Autoren
Yannic Luther
Datum

20. Dezember 2023

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Die Diskriminierung von Bewerbern ist ein „Dauerbrenner“ vor den Arbeitsgerichten. Schon seit einiger Zeit sprechen die Gerichte den Bewerbern schnell eine Entschädigung zu und erschweren es den Arbeitgebern, die Vorwürfe der Bewerber zu widerlegen. Nun hat das BAG mit Urteil vom 14.06.2023 (Az. 8 AZR 136/22) erneut eine sehr arbeitnehmer- bzw. bewerberfreundliche Entscheidung getroffen. So wurde einer schwerbehinderten Person allein wegen fehlender Beteiligung des Betriebsrats gem. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX eine Entschädigung zugesprochen, obwohl der Arbeitgeber nachweisen konnte, dass der Bewerber parallel mehrere ähnliche Verfahren gegen andere Arbeitgeber führte.

I. Sachverhalt

Der Kläger bewarb sich auf eine von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als „Scrum Master Energy“. Die Stellenausschreibung verlangte von dem Bewerber ein abgeschlossenes Studium der Informatik, Mathematik oder einer vergleichbaren Fachrichtung sowie bestimmte EDV-Kenntnisse. In seinem Bewerbungsschreiben wies der Kläger ausdrücklich auf seine Schwerbehinderung hin. Die von der Beklagten gewünschten Qualifikationen erfüllte er hingegen nicht. Die Beklagte lehnte die Bewerbung ab.

Der Kläger verlangte nun eine Entschädigung i.H.v. mindestens EUR 10.000. Er behauptete, er sei allein aufgrund seiner Schwerbehinderung nicht eingestellt worden. Dies erkenne man bereits daran, dass die Beklagte seine Bewerbung entgegen § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nicht dem Betriebsrat vorgelegt habe. Die Beklagte entgegnete, ihre Ablehnung habe nichts mit seiner Behinderung zu tun. Der Kläger habe lediglich ihre Anforderungen nicht erfüllt. Zudem wisse er nicht, ob sie den Betriebsrat beteiligt habe. Außerdem gehe es ihm gar nicht um die Stelle, er habe von vorneherein nur eine Entschädigung gewollt. Er führe bereits – was zutraf – parallel mehrere ähnliche Verfahren gegen andere Arbeitgeber.

II. Rechtlicher Hintergrund

Arbeitgeber sind nach § 7 Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verpflichtet, Beschäftigte nicht aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu benachteiligen bzw. zu diskriminieren. Als „Beschäftigte“ gelten auch Bewerberinnen und Bewerber (§ 6 Abs. 1 AGG).

Verstößt ein Arbeitgeber gegen dieses „Benachteiligungsverbot“, kann die benachteiligte Person Schadensersatz und – weitaus häufiger – eine Entschädigung verlangen (§ 15 AGG). Die Entschädigung setzt keinen messbaren Schaden voraus, sondern soll die benachteiligte Person für die erlittene Diskriminierung kompensieren und den Arbeitgeber sanktionieren. Dabei reicht es aus, wenn die – vermeintlich – benachteiligte Person bloße Indizien für ihre Diskriminierung darlegt und beweist. Eine Diskriminierung wird dann vermutet (§ 22 AGG). Typischerweise finden sich solche Indizien in bestimmten Formulierungen von Stellenanzeigen. Beispielsweise ist die Formulierung „junges, dynamisches Team“ ein Indiz für eine Altersdiskriminierung.

III. Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG)

Das BAG entschied zu Gunsten des Klägers und sprach ihm eine Entschädigung in Höhe von EUR 7.500 zu.

1. Verletzung von Verfahrens- oder Förderungspflichten als Indiz für Diskriminierung

Das Gericht führt aus, dass es genüge, wenn ein abgelehnter schwerbehinderter Bewerber darlege, dass der Arbeitgeber Verfahrens- oder Förderungspflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen verletzt habe. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte die Bewerbung des schwerbehinderten Klägers entgegen § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nicht dem Betriebsrat vorgelegt. Diese Vorschrift bezwecke gerade den Schutz schwerbehinderter Bewerber. Ein Verstoß gegen diese Verfahrens-bzw. Förderungspflicht sei daher ein Indiz für eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung. Es genüge auch bereits, dass der Kläger nur vermute, dass die Beklagte seine Bewerbung dem Betriebsrat nicht vorgelegt habe. Zwar müsse ein Bewerber grundsätzlich auch Indizien ausreichend darlegen und beweisen, da sich solche Verstöße gegen Verfahrens- und Förderungspflichten in der Regel aber ausschließlich betriebsintern abspielen würden und der Bewerber keinen weiteren Einblick in die Einhaltung dieser Vorschriften habe, sei es Sache des Arbeitgebers, die Einhaltung der Vorschriften näher darzulegen.

2. Fehlende Qualifikation kein Beweis für diskriminierungsfreies Vorgehen

Die Beklagte habe auch nicht bewiesen, dass sie den Kläger entgegen diesem Indiz nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt habe. Zwar habe die Beklagte bestimmte Anforderungen an die zu besetzende Stelle gestellt, die der Kläger nicht erfülle, doch reiche das nicht aus. Nur wenn der Bewerber formale unverzichtbare Voraussetzungen für die Stelle nicht erfülle, sei eine Benachteiligung widerlegt. Dies sei z. B. der Fall, wenn ein Arzt gesucht werde und der Bewerber diesen Beruf rechtlich nicht ausüben dürfe. Ob der Arbeitgeber selbst eine Anforderung für die erfolgreiche Ausübung der Tätigkeit als unerlässlich ansehe, sei unerheblich.

3. Parallele Klagen auf Entschädigung grundsätzlich unerheblich

Unerheblich sei auch, dass der Kläger parallel in verschiedenen anderen Fällen Entschädigungsansprüche geltend mache. Er mache lediglich von seinen gesetzlichen Rechten Gebrauch. Nur bei einem völlig systematischen und gewinnorientierten Vorgehen könne dem Kläger eine Entschädigung versagt werden.

IV. Fazit

Das BAG stellt erneut hohe Hürden auf, wenn sich ein Arbeitgeber gegen Entschädigungsansprüche verteidigen will.

Das Gericht lässt es nicht nur ausreichen, dass der schwerbehinderte Kläger Verstöße gegen Verfahrens-/Fürsorgepflichten nur mutmaßt, sondern erschwert es Arbeitgebern auch erheblich, eine vermutete Benachteiligung zu widerlegen. Selbst bei offensichtlicher Ungeeignetheit des Bewerbers soll der Arbeitgeber den Entschädigungsanspruch nur dann abwehren können, wenn der Bewerber eine für die Stelle unverzichtbare Voraussetzung nicht erfüllt. Dies wird außerhalb stark reglementierter Berufe (z. B. Arzt, Rechtsanwalt, Apotheker) oft nicht der Fall sein. Das Fehlen zwar sinnvoller, nicht aber unverzichtbarer Qualifikationen genügt jedenfalls nicht.  Schließlich billigt das BAG die parallele Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen, solange nicht bereits eine schon fast geschäftsmäßige Tätigkeit vorliegt, und erleichtert damit den Missbrauch des AGG.

Aufgrund dieser Entscheidung ist es für Arbeitgeber somit wichtiger denn je, ein rechtlich einwandfreies Bewerbungsverfahren durchzuführen. Auch bloße Verfahrenspflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen sollten strikt eingehalten werden. Ablehnungsgründe sollten klar dokumentiert werden

BAG, Urteil vom 14.06.2023 – Az. 8 AZR 136/22

Leichtes Spiel für „AGG-Hopper“? Entschädigung wegen Diskriminierung im Bewerbungsverfahren bei Verletzung von Verfahrens- oder Förderungspflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen

Die Diskriminierung von Bewerbern ist ein „Dauerbrenner“ vor den Arbeitsgerichten. Schon seit einiger Zeit sprechen die Gerichte den Bewerbern schnell eine Entschädigung zu und erschweren es den Arbeitgebern, die Vorwürfe der Bewerber zu widerlegen. Nun hat das BAG mit Urteil vom 14.06.2023 (Az. 8 AZR 136/22) erneut eine sehr arbeitnehmer- bzw. bewerberfreundliche Entscheidung getroffen. So wurde einer schwerbehinderten Person allein wegen fehlender Beteiligung des Betriebsrats gem. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX eine Entschädigung zugesprochen, obwohl der Arbeitgeber nachweisen konnte, dass der Bewerber parallel mehrere ähnliche Verfahren gegen andere Arbeitgeber führte.

I. Sachverhalt

Der Kläger bewarb sich auf eine von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als „Scrum Master Energy“. Die Stellenausschreibung verlangte von dem Bewerber ein abgeschlossenes Studium der Informatik, Mathematik oder einer vergleichbaren Fachrichtung sowie bestimmte EDV-Kenntnisse. In seinem Bewerbungsschreiben wies der Kläger ausdrücklich auf seine Schwerbehinderung hin. Die von der Beklagten gewünschten Qualifikationen erfüllte er hingegen nicht. Die Beklagte lehnte die Bewerbung ab.

Der Kläger verlangte nun eine Entschädigung i.H.v. mindestens EUR 10.000. Er behauptete, er sei allein aufgrund seiner Schwerbehinderung nicht eingestellt worden. Dies erkenne man bereits daran, dass die Beklagte seine Bewerbung entgegen § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nicht dem Betriebsrat vorgelegt habe. Die Beklagte entgegnete, ihre Ablehnung habe nichts mit seiner Behinderung zu tun. Der Kläger habe lediglich ihre Anforderungen nicht erfüllt. Zudem wisse er nicht, ob sie den Betriebsrat beteiligt habe. Außerdem gehe es ihm gar nicht um die Stelle, er habe von vorneherein nur eine Entschädigung gewollt. Er führe bereits – was zutraf – parallel mehrere ähnliche Verfahren gegen andere Arbeitgeber.

II. Rechtlicher Hintergrund

Arbeitgeber sind nach § 7 Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verpflichtet, Beschäftigte nicht aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu benachteiligen bzw. zu diskriminieren. Als „Beschäftigte“ gelten auch Bewerberinnen und Bewerber (§ 6 Abs. 1 AGG).

Verstößt ein Arbeitgeber gegen dieses „Benachteiligungsverbot“, kann die benachteiligte Person Schadensersatz und – weitaus häufiger – eine Entschädigung verlangen (§ 15 AGG). Die Entschädigung setzt keinen messbaren Schaden voraus, sondern soll die benachteiligte Person für die erlittene Diskriminierung kompensieren und den Arbeitgeber sanktionieren. Dabei reicht es aus, wenn die – vermeintlich – benachteiligte Person bloße Indizien für ihre Diskriminierung darlegt und beweist. Eine Diskriminierung wird dann vermutet (§ 22 AGG). Typischerweise finden sich solche Indizien in bestimmten Formulierungen von Stellenanzeigen. Beispielsweise ist die Formulierung „junges, dynamisches Team“ ein Indiz für eine Altersdiskriminierung.

III. Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG)

Das BAG entschied zu Gunsten des Klägers und sprach ihm eine Entschädigung in Höhe von EUR 7.500 zu.

1. Verletzung von Verfahrens- oder Förderungspflichten als Indiz für Diskriminierung

Das Gericht führt aus, dass es genüge, wenn ein abgelehnter schwerbehinderter Bewerber darlege, dass der Arbeitgeber Verfahrens- oder Förderungspflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen verletzt habe. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte die Bewerbung des schwerbehinderten Klägers entgegen § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nicht dem Betriebsrat vorgelegt. Diese Vorschrift bezwecke gerade den Schutz schwerbehinderter Bewerber. Ein Verstoß gegen diese Verfahrens-bzw. Förderungspflicht sei daher ein Indiz für eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung. Es genüge auch bereits, dass der Kläger nur vermute, dass die Beklagte seine Bewerbung dem Betriebsrat nicht vorgelegt habe. Zwar müsse ein Bewerber grundsätzlich auch Indizien ausreichend darlegen und beweisen, da sich solche Verstöße gegen Verfahrens- und Förderungspflichten in der Regel aber ausschließlich betriebsintern abspielen würden und der Bewerber keinen weiteren Einblick in die Einhaltung dieser Vorschriften habe, sei es Sache des Arbeitgebers, die Einhaltung der Vorschriften näher darzulegen.

2. Fehlende Qualifikation kein Beweis für diskriminierungsfreies Vorgehen

Die Beklagte habe auch nicht bewiesen, dass sie den Kläger entgegen diesem Indiz nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt habe. Zwar habe die Beklagte bestimmte Anforderungen an die zu besetzende Stelle gestellt, die der Kläger nicht erfülle, doch reiche das nicht aus. Nur wenn der Bewerber formale unverzichtbare Voraussetzungen für die Stelle nicht erfülle, sei eine Benachteiligung widerlegt. Dies sei z. B. der Fall, wenn ein Arzt gesucht werde und der Bewerber diesen Beruf rechtlich nicht ausüben dürfe. Ob der Arbeitgeber selbst eine Anforderung für die erfolgreiche Ausübung der Tätigkeit als unerlässlich ansehe, sei unerheblich.

3. Parallele Klagen auf Entschädigung grundsätzlich unerheblich

Unerheblich sei auch, dass der Kläger parallel in verschiedenen anderen Fällen Entschädigungsansprüche geltend mache. Er mache lediglich von seinen gesetzlichen Rechten Gebrauch. Nur bei einem völlig systematischen und gewinnorientierten Vorgehen könne dem Kläger eine Entschädigung versagt werden.

IV. Fazit

Das BAG stellt erneut hohe Hürden auf, wenn sich ein Arbeitgeber gegen Entschädigungsansprüche verteidigen will.

Das Gericht lässt es nicht nur ausreichen, dass der schwerbehinderte Kläger Verstöße gegen Verfahrens-/Fürsorgepflichten nur mutmaßt, sondern erschwert es Arbeitgebern auch erheblich, eine vermutete Benachteiligung zu widerlegen. Selbst bei offensichtlicher Ungeeignetheit des Bewerbers soll der Arbeitgeber den Entschädigungsanspruch nur dann abwehren können, wenn der Bewerber eine für die Stelle unverzichtbare Voraussetzung nicht erfüllt. Dies wird außerhalb stark reglementierter Berufe (z. B. Arzt, Rechtsanwalt, Apotheker) oft nicht der Fall sein. Das Fehlen zwar sinnvoller, nicht aber unverzichtbarer Qualifikationen genügt jedenfalls nicht.  Schließlich billigt das BAG die parallele Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen, solange nicht bereits eine schon fast geschäftsmäßige Tätigkeit vorliegt, und erleichtert damit den Missbrauch des AGG.

Aufgrund dieser Entscheidung ist es für Arbeitgeber somit wichtiger denn je, ein rechtlich einwandfreies Bewerbungsverfahren durchzuführen. Auch bloße Verfahrenspflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen sollten strikt eingehalten werden. Ablehnungsgründe sollten klar dokumentiert werden

BAG, Urteil vom 14.06.2023 – Az. 8 AZR 136/22

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