Dem Justizstandort Deutschland kommt im internationalen Vergleich derzeit allenfalls eine geringe Bedeutung zu. Insbesondere (internationale) Wirtschaftsstreitigkeiten werden – wohl eher mit steigender denn fallender Tendenz – entweder vor Schiedsgerichten oder vor staatlichen Gerichten angelsächsischer Jurisdiktionen ausgetragen.
Um die Attraktivität des Justizstandorts Deutschland international (wieder) zu erhöhen und diesen zu modernisieren, hat der Deutsche Bundestag am 4. Juli 2024 das Gesetz zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit (Justizstandort-Stärkungsgesetz) beschlossen. Das Gesetz wurde am vergangenen Donnerstag im Bundesgesetzblatt (BGBl. 2024, Teil I, Nr. 302) veröffentlicht und tritt am 1. April 2025 in Kraft.
Zur Erreichung dieses Ziels sieht das Justizstandort-Stärkungsgesetz folgende Neuerungen vor:
Einführung von Commercial Courts als neuer Eingangsinstanz
Die Bundesländer werden durch das Gesetz ermächtigt, an einem ihrer Oberlandesgerichte oder Obersten Landesgerichte einen oder mehrere Senate als „Commercial Court(s)“ für wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten einzurichten. Um ein inflationäres Entstehen der Commercial Courts zu verhindern und die Errichtung weniger, dafür aber spezialisierter Commercial Courts zu fördern, dürfen diese in jedem Bundesland lediglich an einem Oberlandesgericht bzw. Obersten Landgericht eingerichtet werden. Die Zuständigkeit der Commercials Courts erstreckt sich dann auf das gesamte Gebiet des Bundeslands. Zudem eröffnet das Gesetz ausdrücklich die Möglichkeit, die Commercial Courts länderübergreifend einzurichten.
Bislang haben fünf Bundesländer erklärt, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Es gilt als sicher, dass zukünftig an den Oberlandesgerichten Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, München und Stuttgart entsprechende Commercial Courts eingerichtet werden. Nachdem mit Wirkung zum 1. Januar 2022 am Landgericht Düsseldorf bereits Spezialkammern für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen eingerichtet wurden, wird sich die Bedeutung des Standorts Düsseldorf für Wirtschaftsstreitigkeiten innerhalb Nordrhein-Westfalens damit zukünftig voraussichtlich weiter erhöhen.
Bei den Commercial Courts handelt es sich um erstinstanzlich zuständige Zivilsenate der Oberlandesgerichte, die mit spezialisierten Richtern besetzt werden und vor denen Verfahren (auch) vollständig in englischer Sprache geführt werden können.
Die Commercial Courts können für folgende Rechtsstreitigkeiten ab einem Streitwert von EUR 500.000 sachlich zuständig sein:
- Parteien des Rechtsstreits sind Unternehmer (§ 14 BGB)
- alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten
- ausgenommen sind: Streitigkeiten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtschutzes, des Urheberrechts sowie über Ansprüche nach dem UWG
- Alle Parteien, auch Verbraucher
- Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder von Unternehmensanteilen
- Streitigkeiten zwischen Gesellschaft und Mitgliedern des Leitungsorgans und/oder Aufsichtsrats
- ausgenommen sind: Beschlussmängelstreitigkeiten sowie die speziellen, insbesondere aktienrechtlichen Verfahren nach § 71 Abs. 2 Nr. 4 GVG, § 375 FamFG.
Die Bundesländer haben die Möglichkeit, die sachliche Zuständigkeit der Commercial Courts in dem vorgenannten Rahmen zu beschränken oder zu erweitern.
Endgültig begründet wird die tatsächliche Zuständigkeit der Commercial Courts für die vorgenannten Rechtsstreitigkeiten durch eine ausdrückliche oder stillschweigende Parteivereinbarung. Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, wird der Commercial Court auch dann zuständig, wenn sich die beklagte Partei nach einem entsprechenden Antrag in der Klageschrift rügelos zur Hauptsache einlässt.
Flankierend zu den Commercial Courts können die Bundesländer überdies an ausgewählten Landgerichten spezielle Zivilkammern oder Kammern für Handelssachen als „Commercial Chambers“ einrichten, die für die vorgenannten Rechtsstreitigkeiten bis zu einem Streitwert von EUR 500.000 zuständig sind.
Die Berufung gegen das Urteil einer Commercial Chamber führt zu den Commercial Courts. Gegen Urteile der Commercial Courts können die Parteien wiederum (nur) die Revision beim Bundesgerichtshofs einlegen, wobei diese zulassungsfrei möglich ist, sofern der Commercial Court erstinstanzlich entschieden hat.
Organisationstermin und Wortlautprotokoll
Ausdrücklich zu begrüßen ist, dass die Commercial Courts in erstinstanzlichen Verfahren grundsätzlich verpflichtet sind, mit den Parteien so früh wie möglich einen Organisationstermin durchzuführen. Der Termin kann als Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werden. In Anlehnung an die Case-Management-Konferenz im Schiedsverfahren soll der Organisationstermin dazu dienen, den Sach- und Streitstoff zu systematisieren und abzuschichten sowie Vereinbarungen über einen verbindlichen Zeitplan für das Verfahren zu treffen. An den verabredeten Zeitplan sind die Parteien im weiteren Verfahrensverlauf gebunden, sodass Fristen, etwa für die Einreichung von Schriftsätzen, nur noch unter bestimmten Voraussetzungen verlängert werden können. Diese frühzeitigen und verbindlichen Weichenstellungen dürften die Effizienz der Verfahren im Interesse aller Beteiligten erhöhen. Daher kann von dem Organisationstermin auch nur dann abgesehen werden, wenn tatsächliche Gründe dagegen sprechen, beispielweise weil lediglich eine Rechtsfrage zu entscheiden ist.
Zudem haben die Parteien – ebenfalls analog zum Schiedsverfahren – auf übereinstimmenden Antrag hin und bei Übernahme der Kosten einen Anspruch auf ein mitlesbares oder einfaches Wortlautprotokoll der mündlichen Verhandlung.
Englisch als Gerichtssprache
Durch das Justizstandort-Stärkungsgesetz werden die Bundesländer ferner ermächtigt, den Parteien in den vorgenannten Rechtsstreitigkeiten eine vollständige Durchführung der Verfahren in englischer Sprache an
- den Commercial Chambers der Landgerichte,
- den für die Berufung und Beschwerden gegen die erstinstanzlichen Entscheidungen der Commercial Chambers zuständigen Commercial Courts sowie
- den erstinstanzlich zuständigen Commercial Courts
zu ermöglichen. Wird das Verfahren in Englisch geführt, ergeht auch die Entscheidung grundsätzlich in englischer Sprache.
Auch etwaige Rechtsmittel gegen eine erstinstanzliche Entscheidung sind dann in Englisch einzulegen. Für die Revision zum Bundesgerichtshof gilt dies indes nur, wenn die Partei, die das Rechtsmittel eingelegt, dies beantragt und der zuständige Senat am Bundesgerichtshof dem Antrag stattgibt. Der Bundesgerichtshof ist damit, anders als die Commercial Chambers und Commercial Courts, nicht zur Durchführung des Verfahrens in Englisch verpflichtet.
Dennoch: Die Möglichkeit, ein Gerichtsverfahren in Deutschland – jedenfalls in der Tatsacheninstanz – vollständig in Englisch führen zu können, ist im Sinne der Internationalisierung der deutschen Justiz zu begrüßen. Insbesondere deshalb, weil dadurch nun auch englische Urkunden in den Prozess eingeführt und Parteivertreter oder Zeugen ohne Dolmetscher auf Englisch angehört werden können.
Schutz von Geschäftsgeheimnissen in allen Zivilverfahren
Das Justizstandort-Stärkungsgesetz sieht zudem einen verbesserten Schutz von Geschäftsgeheimnissen in sämtlichen Zivilverfahren vor.
Das jeweilige Gericht kann zukünftig auf Antrag einer Partei solche streitgegenständlichen Informationen, bei denen es sich um Geschäftsgeheimnisse nach dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen handelt, als geheimhaltungsbedürftig einstufen. In diesem Fall gelten die Regelungen des Geschäftsgeheimnisschutzgesetzes entsprechend, sodass alle Verfahrensbeteiligten verpflichtet sind, die als geheimhaltungsbedürftig qualifizierte Information als vertraulich zu behandeln und außerhalb des Verfahrens nicht zu nutzen oder offenzulegen. Durch diese Neureglung sind Geschäftsgeheimnisse nunmehr bereits ab dem Zeitpunkt der Klageeinreichung und nicht erst ab dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geschützt.
Ausblick
Das Justizstandort-Stärkungsgesetz, das am 1. April 2025 in Kraft tritt, könnte die Attraktivität der staatlichen deutschen Gerichte durch Einführung der Commercial Courts und Commercial Chambers insbesondere für deutsche Unternehmen erheblich steigern. Insbesondere durch die Spezialisierung der Gerichte, die Verkürzung des Instanzenzugs für Verfahren mit hohen Streitwerten, die Einführung verpflichtender Case-Management-Termine und den besseren Schutz von Geschäftsgeheimnissen werden einige der (empfundenen) Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit im Vergleich zur staatlichen Gerichtsbarkeit auf staatliche Gerichtsverfahren übertragen.
Ob durch die gesetzlichen Neuregelungen die Attraktivität der staatlichen deutschen Gerichte indes auch für internationale Unternehmen und Parteien spürbar erhöht wird, bleibt abzuwarten. Denn ausländische Parteien werden die deutsche Gerichtsbarkeit regelmäßig nur dann zur Streitentscheidung berufen, sofern sie auch deutsches materielles Recht gewählt haben. Hierfür dürfte es förderlich sein, seitens des Gesetzgebers auch Anpassungen im materiellen Recht, insbesondere dem AGB-Recht im B2B-Bereich, in Betracht zu ziehen.
Der Erfolg des Gesetzes wird maßgeblich auch davon abhängen, ob und in welchem Umfang die Bundesländer von dessen Möglichkeiten Gebrauch machen. Für den Justizstandort Deutschland wäre insbesondere dann viel gewonnen, wenn sich die Bundesländer darauf verständigen könnten, wenige Commercial Courts in jeweils speziellen Rechtsgebieten einzurichten, damit diese – analog zu den Patentsenaten – einen hohen Spezialisierungsgrad und damit einhergehend ein hohes Renommee erwerben können.
Ausdrücklich zu begrüßen ist, dass die Commercial Courts auch dann für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen sowie zwischen Gesellschaften und ihren Leitungs- und Aufsichtsorganen zuständig sein sollen, wenn die Parteien keine Unternehmer sind. Regelmäßig werden nämlich Gesellschafter von der Rechtsprechung nicht als Unternehmer qualifiziert, obwohl diese in vergleichbarer Weise wirtschaftlich tätig sind. Es ist daher nur interessengerecht, dass Gesellschaftern, auch wenn sie keine Unternehmer sind, der Zugang zu den Commercial Courts eröffnet wird.
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