LAG Niedersachsen v. 8. Juli 2024 – 15 SLa 127/24
Fakten
Der Entscheidung des LAG Niedersachsen lag zusammengefasst folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Arbeitnehmer wollte sich für den 06.07.2023 Urlaub nehmen, um an einem Trainer-Lehrgang teilzunehmen. Der Urlaub wurde dem Arbeitnehmer nicht gewährt. Am 05.07.2023 teilte der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber telefonisch mit, dass er krank sei und legte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 05.07.2023 bis 07.07.2023 vor. Am 06.07.2023 nahm der Arbeitnehmer an dem Trainer-Lehrgang teil. Im Rahmen einer anschließenden Anhörung des Arbeitgebers wegen des Verdachts der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit teilte der Arbeitnehmer mit, dass er am 05.07.2023 starke Krankheitssymptome gehabt hätte. Nach einem Arztbesuch und der Einnahme der verschriebenen Medikamente sei jedoch umgehend Besserung eingetreten, sodass er am 06.07. beschlossen habe, am Lehrgang teilzunehmen. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Das Arbeitsgericht Osnabrück wies die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers zurück.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht Nürnberg bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Osnabrück. Grundsätzliche obliege zwar dem Arbeitgeber der Vollbeweis für das Vorliegen eines die Kündigung rechtfertigenden Grundes. Vom Arbeitgeber könne aber nicht verlangt werden nachzuweisen, dass irgendeine Erkrankung im Zeitpunkt der erfolgten Ankündigung einer künftigen Krankmeldung überhaupt nicht vorgelegen habe. Im Rahmen der sekundären Darlegungslast müsse der Arbeitnehmer vortragen, welche konkreten Krankheiten bzw. Symptome vorgelegen hätten und weshalb der Arbeitnehmer darauf schließen durfte, noch am Tag der begehrten Freistellung arbeitsunfähig gewesen zu sein. Der sekundären Darlegungslast konnte der Arbeitnehmer nicht bereits durch die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachkommen, da deren Beweiswert erschüttert war. Zweifel an dem Beweiswert ergaben sich zunächst daraus, dass diese für einen Zeitraum ausgestellt worden war, für den der Arbeitnehmer zuvor Urlaub begehrte. Diese Zweifel wurden dadurch verstärkt, dass der Arbeitnehmer, wie von ihm beabsichtigt, an dem Lehrgang tatsächlich teilgenommen und keine genauen Angaben zur Ursache seiner Arbeitsunfähigkeit gemacht habe. Damit habe der Arbeitnehmer über die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hinaus keinen ausreichenden Sachvortrag geleistet, um seiner sekundären Darlegungslast nachzukommen.
Folgen der Entscheidung
Einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt weiterhin ein hoher Beweiswert zu. Der Arbeitgeber kann diesen daher nicht durch einfaches Bestreiten mit Nichtwissen erschüttern, sondern nur indem er Umstände vorträgt und im Bestreitensfall beweist, die ernsthafte Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen. Sodann muss der Arbeitnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast über die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hinaus ausreichenden Vortrag leisten, die den Schluss auf eine bestehende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zulassen.
Hinweise für die Praxis
Die Entscheidung des LAG Niedersachsen reiht sich ein in die zuletzt ergangenen Entscheidungen zum Erschüttern des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. So hatte das Bundesarbeitsgericht bereits 2021 entschieden, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sein kann, wenn eine am Tag der Eigenkündigung des Arbeitnehmers ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdecke. Dies wurde in einem ähnlich gelagerten Fall vom Bundesarbeitsgericht 2024 nochmals bestätigt. Durch die Entscheidung des LAG Niedersachsen ist eine weitere Fallkonstellation dazu gekommen, die den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern kann.