Autoren
Dr. Maximilian Schmidt
Datum

12. Mai 2023

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Das BAG fragt sich in seinem Aussetzungsbeschluss vom 10. Mai 2023 – 6 AZR 157/22 (A), ob die nach derzeitiger Rechtsprechung automatische Konsequenz eines Verstoßes gegen die gesetzlichen Vorgaben in § 17 KSchG – die Unwirksamkeit aller erfassten Kündigungen – europarechtskonform ist. Der Generalanwalt des EuGH hatte in seinen Schlussanträgen in anderer Sache vom 30. März 2023 (C‑134/22) die Tür zu einer Abkehr vom derzeitigen deutschen Verständnis geöffnet. 

Die Aussetzung eines Rechtsstreits birgt wohl selten so viel Anlass zur Diskussion wie der aktuelle Beschluss des BAG vom 10. Mai 2023 – 6 AZR 157/22 (A). Es geht um nicht weniger als eine grundlegende Veränderung – ggf. sogar Abschaffung – des vielfach kritisierten, dennoch seit mehr als zehn Jahren aufrechterhaltenen Sanktionssystems des § 17 KSchG. Kleine Ungenauigkeiten können nach bisheriger Rechtsprechung des BAG zur Unwirksamkeit aller erfassten Kündigungen führen. 

Hintergrund der Überlegungen des BAG ist nunmehr ein Rechtsstreit, in dem ein Arbeitgeber trotz Überschreiten der in § 17 Abs. 1 KSchG vorgesehenen Schwellenwerten keine Massenentlassungsanzeige gestellt hatte. Nach bisheriger Rechtsprechung ein klarer Fall: Alle erfassten Kündigungen sind automatisch unwirksam – auch wenn alle weiteren arbeitsrechtlichen Anforderungen erfüllt sind.

Diesen Automatismus hinterfragt das BAG nunmehr in Anbetracht der Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 30. März 2023 – C‑134/22. Im zugrundeliegenden Fall beim EuGH, der vom BAG vorgelegt worden war (6 AZR 155/21 (A)), ging es um eine nicht erfolgte Übermittlung der Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden und an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung gemäß § 17 Abs. 2 KSchG an die Agentur für Arbeit mit der Massenentlassungsanzeige. Hierzu stellte der Generalanwalt bereits Bemerkenswertes fest:

  • Art. 6 der Massenentlassungsrichtlinie verpflichte die Mitgliedstaaten keineswegs dazu, einen Verstoß gegen eine der in dieser Richtlinie vorgesehenen Pflichten mit der Nichtigkeit der Kündigung zu ahnden. Eine solche Rechtsfolge sei in der Entstehung der Massenentlassungsrichtlinie gerade verworfen worden.
  • Art. 2 der Massenentlassungsrichtlinie verschaffe den Arbeitnehmern einen kollektiven und keinen individuellen Schutz.

Diese Ausführungen des Generalanwalts können damit sowohl das Konsultationsverfahren als auch das Verfahren zur Massenentlassungsanzeige betreffen. In beiden Fällen legen die Erwägungen des Generalanwalts zum kollektiven statt individuellen Schutzzweck nahe, dass die derzeit in Deutschland angenommene Rechtsfolge der Unwirksamkeit von Kündigungen systemwidrig und damit unverhältnismäßig sein könnte. Damit wäre die derzeitige Rechtsprechung europarechtswidrig und müsste grundlegend geändert werden.

Bekanntlich folgt der EuGH häufig den Erwägungen des Generalanwalts in seinen Entscheidungen. Sollte das auch dieses Mal der Fall sein, dürfte die Grundlage gelegt sein, das von der Rechtsprechung entwickelte Sanktionssystem des § 17 KSchG neu aufzustellen. Der sechste Senat des BAG und der Generalanwalt geben Anlass zur Hoffnung, dass bei Restrukturierungen künftig nicht mehr die „Nadel im Heuhaufen“ von Klägern gesucht werden kann – und in Anbetracht der hohen Anforderungen der Rechtsprechung auch allzu häufig gefunden wird. Vielmehr könnte eine Rückbesinnung auf den materiellen Kündigungsschutz erfolgen und ein eigenes Sanktionssystem bei Fehlern im Rahmen des Konsultationsverfahrens bzw. der Erstattung der Massenentlassungsanzeige entwickelt werden. Ein Blick zum unterlassenen Versuch eines Interessenausgleichs liegt nahe: Dieser hat nicht die Unwirksamkeit von Kündigungen zur Folge, sondern kann Nachteilsausgleichsansprüche gem. § 113 BetrVG und Bußgelder gem. § 121 BetrVG begründen oder in Einzelfällen einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats. 

Bis es so weit ist, heißt es aber weiterhin: Größte Sorgfalt bei Durchführung des Konsultationsverfahrens und der Erstattung der Massenentlassungsanzeige. 

Keine Unwirksamkeit von Kündigungen bei fehlerhafter Massen-Entlassungsanzeige? Eine Kehrtwende in der Rechtsprechung deutet sich an!

Das BAG fragt sich in seinem Aussetzungsbeschluss vom 10. Mai 2023 – 6 AZR 157/22 (A), ob die nach derzeitiger Rechtsprechung automatische Konsequenz eines Verstoßes gegen die gesetzlichen Vorgaben in § 17 KSchG – die Unwirksamkeit aller erfassten Kündigungen – europarechtskonform ist. Der Generalanwalt des EuGH hatte in seinen Schlussanträgen in anderer Sache vom 30. März 2023 (C‑134/22) die Tür zu einer Abkehr vom derzeitigen deutschen Verständnis geöffnet. 

Die Aussetzung eines Rechtsstreits birgt wohl selten so viel Anlass zur Diskussion wie der aktuelle Beschluss des BAG vom 10. Mai 2023 – 6 AZR 157/22 (A). Es geht um nicht weniger als eine grundlegende Veränderung – ggf. sogar Abschaffung – des vielfach kritisierten, dennoch seit mehr als zehn Jahren aufrechterhaltenen Sanktionssystems des § 17 KSchG. Kleine Ungenauigkeiten können nach bisheriger Rechtsprechung des BAG zur Unwirksamkeit aller erfassten Kündigungen führen. 

Hintergrund der Überlegungen des BAG ist nunmehr ein Rechtsstreit, in dem ein Arbeitgeber trotz Überschreiten der in § 17 Abs. 1 KSchG vorgesehenen Schwellenwerten keine Massenentlassungsanzeige gestellt hatte. Nach bisheriger Rechtsprechung ein klarer Fall: Alle erfassten Kündigungen sind automatisch unwirksam – auch wenn alle weiteren arbeitsrechtlichen Anforderungen erfüllt sind.

Diesen Automatismus hinterfragt das BAG nunmehr in Anbetracht der Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 30. März 2023 – C‑134/22. Im zugrundeliegenden Fall beim EuGH, der vom BAG vorgelegt worden war (6 AZR 155/21 (A)), ging es um eine nicht erfolgte Übermittlung der Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden und an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung gemäß § 17 Abs. 2 KSchG an die Agentur für Arbeit mit der Massenentlassungsanzeige. Hierzu stellte der Generalanwalt bereits Bemerkenswertes fest:

  • Art. 6 der Massenentlassungsrichtlinie verpflichte die Mitgliedstaaten keineswegs dazu, einen Verstoß gegen eine der in dieser Richtlinie vorgesehenen Pflichten mit der Nichtigkeit der Kündigung zu ahnden. Eine solche Rechtsfolge sei in der Entstehung der Massenentlassungsrichtlinie gerade verworfen worden.
  • Art. 2 der Massenentlassungsrichtlinie verschaffe den Arbeitnehmern einen kollektiven und keinen individuellen Schutz.

Diese Ausführungen des Generalanwalts können damit sowohl das Konsultationsverfahren als auch das Verfahren zur Massenentlassungsanzeige betreffen. In beiden Fällen legen die Erwägungen des Generalanwalts zum kollektiven statt individuellen Schutzzweck nahe, dass die derzeit in Deutschland angenommene Rechtsfolge der Unwirksamkeit von Kündigungen systemwidrig und damit unverhältnismäßig sein könnte. Damit wäre die derzeitige Rechtsprechung europarechtswidrig und müsste grundlegend geändert werden.

Bekanntlich folgt der EuGH häufig den Erwägungen des Generalanwalts in seinen Entscheidungen. Sollte das auch dieses Mal der Fall sein, dürfte die Grundlage gelegt sein, das von der Rechtsprechung entwickelte Sanktionssystem des § 17 KSchG neu aufzustellen. Der sechste Senat des BAG und der Generalanwalt geben Anlass zur Hoffnung, dass bei Restrukturierungen künftig nicht mehr die „Nadel im Heuhaufen“ von Klägern gesucht werden kann – und in Anbetracht der hohen Anforderungen der Rechtsprechung auch allzu häufig gefunden wird. Vielmehr könnte eine Rückbesinnung auf den materiellen Kündigungsschutz erfolgen und ein eigenes Sanktionssystem bei Fehlern im Rahmen des Konsultationsverfahrens bzw. der Erstattung der Massenentlassungsanzeige entwickelt werden. Ein Blick zum unterlassenen Versuch eines Interessenausgleichs liegt nahe: Dieser hat nicht die Unwirksamkeit von Kündigungen zur Folge, sondern kann Nachteilsausgleichsansprüche gem. § 113 BetrVG und Bußgelder gem. § 121 BetrVG begründen oder in Einzelfällen einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats. 

Bis es so weit ist, heißt es aber weiterhin: Größte Sorgfalt bei Durchführung des Konsultationsverfahrens und der Erstattung der Massenentlassungsanzeige. 

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