Autoren
Lena Thau
Datum

10. November 2022

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Der Gerichtshof der Europäischen Union nimmt mit seiner Entscheidung vom 22.09.2022 (Az. C120/21) erneut massiven Einfluss auf das deutsche Urlaubsrecht und verbessert die Position der Arbeitnehmer*innen deutlich. Eine Verjährung des Urlaubsanspruchs tritt danach nicht automatisch durch Zeitablauf ein – vielmehr ist ein aktives Handeln des Arbeitsgerbers notwendig, etwa in Form einer regelmäßigen Information in Textform.

Sachverhalt, Verfahren und Vorlage zum EuGH

Die Klägerin war vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 bei der Beklagten als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses forderte sie einen finanziellen Ausgleich von 101 Urlaubstagen, die sie in den Jahren 2013 bis 2017 aufgrund eines hohen Arbeitsaufwands nicht nehmen konnte. Da die Beklagte einen finanziellen Ausgleich der Urlaubstage ablehnte, erhob die Klägerin daraufhin am 06.02.2018 Klage.

Zwar gewann die Klägerin in erster Instanz zunächst nur teilweise (vgl. Arbeitsgericht Solingen v. 19.02.2019 – 3 Ca 155/18) in Bezug auf die im Kalenderjahr 2017 entstandenen Urlaubsansprüche, bekam jedoch in der zweiten Instanz (vgl. Landesarbeitsgericht Düsseldorf v. 02.02.2020, Az. 10 Sa 180/19) auch einen finanziellen Ausgleich der vor dem Jahr 2017 betreffenden Urlaubsansprüche zugesprochen. 

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf vertrat die Ansicht, dass Urlaubsansprüche zumindest dann nicht verjähren, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat. Diese Entscheidung veranlasste die beklagte Arbeitgeberin dazu, Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) einzulegen. Da das BAG (Vorlagebeschluss v. 29.09.2020, Az. 9 AZR 266/20 [A]) einen möglichen Konflikt zwischen den deutschen Verjährungsregelungen und den europäischen Vorgaben zum Urlaubsrecht sah, setzte es das Verfahren aus und legte dem EuGH insbesondere die Vorabentscheidungsfrage vor, ob Art. 7 der RL 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Anwendung von nationalen Verjährungsregelungen wie §§ 194 Abs. 1, 195 Abs. 1 BGB entgegenstünden, die eine regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren vorsehen, deren Lauf unter den in § 199 Abs. 1 BGB genannten Voraussetzungen mit dem Schluss des Urlaubsjahres beginnt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben. In diesem Zusammenhang wies das BAG auch auf den Sinn und Zweck der deutschen Verjährungsregelungen hin, die den Rechtsfrieden sicherstellen sollen.

Entscheidung des EuGH

In seiner Entscheidung vom 22.09.2022 betonte der EuGH, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nur unter besonderen Umständen eingeschränkt werden dürfe und einen sehr wichtigen Grundsatz des Sozialrechts der Union darstelle. Daher dürften die Verjährungsregelungen nicht greifen, wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfülle. 

Der EuGH wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die mit dem deutschen Verjährungsrecht bezweckte Rechtssicherheit nicht ausgenutzt werden dürfe, um die Rechtsstellung des Arbeitgebers zu verbessern. Sofern der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in Bezug auf Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers nicht nachkomme, dürfe dieser sich sodann auch nicht auf die ihn besser stellenden Verjährungsregeln berufen. 

Nach Ansicht des EuGH kann der Arbeitgeber selbst Rechtssicherheit schaffen, indem er seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nachkommt und dadurch von den für ihn vorteilhaften Verjährungsregeln profitieren kann.

Es bleibt daher festzuhalten, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzten muss, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch wahrnehmen kann, damit eine Verjährung des Urlaubsanspruchs überhaupt eintreten kann. 

Bedeutung und Folgen der Entscheidung des EuGH

Im Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung zum Urlaubsrecht (z.B. vgl. 06.11.2018, Az. C 684/16; wir berichteten dazu: https://seitzblog.de/verfall-von-urlaubsanspruechen-was-bedeutet-die-hinweispflicht-fuer-arbeitgeber/) stärkt der EuGH weiterhin die Rechte der Arbeitnehmer. 

Durch die Entscheidung des EuGH und der Bezugnahme auf die den Arbeitgeber treffenden Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten kommt der Erfüllung dieser Obliegenheiten immer größere Bedeutung zu. Sofern der Arbeitgeber diesen nicht oder nicht ordnungsgemäß nachkommt, kann auch eine Verjährung der Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers unter Umständen nicht eintreten. Es besteht daher die Gefahr, dass ein Arbeitnehmer eine unbegrenzte Anzahl an Urlaubstagen über mehrere Jahre ansammelt und beispielsweise zu einem bestimmten Zeitpunkt im laufenden Arbeitsverhältnis nehmen möchte oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abgeltung der gesamten angesammelten Urlaubstage fordert. 

Um dem Problem eines „unverjährbaren Urlaubsanspruchs“ entgegenzuwirken, sollte jeder Arbeitgeber die derzeitige Handhabung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten überprüfen und ggf. in der Art und Weise anpassen, dass ein „unverfallbarer Urlaubsanspruch“ möglichst ausgeschlossen wird. Hierbei ist zudem zu berücksichtigen, dass die Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweispflichten nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG (vgl. 19.02.2019, Az. 9 AZR 423/16) vom Arbeitgeber darzulegen und auch ggf. zu beweisen sind. Zumindest sollte der Arbeitnehmer zu Beginn eines jeden Jahres eine Information in Textform über die Anzahl der Urlaubstage für das konkrete Kalenderjahr, eine Aufforderung der rechtzeitigen Beantragung des Urlaubs für das Kalenderjahr und eine Information über die Konsequenzen, wie z.B. wann der Urlaub verfällt und verjährt, erhalten.

Das BAG ist an die Entscheidung des EuGH natürlich gebunden. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie das BAG die Entscheidung des EuGH konkret in das deutsche Recht umsetzt und ob es nun genauere Vorgaben zur Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten für Arbeitgeber aufstellt, um dadurch mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Dies wäre in Anbetracht der erheblichen Folgen einer nicht ausreichenden Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten wünschenswert.

Aufgrund der derzeitigen Terminierung ist mit einer Entscheidung des BAG am 20.12.2022 zu rechnen – und damit hoffentlich mehr Rechtssicherheit im Urlaubsrecht zum Jahreswechsel.

Keine Verjährung von Urlaubsansprüchen? – Worauf Arbeitgeber unbedingt achten sollten

Der Gerichtshof der Europäischen Union nimmt mit seiner Entscheidung vom 22.09.2022 (Az. C120/21) erneut massiven Einfluss auf das deutsche Urlaubsrecht und verbessert die Position der Arbeitnehmer*innen deutlich. Eine Verjährung des Urlaubsanspruchs tritt danach nicht automatisch durch Zeitablauf ein – vielmehr ist ein aktives Handeln des Arbeitsgerbers notwendig, etwa in Form einer regelmäßigen Information in Textform.

Sachverhalt, Verfahren und Vorlage zum EuGH

Die Klägerin war vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 bei der Beklagten als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses forderte sie einen finanziellen Ausgleich von 101 Urlaubstagen, die sie in den Jahren 2013 bis 2017 aufgrund eines hohen Arbeitsaufwands nicht nehmen konnte. Da die Beklagte einen finanziellen Ausgleich der Urlaubstage ablehnte, erhob die Klägerin daraufhin am 06.02.2018 Klage.

Zwar gewann die Klägerin in erster Instanz zunächst nur teilweise (vgl. Arbeitsgericht Solingen v. 19.02.2019 – 3 Ca 155/18) in Bezug auf die im Kalenderjahr 2017 entstandenen Urlaubsansprüche, bekam jedoch in der zweiten Instanz (vgl. Landesarbeitsgericht Düsseldorf v. 02.02.2020, Az. 10 Sa 180/19) auch einen finanziellen Ausgleich der vor dem Jahr 2017 betreffenden Urlaubsansprüche zugesprochen. 

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf vertrat die Ansicht, dass Urlaubsansprüche zumindest dann nicht verjähren, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat. Diese Entscheidung veranlasste die beklagte Arbeitgeberin dazu, Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) einzulegen. Da das BAG (Vorlagebeschluss v. 29.09.2020, Az. 9 AZR 266/20 [A]) einen möglichen Konflikt zwischen den deutschen Verjährungsregelungen und den europäischen Vorgaben zum Urlaubsrecht sah, setzte es das Verfahren aus und legte dem EuGH insbesondere die Vorabentscheidungsfrage vor, ob Art. 7 der RL 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Anwendung von nationalen Verjährungsregelungen wie §§ 194 Abs. 1, 195 Abs. 1 BGB entgegenstünden, die eine regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren vorsehen, deren Lauf unter den in § 199 Abs. 1 BGB genannten Voraussetzungen mit dem Schluss des Urlaubsjahres beginnt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben. In diesem Zusammenhang wies das BAG auch auf den Sinn und Zweck der deutschen Verjährungsregelungen hin, die den Rechtsfrieden sicherstellen sollen.

Entscheidung des EuGH

In seiner Entscheidung vom 22.09.2022 betonte der EuGH, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nur unter besonderen Umständen eingeschränkt werden dürfe und einen sehr wichtigen Grundsatz des Sozialrechts der Union darstelle. Daher dürften die Verjährungsregelungen nicht greifen, wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfülle. 

Der EuGH wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die mit dem deutschen Verjährungsrecht bezweckte Rechtssicherheit nicht ausgenutzt werden dürfe, um die Rechtsstellung des Arbeitgebers zu verbessern. Sofern der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in Bezug auf Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers nicht nachkomme, dürfe dieser sich sodann auch nicht auf die ihn besser stellenden Verjährungsregeln berufen. 

Nach Ansicht des EuGH kann der Arbeitgeber selbst Rechtssicherheit schaffen, indem er seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nachkommt und dadurch von den für ihn vorteilhaften Verjährungsregeln profitieren kann.

Es bleibt daher festzuhalten, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzten muss, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch wahrnehmen kann, damit eine Verjährung des Urlaubsanspruchs überhaupt eintreten kann. 

Bedeutung und Folgen der Entscheidung des EuGH

Im Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung zum Urlaubsrecht (z.B. vgl. 06.11.2018, Az. C 684/16; wir berichteten dazu: https://seitzblog.de/verfall-von-urlaubsanspruechen-was-bedeutet-die-hinweispflicht-fuer-arbeitgeber/) stärkt der EuGH weiterhin die Rechte der Arbeitnehmer. 

Durch die Entscheidung des EuGH und der Bezugnahme auf die den Arbeitgeber treffenden Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten kommt der Erfüllung dieser Obliegenheiten immer größere Bedeutung zu. Sofern der Arbeitgeber diesen nicht oder nicht ordnungsgemäß nachkommt, kann auch eine Verjährung der Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers unter Umständen nicht eintreten. Es besteht daher die Gefahr, dass ein Arbeitnehmer eine unbegrenzte Anzahl an Urlaubstagen über mehrere Jahre ansammelt und beispielsweise zu einem bestimmten Zeitpunkt im laufenden Arbeitsverhältnis nehmen möchte oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abgeltung der gesamten angesammelten Urlaubstage fordert. 

Um dem Problem eines „unverjährbaren Urlaubsanspruchs“ entgegenzuwirken, sollte jeder Arbeitgeber die derzeitige Handhabung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten überprüfen und ggf. in der Art und Weise anpassen, dass ein „unverfallbarer Urlaubsanspruch“ möglichst ausgeschlossen wird. Hierbei ist zudem zu berücksichtigen, dass die Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweispflichten nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG (vgl. 19.02.2019, Az. 9 AZR 423/16) vom Arbeitgeber darzulegen und auch ggf. zu beweisen sind. Zumindest sollte der Arbeitnehmer zu Beginn eines jeden Jahres eine Information in Textform über die Anzahl der Urlaubstage für das konkrete Kalenderjahr, eine Aufforderung der rechtzeitigen Beantragung des Urlaubs für das Kalenderjahr und eine Information über die Konsequenzen, wie z.B. wann der Urlaub verfällt und verjährt, erhalten.

Das BAG ist an die Entscheidung des EuGH natürlich gebunden. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie das BAG die Entscheidung des EuGH konkret in das deutsche Recht umsetzt und ob es nun genauere Vorgaben zur Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten für Arbeitgeber aufstellt, um dadurch mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Dies wäre in Anbetracht der erheblichen Folgen einer nicht ausreichenden Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten wünschenswert.

Aufgrund der derzeitigen Terminierung ist mit einer Entscheidung des BAG am 20.12.2022 zu rechnen – und damit hoffentlich mehr Rechtssicherheit im Urlaubsrecht zum Jahreswechsel.

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