Autoren
Leonie Pfeufer
Datum

14. Juli 2023

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Diese Entscheidung wurde mit Spannung erwartet: Der Verstoß gegen die Übermittlungspflicht an die Agentur für Arbeit nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG führt nach aktueller Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs („EuGH“) nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung (EuGH v. 13.07.2023 – Az. C-134/22 G GMBH). Inwieweit sich sonstige Fehler im Zusammenhang mit § 17 Abs. 2, 3 KSchG auswirken, bleibt vorerst weiterhin offen.

Worum geht es?

Bei einer anzeigepflichtigen Massenentlassung nach § 17 Abs. 1 KSchG muss der Arbeitgeber den Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 KSchG schriftlich über die geplante Maßnahme unterrichten (sog. Konsultationsverfahren). Dies umfasst nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG u.a. die Darstellung der Gründe für die geplanten Entlassungen, der Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie des Zeitraums, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen. Der Arbeitgeber und der Betriebsrat sollen in diesem Zuge insbesondere beraten, ob Entlassungen vermieden bzw. ihre Folgen gemindert werden können. 

Was in der Praxis dabei aber häufig übersehen wird: Der Arbeitgeber hat der Agentur für Arbeit auf Basis der Vorgaben der europäischen Massenentlassungsrichtlinie (Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 MRL) nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG noch vor Erstattung einer Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG eine Abschrift der Mitteilung nach § 17 Abs. 2 KSchG zuzuleiten (sog. Übermittlungspflicht). Über die Vorgaben der europäischen Massenentlassungsrichtlinie hinausgehend, sieht § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG hier zudem eine „gleichzeitige“ Übermittlung an die Agentur für Arbeit vor. 

Anrufung des EuGH durch das BAG

In einem Kündigungsschutzverfahren hat sich das Bundesarbeitsgericht („BAG“) letztes Jahr mit der Frage befasst, ob ein Verstoß gegen die in § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG geregelte Übermittlungspflicht an die Agentur für Arbeit zur Unwirksamkeit einer Kündigung führt. Insoweit ist vom BAG grundsätzlich anerkannt, dass arbeitgeberseitige Verstöße im Zusammenhang mit Pflichten nach § 17 Abs. 3 KSchG zu einer Nichtigkeit der Kündigung nach § 134 BGB führen können. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Regelung zumindest auch ein arbeitnehmerschützender Charakter zuzusprechen ist. Im Kern war in dem entsprechenden Kündigungsschutzverfahren daher fraglich, welchem Schutzzweck die Übermittlungspflicht an die Agentur für Arbeit nach § 17 Abs. 3 KSchG dient: Dem zwingenden Arbeitnehmerschutz oder lediglich der Vorabinformation der Agentur für Arbeit über die bevorstehende Massenentlassungsanzeige? Da weder die europäischen Massenentlassungsrichtlinie noch das deutsche Recht Sanktionen für Fehler im Massenentlassungsverfahren enthalten, hat das BAG das betroffene Kündigungsschutzverfahren ausgesetzt und die Angelegenheit dem EuGH vorgelegt (BAG v. 27.01.2022 – 6 AZR 155/21 (A)). 

Entscheidung des EuGH

Mit seiner Entscheidung vom 13.07.2023 (Az. C-134/22 G GMBH) hat der EuGH einen solchen individualschützenden Charakter der Übermittlungspflicht nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG für den einzelnen Arbeitnehmer abgelehnt. Stattdessen solle die Übermittlungspflicht der zuständigen Behörde (in Deutschland der Agentur für Arbeit) die Möglichkeit geben, sich insbesondere über die Gründe der geplanten Entlassungen, die Zahl und die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie den Zeitraum der Entlassungen einen Überblick zu verschaffen. Dies zugrunde gelegt, könne sie für die Vorbereitung der bei einer Massenentlassung erforderlichen Maßnahmen nicht vollständig auf die arbeitgeberseitig übermittelten Informationen vertrauen. 

Darüber hinaus komme der Behörde im Bereich des Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG, anders als im Massenentlassungsverfahren nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG, keine aktive Rolle zu. So setzt die Übermittlung der Abschrift nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG weder eine vom Arbeitgeber einzuhaltende Frist in Gang noch schaffe sie eine Verpflichtung für die zuständige Behörde. 

Zusammenfassend erfolge die entsprechende Übermittlung nur zu Informations- und Vorbereitungszwecken, damit die Behörde gegebenenfalls ihre weiteren Befugnisse wirksam ausüben kann. 

Praxisfolgen – Entwarnung bei Fehlern im Zusammenhang mit der Übermittlungspflicht

Die Entscheidung ist zu begrüßen und sorgt für – lange Zeit nicht bestehende – Rechtsklarheit. Im Falle eines Verstoßes gegen die Übermittlungspflicht, § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG wird das BAG zukünftig nicht von einer Unwirksamkeit der Kündigung ausgehen. Insoweit gibt es in Massenentlassungsverfahren zu Gunsten von Arbeitgebern nun zumindest einen Stolperstein weniger. Damit erübrigen sich auch die in der Praxis häufigen Diskussionen darüber, ob eine Übermittlung der Abschrift der Mitteilung nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG zwingend am selben Tag wie die Mitteilung nach § 17 Abs. 2 KSchG erfolgen muss. 

Die weiteren und bereits bekannten Anforderungen bei Massenentlassungen nach § 17 Abs. 2, 3 KSchG bleiben von der vorstehenden Entscheidung unberührt und sollten, jedenfalls solange das EuGH sich hierzu nichts anders äußert (vgl. Keine Unwirksamkeit von Kündigungen bei fehlerhafter Massen-Entlassungsanzeige? Eine Kehrtwende in der Rechtsprechung deutet sich an!), von Arbeitgebern weiterhin penibel eingehalten werden. 

Massenentlassung: Ein Stolperstein für Arbeitgeber weniger – Übermittlungspflicht nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG hat nach EuGH keine individualschützende Wirkung

Diese Entscheidung wurde mit Spannung erwartet: Der Verstoß gegen die Übermittlungspflicht an die Agentur für Arbeit nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG führt nach aktueller Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs („EuGH“) nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung (EuGH v. 13.07.2023 – Az. C-134/22 G GMBH). Inwieweit sich sonstige Fehler im Zusammenhang mit § 17 Abs. 2, 3 KSchG auswirken, bleibt vorerst weiterhin offen.

Worum geht es?

Bei einer anzeigepflichtigen Massenentlassung nach § 17 Abs. 1 KSchG muss der Arbeitgeber den Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 KSchG schriftlich über die geplante Maßnahme unterrichten (sog. Konsultationsverfahren). Dies umfasst nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG u.a. die Darstellung der Gründe für die geplanten Entlassungen, der Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie des Zeitraums, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen. Der Arbeitgeber und der Betriebsrat sollen in diesem Zuge insbesondere beraten, ob Entlassungen vermieden bzw. ihre Folgen gemindert werden können. 

Was in der Praxis dabei aber häufig übersehen wird: Der Arbeitgeber hat der Agentur für Arbeit auf Basis der Vorgaben der europäischen Massenentlassungsrichtlinie (Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 MRL) nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG noch vor Erstattung einer Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG eine Abschrift der Mitteilung nach § 17 Abs. 2 KSchG zuzuleiten (sog. Übermittlungspflicht). Über die Vorgaben der europäischen Massenentlassungsrichtlinie hinausgehend, sieht § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG hier zudem eine „gleichzeitige“ Übermittlung an die Agentur für Arbeit vor. 

Anrufung des EuGH durch das BAG

In einem Kündigungsschutzverfahren hat sich das Bundesarbeitsgericht („BAG“) letztes Jahr mit der Frage befasst, ob ein Verstoß gegen die in § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG geregelte Übermittlungspflicht an die Agentur für Arbeit zur Unwirksamkeit einer Kündigung führt. Insoweit ist vom BAG grundsätzlich anerkannt, dass arbeitgeberseitige Verstöße im Zusammenhang mit Pflichten nach § 17 Abs. 3 KSchG zu einer Nichtigkeit der Kündigung nach § 134 BGB führen können. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Regelung zumindest auch ein arbeitnehmerschützender Charakter zuzusprechen ist. Im Kern war in dem entsprechenden Kündigungsschutzverfahren daher fraglich, welchem Schutzzweck die Übermittlungspflicht an die Agentur für Arbeit nach § 17 Abs. 3 KSchG dient: Dem zwingenden Arbeitnehmerschutz oder lediglich der Vorabinformation der Agentur für Arbeit über die bevorstehende Massenentlassungsanzeige? Da weder die europäischen Massenentlassungsrichtlinie noch das deutsche Recht Sanktionen für Fehler im Massenentlassungsverfahren enthalten, hat das BAG das betroffene Kündigungsschutzverfahren ausgesetzt und die Angelegenheit dem EuGH vorgelegt (BAG v. 27.01.2022 – 6 AZR 155/21 (A)). 

Entscheidung des EuGH

Mit seiner Entscheidung vom 13.07.2023 (Az. C-134/22 G GMBH) hat der EuGH einen solchen individualschützenden Charakter der Übermittlungspflicht nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG für den einzelnen Arbeitnehmer abgelehnt. Stattdessen solle die Übermittlungspflicht der zuständigen Behörde (in Deutschland der Agentur für Arbeit) die Möglichkeit geben, sich insbesondere über die Gründe der geplanten Entlassungen, die Zahl und die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie den Zeitraum der Entlassungen einen Überblick zu verschaffen. Dies zugrunde gelegt, könne sie für die Vorbereitung der bei einer Massenentlassung erforderlichen Maßnahmen nicht vollständig auf die arbeitgeberseitig übermittelten Informationen vertrauen. 

Darüber hinaus komme der Behörde im Bereich des Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG, anders als im Massenentlassungsverfahren nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG, keine aktive Rolle zu. So setzt die Übermittlung der Abschrift nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG weder eine vom Arbeitgeber einzuhaltende Frist in Gang noch schaffe sie eine Verpflichtung für die zuständige Behörde. 

Zusammenfassend erfolge die entsprechende Übermittlung nur zu Informations- und Vorbereitungszwecken, damit die Behörde gegebenenfalls ihre weiteren Befugnisse wirksam ausüben kann. 

Praxisfolgen – Entwarnung bei Fehlern im Zusammenhang mit der Übermittlungspflicht

Die Entscheidung ist zu begrüßen und sorgt für – lange Zeit nicht bestehende – Rechtsklarheit. Im Falle eines Verstoßes gegen die Übermittlungspflicht, § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG wird das BAG zukünftig nicht von einer Unwirksamkeit der Kündigung ausgehen. Insoweit gibt es in Massenentlassungsverfahren zu Gunsten von Arbeitgebern nun zumindest einen Stolperstein weniger. Damit erübrigen sich auch die in der Praxis häufigen Diskussionen darüber, ob eine Übermittlung der Abschrift der Mitteilung nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG zwingend am selben Tag wie die Mitteilung nach § 17 Abs. 2 KSchG erfolgen muss. 

Die weiteren und bereits bekannten Anforderungen bei Massenentlassungen nach § 17 Abs. 2, 3 KSchG bleiben von der vorstehenden Entscheidung unberührt und sollten, jedenfalls solange das EuGH sich hierzu nichts anders äußert (vgl. Keine Unwirksamkeit von Kündigungen bei fehlerhafter Massen-Entlassungsanzeige? Eine Kehrtwende in der Rechtsprechung deutet sich an!), von Arbeitgebern weiterhin penibel eingehalten werden. 

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