Autoren
Dr. Johannes Traut
Datum

26. November 2019

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Am 14. Mai 2019 hat der EuGH ein „bahnbrechendes“ Urteil, das teilweise schon als „Stechuhr-Urteil“ bekannt geworden ist, zur Arbeitszeiterfassung gefällt (Rechtssache C-55/18). Danach müssen die Mitgliedsstaaten in den nationalen Arbeitszeitvorschriften sicherstellen, dass die von jedem Arbeitnehmer täglich geleistete Arbeitszeit gemessen wird. Nach der ersten Aufregung über das Urteil stellen sich dringende Fragen, darunter v.a.: Welche Folgen hat das Urteil? Und wie geht es vorerst weiter? 

Die Reaktionen der Politik

Die ersten Positionierungen deutscher Politiker, insb. aus der Großen Koalition, gingen weit auseinander. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sieht vorerst keinen Handlungsbedarf in Deutschland. Er kündigte an, sein Ressort werde ein Rechtsgutachten in Auftrag geben, um zu klären, ob das Urteil überhaupt umgesetzt werden muss. Der CDU-Politiker warnte vor zusätzlicher Bürokratie für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. „Das Urteil weist in die falsche Richtung. Es ist der falsche Weg, die Stechuhr wieder überall einzuführen.“ Dagegen wendete sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD): „Kein verantwortlicher Minister der Bundesregierung sollte bestehendes Recht und Gesetz ignorieren“, sagte er. Er kündigte Vorschläge für Gesetzesänderungen in der zweiten Jahreshälfte an.

Der Hintergrund des Urteils

In dem Gerichtsverfahren stritt sich eine spanische Gewerkschaft mit einem Unternehmen der Deutschen Bank v.a. über die Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) und ihre Auswirkung auf nationales Recht zur Arbeitszeiterfassung. Daraufhin hatte der EuGH insbesondere die Frage nach der Reichweite der Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitgeber zu entscheiden.

Was verlangt der EuGH?

Die Anforderungen des EuGH sind hoch und legen jedenfalls nahe, dass eine vollständige Arbeitszeiterfassung inklusive der Aufzeichnung der Verteilung der Arbeitszeit innerhalb des Tages erforderlich wird.

Dabei legt der EuGH konkret fest, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System mit folgenden Eigenschaften zur Arbeitszeiterfassung einzurichten:

  • objektiv,
  • verlässlich und
  • zugänglich.

So solle anhand der Aufzeichnungen nicht nur beurteilt werden können, ob Überstunden vorliegen, sondern auch, ob Ruhezeiten eingehalten werden. Das würde z.B. auch ein kurzes E-Mail-Checken am Abend, Telefonate und den Austausch von Kurznachrichten unter Kollegen aufzeichnungspflichtig machen.

Wo besteht Handlungsbedarf?

Anpassungsbedarf besteht vor allem in Bereichen, in denen bisher Vertrauensarbeitszeit und/oder eine Delegation von Aufzeichnungspflichten auf Arbeitnehmer praktiziert wird. Für die betroffenen Bereiche wäre nach der Entscheidung eine praxistaugliche Lösung zur Arbeitszeiterfassung erforderlich. Als mögliche Lösung käme neben der Einbindung in bestehende Arbeitszeiterfassungssysteme z.B. die Einführung einer Arbeitszeiterfassung per App oder über eine Projektsoftware in Betracht. Wir begleiten die Einführung entsprechender Systeme bei einigen Mandanten bereits. Bei entsprechender Gestaltung kann auch Vertrauensarbeitszeit weiterhin praktiziert werden.

Bereiche, in denen bereits heute mit „Stechuhr“ oder anderer Zeiterfassungsmethoden gearbeitet wird, sind voraussichtlich nicht oder geringer betroffen.

Ab wann besteht Handlungsbedarf?

Es ist aufgrund der Einbeziehung der EU-Grundrechte in die Entscheidung nicht auszuschließen, dass die Anforderungen durch die nationale Rechtsprechung ab sofort umgesetzt werden müssen.

Der Handlungsbedarf ist daher dringend. Trotz des Streits in der Großen Koalition über die Umsetzung der Rechtsprechung wird voraussichtlich jedenfalls mittelfristig der deutsche Gesetzgeber reagieren und die deutschen Arbeitszeitregelungen an die EuGH-Rechtsprechung anpassen.

Hierbei hat er auch nach dem EuGH einen gewissen Spielraum, der ausgeschöpft werden kann, um praxistaugliche Lösungen hinsichtlich der Form und ggf. unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs und der Größe des Unternehmens zu schaffen. Spätestens nach der Umsetzung in nationales Recht muss jedes Unternehmen die rechtlichen Vorgaben prüfen und bestehende Arbeitszeiterfassungssysteme ggf. anpassen.

Im Ergebnis …

… ist das Urteil in jedem Falle ernst zu nehmen. Selbst wenn nach Anpassung der Arbeitszeitgesetze durch den nationalen Gesetzgeber keine Rückkehr zur Stechuhr erfolgt, muss das Urteil dennoch von allen Gerichten beachtet werden, sodass eine Anpassung ggf. dennoch notwendig wird. Wichtig für Unternehmen und Arbeitgeber sind folgende Schritte:

  • entsprechende Umsetzung der Rechtsprechung in Unternehmen
  • durch praxistaugliche Lösungen, falls möglich mit den technisch-organisatorischen Mitteln der Zeit
  • mit einem der Unternehmensgröße verhältnismäßigen Aufwand
  • und regelmäßige Aktualisierung des Kenntnisstandes, insb. hinsichtlich der zu erwartenden nationalen Umsetzung.

Das Arbeitszeit-Urteil des EuGH: Rückkehr zur Stechuhr oder heiße Luft?

Am 14. Mai 2019 hat der EuGH ein „bahnbrechendes“ Urteil, das teilweise schon als „Stechuhr-Urteil“ bekannt geworden ist, zur Arbeitszeiterfassung gefällt (Rechtssache C-55/18). Danach müssen die Mitgliedsstaaten in den nationalen Arbeitszeitvorschriften sicherstellen, dass die von jedem Arbeitnehmer täglich geleistete Arbeitszeit gemessen wird. Nach der ersten Aufregung über das Urteil stellen sich dringende Fragen, darunter v.a.: Welche Folgen hat das Urteil? Und wie geht es vorerst weiter? 

Die Reaktionen der Politik

Die ersten Positionierungen deutscher Politiker, insb. aus der Großen Koalition, gingen weit auseinander. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sieht vorerst keinen Handlungsbedarf in Deutschland. Er kündigte an, sein Ressort werde ein Rechtsgutachten in Auftrag geben, um zu klären, ob das Urteil überhaupt umgesetzt werden muss. Der CDU-Politiker warnte vor zusätzlicher Bürokratie für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. „Das Urteil weist in die falsche Richtung. Es ist der falsche Weg, die Stechuhr wieder überall einzuführen.“ Dagegen wendete sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD): „Kein verantwortlicher Minister der Bundesregierung sollte bestehendes Recht und Gesetz ignorieren“, sagte er. Er kündigte Vorschläge für Gesetzesänderungen in der zweiten Jahreshälfte an.

Der Hintergrund des Urteils

In dem Gerichtsverfahren stritt sich eine spanische Gewerkschaft mit einem Unternehmen der Deutschen Bank v.a. über die Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) und ihre Auswirkung auf nationales Recht zur Arbeitszeiterfassung. Daraufhin hatte der EuGH insbesondere die Frage nach der Reichweite der Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitgeber zu entscheiden.

Was verlangt der EuGH?

Die Anforderungen des EuGH sind hoch und legen jedenfalls nahe, dass eine vollständige Arbeitszeiterfassung inklusive der Aufzeichnung der Verteilung der Arbeitszeit innerhalb des Tages erforderlich wird.

Dabei legt der EuGH konkret fest, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System mit folgenden Eigenschaften zur Arbeitszeiterfassung einzurichten:

  • objektiv,
  • verlässlich und
  • zugänglich.

So solle anhand der Aufzeichnungen nicht nur beurteilt werden können, ob Überstunden vorliegen, sondern auch, ob Ruhezeiten eingehalten werden. Das würde z.B. auch ein kurzes E-Mail-Checken am Abend, Telefonate und den Austausch von Kurznachrichten unter Kollegen aufzeichnungspflichtig machen.

Wo besteht Handlungsbedarf?

Anpassungsbedarf besteht vor allem in Bereichen, in denen bisher Vertrauensarbeitszeit und/oder eine Delegation von Aufzeichnungspflichten auf Arbeitnehmer praktiziert wird. Für die betroffenen Bereiche wäre nach der Entscheidung eine praxistaugliche Lösung zur Arbeitszeiterfassung erforderlich. Als mögliche Lösung käme neben der Einbindung in bestehende Arbeitszeiterfassungssysteme z.B. die Einführung einer Arbeitszeiterfassung per App oder über eine Projektsoftware in Betracht. Wir begleiten die Einführung entsprechender Systeme bei einigen Mandanten bereits. Bei entsprechender Gestaltung kann auch Vertrauensarbeitszeit weiterhin praktiziert werden.

Bereiche, in denen bereits heute mit „Stechuhr“ oder anderer Zeiterfassungsmethoden gearbeitet wird, sind voraussichtlich nicht oder geringer betroffen.

Ab wann besteht Handlungsbedarf?

Es ist aufgrund der Einbeziehung der EU-Grundrechte in die Entscheidung nicht auszuschließen, dass die Anforderungen durch die nationale Rechtsprechung ab sofort umgesetzt werden müssen.

Der Handlungsbedarf ist daher dringend. Trotz des Streits in der Großen Koalition über die Umsetzung der Rechtsprechung wird voraussichtlich jedenfalls mittelfristig der deutsche Gesetzgeber reagieren und die deutschen Arbeitszeitregelungen an die EuGH-Rechtsprechung anpassen.

Hierbei hat er auch nach dem EuGH einen gewissen Spielraum, der ausgeschöpft werden kann, um praxistaugliche Lösungen hinsichtlich der Form und ggf. unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs und der Größe des Unternehmens zu schaffen. Spätestens nach der Umsetzung in nationales Recht muss jedes Unternehmen die rechtlichen Vorgaben prüfen und bestehende Arbeitszeiterfassungssysteme ggf. anpassen.

Im Ergebnis …

… ist das Urteil in jedem Falle ernst zu nehmen. Selbst wenn nach Anpassung der Arbeitszeitgesetze durch den nationalen Gesetzgeber keine Rückkehr zur Stechuhr erfolgt, muss das Urteil dennoch von allen Gerichten beachtet werden, sodass eine Anpassung ggf. dennoch notwendig wird. Wichtig für Unternehmen und Arbeitgeber sind folgende Schritte:

  • entsprechende Umsetzung der Rechtsprechung in Unternehmen
  • durch praxistaugliche Lösungen, falls möglich mit den technisch-organisatorischen Mitteln der Zeit
  • mit einem der Unternehmensgröße verhältnismäßigen Aufwand
  • und regelmäßige Aktualisierung des Kenntnisstandes, insb. hinsichtlich der zu erwartenden nationalen Umsetzung.
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