Darf die Geschäftsleitung den Lieferanten wechseln, um auf ein nachhaltiges, wesentlich teureres Substitut umzusteigen? Sind Unternehmen zur Kontrolle effizienter und nachhaltiger Ressourcennutzung verpflichtet? In welchem Rahmen dürfen Unternehmensgelder an politische Parteien gespendet werden? Diese und vergleichbare Fragen veranschaulichen – auch mit Blick auf die zunehmende Zahl aktivistischer Klagen – die Bedeutung der ESG-Leitungsverantwortung von Vorständen und Geschäftsführern stellt diese nicht selten vor erhebliche Herausforderungen und Ungewissheiten.
Environmental, Social, Governance
„ESG“ steht für Environmental, Social, Governance (Umwelt, Soziales, Unternehmensführung) und hat sich als das neue Leitbild in den Bereichen Corporate Social Responsibility, Umweltschutz und Nachhaltigkeit etabliert. Insbesondere die EU treibt die Entwicklung durch neue Richtlinien und Verordnungen maßgeblich voran. Ein aktuelles Beispiel stellt die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD oder CS3D) dar, die bis zum 26. Juli 2026 in nationales Recht umgesetzt werden muss und bestimmte Unternehmen zur Aufstellung eines Klimatransformationsplans verpflichtet. Doch ESG umfasst weit mehr als die Einhaltung geltender Gesetze oder die Verbesserung der Unternehmensreputation. Vielmehr fordert ESG-Konformität von Unternehmen und ihren Leitungsorganen eine stetige Auseinandersetzung mit der Frage, ob und in welchem Umfang weitere Rechte und Pflichten herzuleiten sind.
Stakeholder-Debatte und ESG-Leitungspflicht
Seit Jahrzehnten wird kontrovers diskutiert, wie das Gesellschaftsinteresse, dem die Unternehmensorgane verpflichtet sind, zu definieren ist. Primär geht es dabei um die Frage, inwieweit neben den Gesellschafter- und Aktionärsinteressen auch die Interessen weiterer Stakeholder, etwa von Arbeitnehmern oder der Öffentlichkeit, berücksichtigt werden dürfen und müssen. Heute wird überwiegend ein interessenpluralistischer Ansatz anerkannt, wonach Stakeholder-Interessen in Unternehmensentscheidungen einbezogen werden dürfen und teilweise auch müssen. Etwa ungeklärt ist bislang, ob eine allgemeine ESG-Leitungspflicht aus den jüngsten Rechtsentwicklungen abgeleitet werden kann. Diese würde die Geschäftsleitungen verpflichten, ESG-Belange auch zulasten konfligierender wirtschaftlicher Interessen zu verfolgen – und könnte über eine bloße Bemühungspflicht hinausgehen. Diskutiert wird aktuell auch, inwieweit der Hauptversammlung vorstandsunabhängige Mitspracherechte in ESG-Belangen zustehen („Say-on-Climate“). Die vorherrschende Meinung lehnt dies nach geltendem Recht strikt ab. Im internationalen Vergleich sind allerdings klare Tendenzen zu erkennen, die in diese Richtung gehen.
Rechtsunsicherheit im Rahmen der ESG-Pflichten
Die Integration von Nachhaltigkeitszielen in Unternehmensplanung und internen Kontrollsystemen gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung. Börsennotierte Unternehmen sind gemäß § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG verpflichtet, Nachhaltigkeit im Rahmen der variablen Vergütung von Vorständen zu incentivieren. Nahezu alle börsennotierten Gesellschaften in Deutschland haben daher mittlerweile ESG-Ziele in die Vorstandsvergütung integriert. Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) empfiehlt, dass Unternehmen nachhaltigkeitsbezogene Ziele in ihre Planung und Unternehmensstrategie einbinden und diese in ihre Kontroll- und Risikomanagementsysteme integrieren. Doch was bedeutet das konkret für die Unternehmenspraxis?
Trotz der Empfehlungen des DCGK bleiben die rechtlichen Vorgaben in Deutschland bisher undurchsichtig. Weder die gesetzlichen Vorschriften – wie § 43 GmbHG oder §§ 76, 93 AktG – noch die Empfehlungen des DCGK geben klare Konturen oder konkrete Rechte und Pflichten vor. Diese Lücken führen zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Auslegungen und Anwendungen in Literatur und Rechtsprechung. Geschäftsleitungen stehen somit vor der Herausforderung, sich durch dieses rechtliche Spannungsfeld zu navigieren, um konform zu handeln.
Zwar verbleibt ihnen dabei ein unternehmerischer Ermessensspielraum, der jedoch keinesfalls einschränkungslos gilt. Der Gesetzgeber und die Regierungskommission des DCGK sind daher gefordert, klare Leitlinien zu schaffen, um Unternehmen und Leitungsorgangen Rechtssicherheit zu bieten und nachhaltiges Wirtschaften praktikabler zu machen. Bis dahin erhöhen die Unsicherheiten den Druck auf Unternehmen, ihre Entscheidungen besonders sorgfältig zu prüfen, um so möglichst viele Haftungsrisiken zu vermeiden.
Praxisbeispiel: Sponsoring von Sportvereinen und Parteispende
Besonders relevant ist eine sorgfältige Prüfung bei stark gemeinwohlbezogenen Investitionen, wie etwa beim Sponsoring von Sportvereinen oder der Unterstützung politischer Parteien, wobei letzteres aufgrund der Bundestagswahl wieder vermehrt zu Kontroversen führt. Solche Entscheidungen erfordern nicht bloß eine kritische Würdigung möglicher Eigeninteressen der Organe, um Interessenkonflikten vorzubeugen. Vielmehr erfordern sie eine Berücksichtigung individueller Ermessensgrenzen, die unter anderem aus der besonderen Konfliktträchtigkeit von Parteispenden und einem möglichen Imageschaden in der Öffentlichkeit entstehen.
Vermeidung von Haftungsrisiken durch fundiertes und vorausschauendes Handeln
Unternehmen, die solche ESG-Themen vernachlässigen, setzen sich vielfältigen Risiken aus:
- Bußgelder und Sanktionen: Behörden können empfindliche Strafen verhängen, sofern Nachhaltigkeitsaspekte nicht hinreichend oder falsch dargestellt werden. Beispielhaft genannt seien verschiedene Sonderprüfungen der BaFin, etwa betreffend „Greenwashing“-Vorwürfe.
- Imageverlust und Auftragsrückgänge: Ein mangelndes ESG-Engagement schadet der Reputation des Unternehmens und kann mittelbar zu erheblichen finanziellen Einbußen führen, wie vermehrt in Studien analysiert wird (z. B. Reputational Risk Readiness Survey Report 2023 von WTW).
- Persönliche Haftung: Die Organe eines Unternehmens können für Schäden, die der Gesellschaft durch pflichtwidrig unterlassene ESG-Maßnahmen entstehen, persönlich haftbar gemacht werden.
Um diesen Risiken vorzubeugen und entgegenzuwirken, ist eine Sensibilisierung der Organe für ESG-Themen unerlässlich. Insbesondere auf den oberen Führungsebenen sollte das notwendige Know-how aufgebaut werden, um nachhaltige Unternehmensentscheidungen kompetent und rechtssicher treffen zu können. Nach der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) müssen berichtspflichtige Unternehmen in ihren Nachhaltigkeitsbericht eine Beschreibung des Fachwissens und der Fähigkeiten der Leitungsorgane in Bezug auf Nachhaltigkeitsfragen aufnehmen. ESG darf nicht als lästige Zusatzaufgabe verstanden werden, sondern muss ein integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie sein und bei allen wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen frühzeitig bedacht und im Einzelfall umfassend geprüft werden. In komplexen Situationen empfiehlt es sich, externe Berater hinzuzuziehen, um rechtliche und strategische Fallstricke zu vermeiden.
Das gesamte Team von Seitz berät und unterstützt gerne dabei, ESG-Strategien rechtssicher und klug in Ihrem Unternehmen zu verankern. Wir helfen, Risiken zu minimieren und Ihr Unternehmen auf den wachsenden Stellenwert von Nachhaltigkeit optimal vorzubereiten.