Autoren
Dr. Roua Schmitz
Datum

10. Mai 2023

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Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat den lange erwarteten Referentenentwurf zur Neufassung des Arbeitszeitgesetzes (nachfolgend: Referentenentwurf) vorgelegt. Darin sollen die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur bereits jetzt verpflichtenden Arbeitszeiterfassung näher ausgestaltet werden. Ist mit dem Referentenentwurf der große Coup gelungen oder bleiben weiterhin Fragen zum Thema Arbeitszeiterfassung offen?

Hintergrund

Der Referentenentwurf ist die mit großer Spannung erwartete Reaktion des BMAS auf die Entscheidungen des EuGH, Urteil v. 14.05.2019, Az. C-5/16 (CCOO Entscheidung) und des BAG, Urteil v. 13.09.2022, Az. 1 ABR 22/21. Abweichend von der bis dahin in der Praxis üblichen Handhabung lediglich Überstunden nach § 16 Abs. 2  Arbeitszeitgesetz (ArbZG) aufzuzeichnen, stellte das BAG in Umsetzung des EuGH Urteils vom 14.05.2019 eine Pflicht zur generellen Aufzeichnung der Arbeitszeit fest. In Ermangelung einer passenden gesetzlichen Grundlage leitete es diese Pflicht aus den Grundpflichten des Arbeitgebers zum Arbeitsschutz her, konkret aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG).

Blog: „Stechuhr“-Entscheidung des BAG – Was ist wirklich neu und was gilt bei Verstößen?

Das stieß zu Recht auf Kritik, da der personelle Geltungsbereich im ArbSchG weiter ist als der des ArbZG. Denn anders als das ArbZG gilt das ArbSchG auch für leitende Angestellte und z.B. Chefärzte. Angesichts dessen und des generellen Charakters von § 3 Abs. 2 ArbSchG ist daher eine baldige gesetzgeberische Klärung überfällig. Was sieht nun der Referentenentwurf konkret vor?

Pflicht zur taggleichen elektronischen Zeiterfassung

Im Referentenentwurf wird insbesondere der bisherige § 16 Abs. 2 ArbZG erweitert indem ausdrücklich die allgemeine Pflicht von Arbeitgebern aufgenommen wird, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit am Tag der Arbeitsleistung elektronisch zu erfassen. Dabei dürfen neben den üblichen Zeiterfassungsgeräten auch andere Formen der elektronischen Aufzeichnung genutzt werden. Der Entwurf spricht beispielhaft von der elektronischen Aufzeichnung durch Apps auf Mobiltelefonen oder herkömmlichen Tabellenkalkulationsprogrammen wie beispielsweise Excel. 

Darüber hinaus muss die Erfassung grundsätzlich am selben Tag wie die geleistete Arbeit erfolgen. Damit verzichtet der Referentenentwurf auf einen Gleichlauf mit der Regelungen aus § 17 Abs. 1 S. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG). Denn gem. § 17 Abs. 1 S. 1 MiLoG reicht eine Erfassung spätestens zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertag aus. Offen bleibt, wie die Harmonisierung der Regelung mit der des Referentenentwurfs aussehen soll.

Der Arbeitgeber wird zudem grundsätzlich verpflichtet, die Aufzeichnungen zwei Jahre in deutscher Sprache aufzubewahren, § 16 Abs. 2 S. 3 Referentenentwurf. Auf Verlangen der Aufsichtsbehörde sind die Unterlagen auch am Ort der Beschäftigung bereitzuhalten.

Gem. § 16 Abs. 5 des Referentenentwurfs sollen Arbeitgeber zudem verpflichtet sein, den Arbeitnehmer auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren und eine Kopie der Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen.

Damit geht der Referentenentwurf insgesamt über die Entscheidung des BAG hinaus.

Sind Abweichungen möglich? 

Von den vorbezeichneten Pflichten sollen Abweichungen in folgenden Fällen möglich sein:

  • In der Übergangszeit – dessen Dauer von der Betriebsgröße abhängig ist (§ 16 Abs. 8 S. 1–2 Referentenentwurf), 
  • Wenn ein Tarifvertrag oder eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung aufgrund eines Tarifvertrages dies zulässt (§ 16 Abs. 7 Nr. 1 Referentenentwurf) oder 
  • Wenn der Arbeitgeber nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt (§ 16 Abs. 8 S. 3 Referentenentwurf).

Welche Abweichungen können vereinbart werden?

In einem Tarifvertrag oder in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung aufgrund eines Tarifvertrags können Abweichungen 

  • von der elektronischen Form,
  • von dem Zeitpunkt der Aufzeichnung, sofern diese bis zu sieben Tage nach der Arbeitsleistung erfolgt,
  • für Arbeitnehmer, bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von ihnen selbst festgelegt werden kann (§ 16 Abs. 7 Nr. 3 Referentenentwurf),

vereinbart werden.

Die letzte Abweichung beruht hauptsächlich auf Art. 17 Abs. 1 der europäischen Arbeitszeitrichtlinie. Exemplarisch für die Anwendung des § 16 Abs. 7 Nr. 3 Referentenentwurf nennt der Referentenentwurf Führungskräfte, herausgehobene Experten und Wissenschaftler die nicht verpflichtet sind, zu festgesetzten Zeiten am Arbeitsplatz anwesend zu sein, sondern über den Umfang und die Einteilung ihrer Arbeitszeit selbst entscheiden können. 

Im Amtsblatt der europäischen Union werden diese Mitarbeiter als sog. „autonome Arbeitnehmer“ bezeichnet. Darunter sollen „leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis“ als „nicht abschließende Beispiele“ fallen. Insoweit bietet die Regelung einen großen Auslegungsspielraum. 

Die Möglichkeit von diesen sinnvollen und praxisrelevanten Ausnahmen gebraucht zu machen, verbleibt jedoch ausschließlich einer tarifrechtlichen Regelung. Insofern ist der Referentenentwurf deutlich strenger als die ihm zugrundeliegenden europarechtlichen Vorgaben.

Sind Ausnahmen für bestimmte Mitarbeitergruppen vorgesehen?

Der derzeit geltende § 18 Abs. 1 ArbZG, der bestimmte Beschäftigtengruppen wie z.B. leitende Angestellte i.S.v. § 5 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und Chefärzte vollständig von der Geltung des ArbZG ausnimmt, wurde nicht verändert. Es bleibt daher bei den jetzigen Ausnahmen, sodass z.B. leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG grundsätzlich ohne jegliche Grenzen nach dem ArbZG (auch in Vertrauensarbeitszeit) arbeiten dürfen. 

Eine Erweiterung der Ausnahmevorschrift in § 18 ArbZG wäre jedoch für den Gesetzgeber auf Grundlage der EuGH Rechtsprechung bzw. des Art. 17 Abs. 1 der europäischen Arbeitszeitrichtlinie durchaus möglich gewesen. So werden auch in anderen Mitgliedstaaten, wie etwa Frankreich, Führungskräfte nach Maßgabe der Öffnungsklausel des Art. 17 Abs. 1 der europäischen Arbeitszeitrichtlinie ausgenommen, sofern sie die Autonomie haben, ihre Arbeitszeit und Organisation im Wesentlichen selbst festzulegen. Auch hatte der EuGH in der Entscheidung CCOO ausdrücklich hervorgehoben, dass auf der Grundlage des Art. 17 der europäischen Arbeitszeitrichtlinie „die Mitgliedstaaten unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer Ausnahmen u.a. von den Art. 3 – 6 dieser Richtlinie vornehmen dürfen, wenn die Dauer der Arbeitszeit wegen „besonderer Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht bemessen und/oder vorherbestimmt ist oder von den Arbeitnehmern selbst bestimmt werden kann.“

Delegation der Aufzeichnungspflicht und Vertrauensarbeitszeit

Auch nach der Konzeption des Referentenentwurfs können Arbeitgeber die Aufzeichnung an Arbeitnehmer oder Dritte (z.B. Vorgesetzte oder Entleiher von Leiharbeitnehmern) delegieren. Diese Möglichkeit ist nunmehr explizit in § 16 Abs. 3 des Referentenentwurfs vorgesehen. Grundlegend ergibt sich insofern keine Abweichung zur (mutmaßlichen) Rechtslage seit der BAG-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung.

Blog: „Stechuhr“-Entscheidung des BAG – Was ist wirklich neu und was gilt bei Verstößen?

Auch weist der Entwurf weiterhin dem Arbeitgeber die Verantwortung für die ordnungsgemäße Aufzeichnung zu. Mache der Arbeitgeber von der Delegationsmöglichkeit Gebrauch, so hat er ausweislich der Entwurfsbegründung dafür Sorge zu tragen, dass Arbeitnehmer oder Dritte über die Erfassungspflicht umfassend informiert sind und zur ordnungsgemäßen Durchführung der Zeiterfassung im Rahmen des bestimmten Systems und/oder Programms – etwa durch betriebsinterne Schulungen – befähigt sind. Daneben ist erforderlich, dass Arbeitgeber die ordnungsgemäße Umsetzung jedenfalls stichprobenartig kontrollieren. Stellen Arbeitsschutzbehörden im Rahmen von Kontrolluntersuchungen Verstöße fest, können sich Arbeitgeber gegebenenfalls der Haftung entziehen, wenn sie nachweisen können diesen Pflichten ordnungsgemäß nachgekommen zu sein und dazu feststeht, dass der Verstoß ausschließlich auf dem (Fehl-)Verhalten des Aufzeichnenden (Arbeitnehmer oder Dritten) beruht.

Nach § 16 Abs. 4 Referentenentwurf soll auch die Vertrauensarbeitszeit möglich bleiben. Diese liegt nach dem Entwurfsverständnis vor, wenn Arbeitgeber die Arbeitszeiterfassung delegieren und auf die Festlegung von Beginn und Ende der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichten. Insoweit orientiert sich der Referentenentwurf an der Definition von Vertrauensarbeitszeit nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG.

Besonders zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass Arbeitgeber auch hier das Arbeitszeitschutzrecht einzuhalten haben und sicherstellen müssen, dass ihnen Verstöße dagegen bekannt werden. Eine taugliche Umsetzungsvariante sieht das BMAS in einer entsprechenden (automatischen) Meldung eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems. Weitergehende Vorschläge finden sich jedoch nicht.

Sowohl die Delegation als auch die Vertrauensarbeitszeit dürften wesentliche Vertragsregelungen i.S.v. § 2 Abs. 1 S. 1 Nachweisgesetz (NachwG) darstellen, weswegen sich eine schriftliche Dokumentation im Arbeitsvertrag oder ein schriftlicher Nachtrag hierzu empfiehlt.

Unmittelbare Bußgeldpflicht bei Verstößen

Der Referentenentwurf sieht im neuen § 22 Abs. 1 Nr. 9 ArbZG nunmehr eine Bußgeldbewährung vor. Danach würden Arbeitgeber ordnungswidrig handeln, wenn sie

  • vorsätzlich oder fahrlässig Aufzeichnungen über die Arbeitszeit nicht oder nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig erstellen oder
  • nicht, nicht vollständig oder nicht mindestens zwei Jahre aufbewahren oder
  • Aufzeichnungen nicht, nicht vollständig oder nicht für die vorgeschriebene Dauer bereithalten.

Für Arbeitgeber drohen Geldbußen von bis zu EUR 30.000,00. 

Da die Erfassungspflicht für alle Arbeitnehmer nach dem ArbZG gilt, hat eine generelle Verweigerung der Arbeitszeiterfassung gleichzeitig mehrere Verstöße zur Folge, was auch bei der Bemessung von Bußgeldern eine Rolle spielen kann.

Damit hebt sich der Referentenentwurf auch an dieser Stelle von der Entscheidung des BAG ab. Das BAG hatte die Aufzeichnungspflicht bekanntlich aus dem Arbeitsschutzgesetz hergeleitet. Ebendieses belegt jedoch ausschließlich den Verstoß gegen eine konkrete Anordnung der Arbeitsschutzbehörde mit Strafe (§ 25 Abs. 1 Nr. 2 ArbSchG). Auch insoweit gestaltet sich der Referentenentwurf als deutlich „schärfer“, als das vorgegangen Urteil des BAG und auch die zugrundeliegende europäische Richtlinie.

Blog: „Stechuhr“-Entscheidung des BAG – Was ist wirklich neu und was gilt bei Verstößen?

Was bleibt offen?

Der Referentenentwurf versäumt es mehrfach klarstellende Regelungen zu treffen.

Zum einen äußert sich der Entwurf nicht zu Ruhe- und Pausenzeiten. Es bleibt damit offen, ob die Aufzeichnung der Arbeitszeit Rückschlüsse auf die Einhaltung der Pausen- und Ruhezeiten zulässt. Der Entwurf beschränkt sich auf die Zeiterfassung hinsichtlich Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit.

Zum anderen schweigt der Entwurf zur Behandlung von geringfügigen Unterbrechungen der Ruhezeit oder Unterbrechungen, die den Arbeitnehmer kaum belasten, bspw. das kurze Beantworten von E-Mails oder Telefonaten nach Feierabend. Ob dies die Ruhezeit unterbricht und ob dafür auch eine Zeiterfassungspflicht besteht, bleibt offen. Es bleibt daher bei der derzeitigen auslegungsbedürftigen Rechtslage.

Zuletzt bleibt auch die Zukunft der Zeiterfassung im Home- und Mobile-Office ungewiss. Obwohl das Home-Office spätestens seit der Coronapandemie für viele Arbeitnehmende nicht mehr wegzudenken ist, trifft der Referentenentwurf keine Regelung für das Arbeiten im Home- oder Mobile-Office. Insoweit verbleibt dem Arbeitgeber im Rahmen der Grenzen des ArbZG weiterhin ein Gestaltungsspielraum.

Fazit

Der Entwurf bringt letztlich zwar in Teilen Licht ins Dunkel des Komplexes der Arbeitszeiterfassung. Von echter Rechtssicherheit kann jedoch nicht die Rede sein. Sehr bedauerlich verbleibt, dass der Referentenentwurf eine dringend notwendige Überarbeitung des ArbZG,– wie etwa bzgl. der Höchstarbeits- und Ruhezeiten sowie eine Erweiterung der Ausnahmevorschriften des § 18 ArbZG – nicht vorsieht.

Es bleibt abzuwarten, welchen Weg der Entwurf im Gesetzgebungsverfahren nehmen wird. Dennoch ist eine klare Richtung zu erkennen: Arbeitgeber sollen dazu angehalten werden, ihre Zeiterfassungssysteme zu prüfen und soweit notwendig zu erneuern.

Klar ist daher, wer bislang noch kein Arbeitszeiterfassungssystem eingerichtet hat, sollte dies zeitnah in Angriff nehmen. Dies gilt nunmehr auch für elektronische Zeiterfassungssysteme. Vor dem Hintergrund des Referentenentwurfes kämen z.B. die Einführung einer Arbeitszeiterfassung per App oder über eine Projektsoftware in Betracht. 

Deutlich komplexer als die Einführung eines Zeiterfassungssystems dürfte jedoch die Delegation als auch die Kontrolle der internen Prozesse zur Zeiterfassung sein. Dabei wäre insbesondere darauf zu achten, dass keine Verstöße gegen das ArbZG vorliegen und dokumentiert werden.

Insbesondere hinsichtlich der geplanten signifikanten Bußgeldandrohung lohnt es sich für Arbeitgeber nicht zuletzt unter Compliance-Gesichtspunkten, sich sehr zeitnah mit der zukünftigen Arbeitszeiterfassung im Unternehmen auseinanderzusetzen. 

Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat den lange erwarteten Referentenentwurf zur Neufassung des Arbeitszeitgesetzes (nachfolgend: Referentenentwurf) vorgelegt. Darin sollen die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur bereits jetzt verpflichtenden Arbeitszeiterfassung näher ausgestaltet werden. Ist mit dem Referentenentwurf der große Coup gelungen oder bleiben weiterhin Fragen zum Thema Arbeitszeiterfassung offen?

Hintergrund

Der Referentenentwurf ist die mit großer Spannung erwartete Reaktion des BMAS auf die Entscheidungen des EuGH, Urteil v. 14.05.2019, Az. C-5/16 (CCOO Entscheidung) und des BAG, Urteil v. 13.09.2022, Az. 1 ABR 22/21. Abweichend von der bis dahin in der Praxis üblichen Handhabung lediglich Überstunden nach § 16 Abs. 2  Arbeitszeitgesetz (ArbZG) aufzuzeichnen, stellte das BAG in Umsetzung des EuGH Urteils vom 14.05.2019 eine Pflicht zur generellen Aufzeichnung der Arbeitszeit fest. In Ermangelung einer passenden gesetzlichen Grundlage leitete es diese Pflicht aus den Grundpflichten des Arbeitgebers zum Arbeitsschutz her, konkret aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG).

Blog: „Stechuhr“-Entscheidung des BAG – Was ist wirklich neu und was gilt bei Verstößen?

Das stieß zu Recht auf Kritik, da der personelle Geltungsbereich im ArbSchG weiter ist als der des ArbZG. Denn anders als das ArbZG gilt das ArbSchG auch für leitende Angestellte und z.B. Chefärzte. Angesichts dessen und des generellen Charakters von § 3 Abs. 2 ArbSchG ist daher eine baldige gesetzgeberische Klärung überfällig. Was sieht nun der Referentenentwurf konkret vor?

Pflicht zur taggleichen elektronischen Zeiterfassung

Im Referentenentwurf wird insbesondere der bisherige § 16 Abs. 2 ArbZG erweitert indem ausdrücklich die allgemeine Pflicht von Arbeitgebern aufgenommen wird, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit am Tag der Arbeitsleistung elektronisch zu erfassen. Dabei dürfen neben den üblichen Zeiterfassungsgeräten auch andere Formen der elektronischen Aufzeichnung genutzt werden. Der Entwurf spricht beispielhaft von der elektronischen Aufzeichnung durch Apps auf Mobiltelefonen oder herkömmlichen Tabellenkalkulationsprogrammen wie beispielsweise Excel. 

Darüber hinaus muss die Erfassung grundsätzlich am selben Tag wie die geleistete Arbeit erfolgen. Damit verzichtet der Referentenentwurf auf einen Gleichlauf mit der Regelungen aus § 17 Abs. 1 S. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG). Denn gem. § 17 Abs. 1 S. 1 MiLoG reicht eine Erfassung spätestens zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertag aus. Offen bleibt, wie die Harmonisierung der Regelung mit der des Referentenentwurfs aussehen soll.

Der Arbeitgeber wird zudem grundsätzlich verpflichtet, die Aufzeichnungen zwei Jahre in deutscher Sprache aufzubewahren, § 16 Abs. 2 S. 3 Referentenentwurf. Auf Verlangen der Aufsichtsbehörde sind die Unterlagen auch am Ort der Beschäftigung bereitzuhalten.

Gem. § 16 Abs. 5 des Referentenentwurfs sollen Arbeitgeber zudem verpflichtet sein, den Arbeitnehmer auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren und eine Kopie der Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen.

Damit geht der Referentenentwurf insgesamt über die Entscheidung des BAG hinaus.

Sind Abweichungen möglich? 

Von den vorbezeichneten Pflichten sollen Abweichungen in folgenden Fällen möglich sein:

  • In der Übergangszeit – dessen Dauer von der Betriebsgröße abhängig ist (§ 16 Abs. 8 S. 1–2 Referentenentwurf), 
  • Wenn ein Tarifvertrag oder eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung aufgrund eines Tarifvertrages dies zulässt (§ 16 Abs. 7 Nr. 1 Referentenentwurf) oder 
  • Wenn der Arbeitgeber nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt (§ 16 Abs. 8 S. 3 Referentenentwurf).

Welche Abweichungen können vereinbart werden?

In einem Tarifvertrag oder in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung aufgrund eines Tarifvertrags können Abweichungen 

  • von der elektronischen Form,
  • von dem Zeitpunkt der Aufzeichnung, sofern diese bis zu sieben Tage nach der Arbeitsleistung erfolgt,
  • für Arbeitnehmer, bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von ihnen selbst festgelegt werden kann (§ 16 Abs. 7 Nr. 3 Referentenentwurf),

vereinbart werden.

Die letzte Abweichung beruht hauptsächlich auf Art. 17 Abs. 1 der europäischen Arbeitszeitrichtlinie. Exemplarisch für die Anwendung des § 16 Abs. 7 Nr. 3 Referentenentwurf nennt der Referentenentwurf Führungskräfte, herausgehobene Experten und Wissenschaftler die nicht verpflichtet sind, zu festgesetzten Zeiten am Arbeitsplatz anwesend zu sein, sondern über den Umfang und die Einteilung ihrer Arbeitszeit selbst entscheiden können. 

Im Amtsblatt der europäischen Union werden diese Mitarbeiter als sog. „autonome Arbeitnehmer“ bezeichnet. Darunter sollen „leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis“ als „nicht abschließende Beispiele“ fallen. Insoweit bietet die Regelung einen großen Auslegungsspielraum. 

Die Möglichkeit von diesen sinnvollen und praxisrelevanten Ausnahmen gebraucht zu machen, verbleibt jedoch ausschließlich einer tarifrechtlichen Regelung. Insofern ist der Referentenentwurf deutlich strenger als die ihm zugrundeliegenden europarechtlichen Vorgaben.

Sind Ausnahmen für bestimmte Mitarbeitergruppen vorgesehen?

Der derzeit geltende § 18 Abs. 1 ArbZG, der bestimmte Beschäftigtengruppen wie z.B. leitende Angestellte i.S.v. § 5 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und Chefärzte vollständig von der Geltung des ArbZG ausnimmt, wurde nicht verändert. Es bleibt daher bei den jetzigen Ausnahmen, sodass z.B. leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG grundsätzlich ohne jegliche Grenzen nach dem ArbZG (auch in Vertrauensarbeitszeit) arbeiten dürfen. 

Eine Erweiterung der Ausnahmevorschrift in § 18 ArbZG wäre jedoch für den Gesetzgeber auf Grundlage der EuGH Rechtsprechung bzw. des Art. 17 Abs. 1 der europäischen Arbeitszeitrichtlinie durchaus möglich gewesen. So werden auch in anderen Mitgliedstaaten, wie etwa Frankreich, Führungskräfte nach Maßgabe der Öffnungsklausel des Art. 17 Abs. 1 der europäischen Arbeitszeitrichtlinie ausgenommen, sofern sie die Autonomie haben, ihre Arbeitszeit und Organisation im Wesentlichen selbst festzulegen. Auch hatte der EuGH in der Entscheidung CCOO ausdrücklich hervorgehoben, dass auf der Grundlage des Art. 17 der europäischen Arbeitszeitrichtlinie „die Mitgliedstaaten unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer Ausnahmen u.a. von den Art. 3 – 6 dieser Richtlinie vornehmen dürfen, wenn die Dauer der Arbeitszeit wegen „besonderer Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht bemessen und/oder vorherbestimmt ist oder von den Arbeitnehmern selbst bestimmt werden kann.“

Delegation der Aufzeichnungspflicht und Vertrauensarbeitszeit

Auch nach der Konzeption des Referentenentwurfs können Arbeitgeber die Aufzeichnung an Arbeitnehmer oder Dritte (z.B. Vorgesetzte oder Entleiher von Leiharbeitnehmern) delegieren. Diese Möglichkeit ist nunmehr explizit in § 16 Abs. 3 des Referentenentwurfs vorgesehen. Grundlegend ergibt sich insofern keine Abweichung zur (mutmaßlichen) Rechtslage seit der BAG-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung.

Blog: „Stechuhr“-Entscheidung des BAG – Was ist wirklich neu und was gilt bei Verstößen?

Auch weist der Entwurf weiterhin dem Arbeitgeber die Verantwortung für die ordnungsgemäße Aufzeichnung zu. Mache der Arbeitgeber von der Delegationsmöglichkeit Gebrauch, so hat er ausweislich der Entwurfsbegründung dafür Sorge zu tragen, dass Arbeitnehmer oder Dritte über die Erfassungspflicht umfassend informiert sind und zur ordnungsgemäßen Durchführung der Zeiterfassung im Rahmen des bestimmten Systems und/oder Programms – etwa durch betriebsinterne Schulungen – befähigt sind. Daneben ist erforderlich, dass Arbeitgeber die ordnungsgemäße Umsetzung jedenfalls stichprobenartig kontrollieren. Stellen Arbeitsschutzbehörden im Rahmen von Kontrolluntersuchungen Verstöße fest, können sich Arbeitgeber gegebenenfalls der Haftung entziehen, wenn sie nachweisen können diesen Pflichten ordnungsgemäß nachgekommen zu sein und dazu feststeht, dass der Verstoß ausschließlich auf dem (Fehl-)Verhalten des Aufzeichnenden (Arbeitnehmer oder Dritten) beruht.

Nach § 16 Abs. 4 Referentenentwurf soll auch die Vertrauensarbeitszeit möglich bleiben. Diese liegt nach dem Entwurfsverständnis vor, wenn Arbeitgeber die Arbeitszeiterfassung delegieren und auf die Festlegung von Beginn und Ende der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichten. Insoweit orientiert sich der Referentenentwurf an der Definition von Vertrauensarbeitszeit nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG.

Besonders zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass Arbeitgeber auch hier das Arbeitszeitschutzrecht einzuhalten haben und sicherstellen müssen, dass ihnen Verstöße dagegen bekannt werden. Eine taugliche Umsetzungsvariante sieht das BMAS in einer entsprechenden (automatischen) Meldung eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems. Weitergehende Vorschläge finden sich jedoch nicht.

Sowohl die Delegation als auch die Vertrauensarbeitszeit dürften wesentliche Vertragsregelungen i.S.v. § 2 Abs. 1 S. 1 Nachweisgesetz (NachwG) darstellen, weswegen sich eine schriftliche Dokumentation im Arbeitsvertrag oder ein schriftlicher Nachtrag hierzu empfiehlt.

Unmittelbare Bußgeldpflicht bei Verstößen

Der Referentenentwurf sieht im neuen § 22 Abs. 1 Nr. 9 ArbZG nunmehr eine Bußgeldbewährung vor. Danach würden Arbeitgeber ordnungswidrig handeln, wenn sie

  • vorsätzlich oder fahrlässig Aufzeichnungen über die Arbeitszeit nicht oder nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig erstellen oder
  • nicht, nicht vollständig oder nicht mindestens zwei Jahre aufbewahren oder
  • Aufzeichnungen nicht, nicht vollständig oder nicht für die vorgeschriebene Dauer bereithalten.

Für Arbeitgeber drohen Geldbußen von bis zu EUR 30.000,00. 

Da die Erfassungspflicht für alle Arbeitnehmer nach dem ArbZG gilt, hat eine generelle Verweigerung der Arbeitszeiterfassung gleichzeitig mehrere Verstöße zur Folge, was auch bei der Bemessung von Bußgeldern eine Rolle spielen kann.

Damit hebt sich der Referentenentwurf auch an dieser Stelle von der Entscheidung des BAG ab. Das BAG hatte die Aufzeichnungspflicht bekanntlich aus dem Arbeitsschutzgesetz hergeleitet. Ebendieses belegt jedoch ausschließlich den Verstoß gegen eine konkrete Anordnung der Arbeitsschutzbehörde mit Strafe (§ 25 Abs. 1 Nr. 2 ArbSchG). Auch insoweit gestaltet sich der Referentenentwurf als deutlich „schärfer“, als das vorgegangen Urteil des BAG und auch die zugrundeliegende europäische Richtlinie.

Blog: „Stechuhr“-Entscheidung des BAG – Was ist wirklich neu und was gilt bei Verstößen?

Was bleibt offen?

Der Referentenentwurf versäumt es mehrfach klarstellende Regelungen zu treffen.

Zum einen äußert sich der Entwurf nicht zu Ruhe- und Pausenzeiten. Es bleibt damit offen, ob die Aufzeichnung der Arbeitszeit Rückschlüsse auf die Einhaltung der Pausen- und Ruhezeiten zulässt. Der Entwurf beschränkt sich auf die Zeiterfassung hinsichtlich Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit.

Zum anderen schweigt der Entwurf zur Behandlung von geringfügigen Unterbrechungen der Ruhezeit oder Unterbrechungen, die den Arbeitnehmer kaum belasten, bspw. das kurze Beantworten von E-Mails oder Telefonaten nach Feierabend. Ob dies die Ruhezeit unterbricht und ob dafür auch eine Zeiterfassungspflicht besteht, bleibt offen. Es bleibt daher bei der derzeitigen auslegungsbedürftigen Rechtslage.

Zuletzt bleibt auch die Zukunft der Zeiterfassung im Home- und Mobile-Office ungewiss. Obwohl das Home-Office spätestens seit der Coronapandemie für viele Arbeitnehmende nicht mehr wegzudenken ist, trifft der Referentenentwurf keine Regelung für das Arbeiten im Home- oder Mobile-Office. Insoweit verbleibt dem Arbeitgeber im Rahmen der Grenzen des ArbZG weiterhin ein Gestaltungsspielraum.

Fazit

Der Entwurf bringt letztlich zwar in Teilen Licht ins Dunkel des Komplexes der Arbeitszeiterfassung. Von echter Rechtssicherheit kann jedoch nicht die Rede sein. Sehr bedauerlich verbleibt, dass der Referentenentwurf eine dringend notwendige Überarbeitung des ArbZG,– wie etwa bzgl. der Höchstarbeits- und Ruhezeiten sowie eine Erweiterung der Ausnahmevorschriften des § 18 ArbZG – nicht vorsieht.

Es bleibt abzuwarten, welchen Weg der Entwurf im Gesetzgebungsverfahren nehmen wird. Dennoch ist eine klare Richtung zu erkennen: Arbeitgeber sollen dazu angehalten werden, ihre Zeiterfassungssysteme zu prüfen und soweit notwendig zu erneuern.

Klar ist daher, wer bislang noch kein Arbeitszeiterfassungssystem eingerichtet hat, sollte dies zeitnah in Angriff nehmen. Dies gilt nunmehr auch für elektronische Zeiterfassungssysteme. Vor dem Hintergrund des Referentenentwurfes kämen z.B. die Einführung einer Arbeitszeiterfassung per App oder über eine Projektsoftware in Betracht. 

Deutlich komplexer als die Einführung eines Zeiterfassungssystems dürfte jedoch die Delegation als auch die Kontrolle der internen Prozesse zur Zeiterfassung sein. Dabei wäre insbesondere darauf zu achten, dass keine Verstöße gegen das ArbZG vorliegen und dokumentiert werden.

Insbesondere hinsichtlich der geplanten signifikanten Bußgeldandrohung lohnt es sich für Arbeitgeber nicht zuletzt unter Compliance-Gesichtspunkten, sich sehr zeitnah mit der zukünftigen Arbeitszeiterfassung im Unternehmen auseinanderzusetzen. 

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