass hierin Indizien für eine echte Selbständigkeit liegen (z.B. durch Pauschalvergütung für die Erstellung von Kursmaterialien).

  • Sensibilisierung der eigenen Mitarbeiter sowie der externen Dozenten für das Thema. Hier darf es nicht schleichend zu einer Eingliederung kommen.
  • Erstellen einer Fremdpersonal-Policy, in der insbesondere Zuständigkeiten festgelegt und Prozesse aufgesetzt werden. Bewährt hat sich in der Praxis, dass die beauftragende Stelle anhand von Checklisten abklärt, wie hoch das Risiko für eine Scheinselbständigkeit im konkreten Fall ist. Bei Risiko-Beauftragungen kann an eine (interne) Clearing-Stelle / die Geschäftsführung eskaliert werden. Auch im Hinblick auf die Vermeidung einer Strafbarkeit (die Vorsatz erfordert), ist eine solche Policy sinnvoll.

Eher abzuraten ist von Hauruck-Aktionen, in denen alle (oder ein Teil der) Selbständigen als Arbeitnehmer eingestellt werden. Jedenfalls wenn es keine Änderungen im praktischen Set-up gibt, kann dies den Anschein erwecken , dass bereits zuvor (oder im Hinblick auf den anderen Teil der „Selbständigen“) keine echte Selbständigkeit vorlag. In diesem Fall drohen Nachforderungen für die Vergangenheit. Sofern eine Umstellung auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erfolgt, sollte dies mit echten Änderungen im Vertrag und in der praktischen Gestaltung einhergehen und kommunikativ entsprechend begleitet werden (z.B. „Um Sie in Zukunft noch zeitlich passgenauer einsetzen zu können / Ihnen in der Zukunft noch genauere inhaltliche Weisungen erteilen zu können …“).

Wenn Unternehmen bei einer Überprüfung ihrer Verträge und Praxishandhabung feststellen, dass womöglich ein Fall von Scheinselbständigkeit vorliegt, wäre mit Blick auf die Zukunft zu überlegen, ob die Gestaltung nicht dahingehend geändert werden kann, dass echte Selbständigkeit vorliegt.

Sind keine Änderungen möglich, kann ein Clearing-Verfahren Rechtssicherheit bringen. Hier sollte allerdings genau überlegt werden, welches Vertragsverhältnis vor die Clearing-Stelle gebracht werden soll und ggf. ein „Muster“-Verfahren geführt werden, statt zahlreicher Parallel-Verfahren.


Weiterführende Links:

„Fortentwicklung der Rechtsprechung“: Die große Anti-Selbstständigen-Offensive der DRV (vgsd.de) 

2024-KAW-Forderungspapier-Freiberuflichkeit.pdf (volkshochschule.de)

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