Die Richtlinie 2022/2041 vom 19. Oktober 2022 über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union (EU) sorgt bereits seit geraumer Zeit für erhebliche Kontroversen. Es wird diskutiert, ob die EU-Kommission überhaupt befugt war, diese Richtlinie zu erlassen sowie die Frage, ob die EU-Kommission überhaupt Vorgaben zur Festsetzung des Mindestlohns machen kann.
Vor diesem Hintergrund hat das Königreich Dänemark bereits im Jahr 2023 eine Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 AEUV vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht und die fehlende Kompetenz der EU-Kommission bemängelt (Rechtssache C-19/23). Der Generalanwalt Nicholas Emiliou hat nun am 14. Januar 2025 in seinen Schlussanträgen diese Kritik aufgegriffen und sich gegen die Wirksamkeit der Mindestlohnrichtlinie ausgesprochen.
Die Mindestlohnrichtlinie (EU) 2022/2041
Die Mindestlohnrichtlinie ist seit November 2022 in Kraft und war bis zum 15. November 2024 in nationales Recht umzusetzen. Sie zielt darauf ab, in den EU-Mitgliedsstaaten die Zahlung von angemessenen Mindestlöhnen sicherzustellen. Hierdurch sollen die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der EU verbessert werden (vgl. Art. 1 der Richtlinie).
Insbesondere Art. 5 der Richtlinie fordert die Mitgliedstaaten auf, Verfahren für die Festlegung und regelmäßige Aktualisierung der Mindestlöhne zu etablieren. Ziel ist es, eine Mindestlohngestaltung zu gewährleisten, die den sozialen Standards der Union entspricht.
Schlussanträge von Generalanwalt Emiliou
In seinen Schlussanträgen stellt Generalanwalt Emiliou die Kompetenz der EU zur Schaffung dieser Richtlinie infrage. Er argumentiert, dass die Richtlinie gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung verstößt. Dieser Grundsatz folgt aus Art. 5 Abs. 2 EUV und besagt, dass die EU nur in den Bereichen tätig werden darf, die dieser durch die EU-Verträge übertragen wurden. Demnach kann die EU nur dann Recht setzen, wenn eine entsprechende Kompetenz besteht.
Nach Auffassung von Emiliou fehlt der EU-Kommission jedoch die erforderliche Kompetenz. Zwar räumt die AEUV der Union die Befugnis ein, Regelungen zu den Arbeitsbedingungen der Mitgliedstaaten zu erlassen. Allerdings ist darin auch eine Ausschlussklausel enthalten, die explizit die Kompetenz der Union zur Regelung von Arbeitsentgelten ausschließt. Emiliou ist der Ansicht, dass diese Klausel auch auf die Mindestlohnrichtlinie anzuwenden ist. Die EU-Kommission sei daher nicht zum Erlass der Richtlinie befugt.
Die EU-Kommission hingegen argumentiert, dass die Richtlinie keine konkreten Vorgaben für die Höhe des Arbeitsentgelts enthalte, sondern lediglich Rahmenbedingungen für die Angemessenheit der Mindestlöhne festlege. Ein Verstoß gegen Art. 153 Abs. 5 AEUV liege somit nicht vor.
Auswirkungen und Fazit
Die Entscheidung des EuGH wird in den kommenden Monaten erwartet. Der Gerichtshof wird die Richtlinie entweder bestätigen oder sie für nichtig erklären. Dabei ist der EuGH nicht an die Schlussanträge des Generalanwalts gebunden. Diese dienen lediglich der Unterstützung der Richter bei ihrer Entscheidungsfindung. In der Praxis folgt der EuGH jedoch in vielen Fällen den Empfehlungen des Generalanwalts.
Die Entscheidung des EuGH wird weitreichende Auswirkungen auf die europäische Sozialpolitik und die zukünftige Ausgestaltung von Mindestlohngesetzgebungen in der EU haben. Es bleibt abzuwarten, wie der Gerichtshof in dieser bedeutenden Frage urteilen wird.