Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein vom 13. Juli 2023 – 5 Sa 5/23
Fakten: Laut Aussage der Arbeitnehmerin kam es zwischen ihr und ihrem Kollegen zu folgendem Vorfall: Bei der Arbeit an einer Heringsanlage hielt der Kollege ihr ein Fischfiletiermesser (Länge ca. 20 cm) auf Höhe ihres Halses hin. Dadurch habe sie sich sehr erschrocken, sich nicht bewegt und reflexartig gelacht. Ihrer Aufforderung das Messer wegzunehmen, kam der Kollege nach Aussage der Arbeitnehmerin sofort nach. Trotzdem meldete diese den Vorfall anschließend an den Betriebsrat, der den Arbeitgeber über den Vorfall in Kenntnis setze.
Im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung äußerte der Kollege, er könne sich an die beschriebene Situation nicht erinnern, zumindest sei dieser Vorfall keine mutwillige Bedrohung seinerseits gewesen. Ein weiterer Kollege, der die Situation beobachtet haben soll, gab an, dass die Bewegung des Messers offensichtlich bewusst und nicht unabsichtlich gewesen sei.
Nachdem der das Filetiermesser schwenkende Arbeitnehmer weiterhin mitteilte, dass er sich nicht erinnere, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich. Der Arbeitgeber rechtfertigte die Kündigung insbesondere mit dem schweren arbeitsrechtlichen Pflichtverstoß, der das Vertrauensverhältnis zerstört hat: Er habe Sicherheitsvorkehrungen nicht eingehalten, die im schlimmsten Fall zum Tod der Arbeitskollegin hätten führen können. Der Arbeitnehmer widersprach diesem Vorwurf und machte geltend, er habe niemanden leichtfertig gefährdet noch eine Verletzung billigend in Kauf genommen.
Nachdem der Arbeitnehmer in erster Instanz obsiegte und das Arbeitsgericht sowohl die außerordentliche als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung für unwirksam befunden hatte, ging das Unternehmen in Berufung.
Entscheidung: Das LAG Schleswig-Holstein bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts und verneinte sowohl die Wirksamkeit einer Tat- als auch Verdachtskündigung. Der durch das Unternehmen vorgetragene Vorfall belegt keine derart schwere Vertragsverletzung, die ohne vorherige Abmahnung zum Ausspruch einer Kündigung führen könne. Die Kündigung scheitert daran, dass selbst nach dem Vortrag des Arbeitgebers nicht sicher feststeht, ob der Arbeitnehmer sich der objektiven Bedeutung seiner Handlung bewusst war und seiner Kollegin tatsächlich ernstlich drohen wollte. Es ist vor allem nicht ausgeschlossen, dass er sich schlicht mit dem Messer und seinem Oberkörper zu der Arbeitnehmerin gedreht hat.
Auch wenn der fahrlässige unsachgemäße Umgang mit einem Messer grundsätzlich eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstellt, hätte der Arbeitgeber den unsachgemäßen Umgang mit dem Filetiermesser abmahnen müssen. Zur Überzeugung des Gerichts lag weder ein so schwerwiegender Pflichtverstoß vor, dessen Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist, noch war eine Verhaltensänderung nicht zu erwarten. Dabei berücksichtigte das Gericht insbesondere, dass es zu keiner Verletzung kam, die Kollegin nach dem Vorfall noch gelacht habe und B das Messer auf Aufforderung sofort entfernte.
Folgen der Entscheidung: Zwar macht es sich das LAG Schleswig-Holstein (zu) leicht, indem es den wesentlichen Geschehensablauf dahinstehen lässt und den Hauptvorwurf des Arbeitgebers – nämlich das Nichteinhalten von Sicherheitsvorkehrungen – nur oberflächlich würdigt. Trotzdem verdeutlicht das Urteil, wie wichtig eine sorgfältige Sachverhaltsaufklärung durch den Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung ist: Etwaige Zweifel und Unklarheiten hinsichtlich des kündigungsrelevanten Sachverhalts gehen stets zulasten des Arbeitgebers.
Hinweise für die Praxis: Da die Zwei-Wochenfrist für die Aussprache der außerordentlichen Kündigung erst mit Kenntnis sämtlicher kündigungsrelevanten Tatsachen beginnt, sollten Arbeitgeber nicht voreilig handeln, sondern den kündigungsrelevanten Sachverhalt stets sorgsam aufklären und bewerten. Dazu gehört grundsätzlich auch die Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers. Auch wenn solche internen Ermittlungen häufig einen großen Aufwand erzeugen, sind sie im Sinne der besseren Erfolgsaussichten der Kündigung stets in Erwägung zu ziehen.