Bereits vor einer möglichen Koalitionsbildung haben CDU/CSU und SPD mit Unterstützung von Bündnis 90/Die Grünen die Bildung eines Sondervermögens für Infrastrukturinvestitionen und eine Lockerung der Schuldenbremse im Zusammenhang mit Verteidigungsausgaben durch eine Änderung des Grundgesetzes vorbereitet. Dem voraus gingen Sondierungsgespräche zwischen der Union und der SPD, deren Ergebnisse am 8. März 2025 veröffentlicht wurden. Durch den erfolgreichen Abschluss der Sondierungen kann davon ausgegangen werden, dass es zum 5. Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu einer GroKo kommen wird, auch wenn diese nicht mehr ganz so „groß“ sein wird wie ihre Vorgänger. Die erste GroKo der jüngeren Zeit – gebildet im Jahr 2005 unter der Kanzlerin Angela Merkel – zeichnet für die letzte große Steuerreform in Deutschland verantwortlich, nämlich für die Unternehmenssteuerreform 2008.
Seit dieser Steuerreform sind mittlerweile mehr als 17 Jahre vergangen, in denen sich Deutschlands Position als Hochsteuerland im internationalen Steuerwettbewerb kontinuierlich verfestigt hat. Während andere Wirtschaftsnationen die Steuer- und Abgabenlasten von Unternehmen gesenkt haben, steht die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland aufgrund eines Steuersatzes von über 30% auf thesaurierte Gewinne sowie immer weiter gestiegener steuerlicher Berichtspflichten infrage. Die Mindeststeuer, die Deutschland wie so oft als Musterknabe „vorbildlich“ umgesetzt hat, ist ein weiterer Beleg für die steuerlichen Schwächen des hiesigen Steuerstandorts.
Die jüngsten wirtschaftlichen Entwicklungen hatten die „Ampel-Koalition“ vor ihrem Zusammenbruch dazu veranlasst, steuerliche Entlastungen für Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger zumindest zu diskutieren. Doch der erhoffte große Wurf gesetzlicher Änderungen blieb aus. Vielmehr hat die gescheiterte Regierungskoalition – soweit überhaupt eine Einigung erzielt werden konnte – durch das Jahressteuergesetz 2024, das Zukunftsfinanzierungsgesetz oder das Wachstumschancengesetz mit Einzelmaßnahmen der Rezession entgegenzusteuern versucht. Jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. Teilweise wurde durch Steuerverschärfungen auch genau das Gegenteil erreicht.
Die designierten Koalitionspartner sind sich offensichtlich darüber im Klaren, dass das Steuersystem auf den Prüfstand gehört. So werden in dem Ergebnispapier zu den Sondierungen bereits konkrete steuerliche Maßnahmen aufgeführt: Die Stromsteuer soll gesenkt, die Pendlerpauschale erhöht, die Umsatzsteuer für Speisen dauerhaft auf 7% herabgesetzt sowie Zuschläge für Mehrarbeit steuerfrei gestellt werden. Prämien des Arbeitgebers zur Ausweitung der Arbeitszeit bei Teilzeitbeschäftigten sollen steuerlich begünstigt werden. Zudem sollen Rentner bei einer freiwilligen Weiterarbeit von einer Steuerfreiheit des Gehalts in Höhe von EUR 2.000 profitieren können. Hätte man in einem Sondierungspapier eher generisch formulierte Ziele erwartet, werden hier bereits ganz konkrete Gesetzgebungsvorschläge gemacht, die zügig noch in diesem Jahr umgesetzt werden können, ggf. auch mit Rückwirkung, z. B. zum Jahresbeginn.
Darüber hinaus heißt es, dass es in der kommenden Legislaturperiode zur Entlastung der Mittelschicht eine Reform der Einkommensteuer und zur Förderung von Investitionen eine Reform der Unternehmenssteuern geben soll. Konkretisiert werden diese Bestrebungen in dem Ergebnispapier jedoch nicht. Die Umsetzung einer derartigen Steuerreform wird ausgehend von den teils sehr gegensätzlichen Positionen der Parteien allerdings im Detail Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten erfordern. Zudem muss sie auch finanzierbar sein. Die durch die Lockerung der Schuldenbremse frei werdenden Haushaltsmittel – durch die Anrechnung von nur 1% des BIP für Rüstungsausgaben auf den Bundeshaushalt werden alleine ca. EUR 20 Mrd. pro Jahr für andere Ausgaben frei – können hierfür verwendet werden. Da die SPD die Absenkung von 1,5% auf 1% gefordert hatte, dürfte aber eher davon auszugehen sein, dass die frei werdenden Mittel für andere Zwecke verwendet werden sollen.
Während die SPD nach ihrem Wahlprogramm bspw. die Vermögensteuer reaktivieren will, macht die Union deutlich, dass eine solche Maßnahme nicht einigungsfähig sein wird. Die Vermögensteuer wird in dem Ergebnispapier daher auch gar nicht erwähnt. Fraglich ist, ob die CDU/CSU im Rahmen einer Unternehmenssteuerreform umfassende Entlastungen von Konzernen sowie mittelständischen und kleineren Unternehmen durch die Senkung des Körperschaftsteuersatzes wird durchsetzen können. Denn insoweit verfolgt die SPD die Position, dass es keine pauschalen Entlastungen für Unternehmen geben soll. Eine Absenkung der Belastung mit Ertragsteuern soll ausweislich der Wahlkampfaussagen der SPD ausschließlich für kleinere und mittlere Unternehmen gelten. Ungeachtet ihrer Größe sollen Unternehmen nur durch Prämien bei inländischen Investitionen entlastet werden.
Die SPD setzt auf eine Entlastung von 95% der Steuerzahler. Diese soll aber nicht nur mit unmittelbar wirkenden Entlastungen, sondern – entgegen der Vorstellungen der Union – auch durch Belastungen von Besserverdienern und Vermögenden erreicht werden. Es soll also eine Umverteilung von steuerlichen Belastungen erreicht werden, bspw. durch eine Erhöhung der Spitzensteuersätze i.S. einer „Reichensteuer“, eine höhere Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen, eine Finanztransaktionsteuer oder die Abschaffung der Abgeltungssteuer und die Besteuerung von Kapitaleinkünften mit dem persönlichen Einkommensteuertarif.
Gegensätzliche Positionen also. Es darf mit Spannung erwartet werden, welche der Parteien in steuerpolitischen Fragen welche Position aufgeben wird. Denn anderenfalls wird es der GroKo kaum gelingen, tatsächlich eine umfassende Reform der Einkommensteuer und der Unternehmenssteuern auf den Weg zu bringen. Die ersten Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen zeigen, dass eine echte Steuerreform alles andere als ein Selbstläufer sein wird. So soll ein heftiger Streit um die Abschaffung des Ehegattensplittings entbrannt sein, welches die SPD durchzusetzen versucht. Zudem soll die SPD eine Absenkung der Körperschaftsteuer erst ab 2029 und nur um einen Prozentpunkt für kompromissfähig halten.
Ob das Bundesverfassungsgericht im Übrigen Schützenhilfe für das wiederkehrende Wahlkampfthema der Union, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, leisten wird, zeigt sich nach der Verkündung des Urteils zu der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags am 26. März 2025. Wäre dies der Fall, bleibt abzuwarten, ob dieses „Steuergeschenk“ in Höhe von ca. EUR 13 Mrd. p.a. an Unternehmen und Besserverdiener den Druck der SPD auf die Union, auch Entlastungen für niedrige und mittlere Einkommen zu verabschieden, erhöhen wird.
Ein realistisches Szenario könnte – zusammen mit den bereits in dem Ergebnispapier angelegten Maßnahmen – trotz der bereits zutage tretenden Differenzen in den Koalitionsverhandlungen das Folgende sein: Die Koalitionspartner einigen sich auf eine Absenkung der Unternehmenssteuern auf thesaurierte Gewinne auf 25%, was steuerpolitisch absolut notwendig ist. Dies geschieht, indem der Körperschaftsteuersatz abgesenkt oder alternativ eine Anrechnung der Gewerbesteuer geregelt wird. Für Personengesellschaften und ihre Gesellschafter würden durch eine entsprechende Anpassung der Thesaurierungsbegünstigung gem. § 34a EStG ebenfalls effektive Thesaurierungsanreize gesetzt werden. Damit stehen den Unternehmen flächendeckend mehr Mittel für Investitionen zur Verfügung. Zudem kommt es zu einer Glättung des Mittelstandsbauchs im Einkommensteuerrecht durch eine Anhebung der Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz auf EUR 80.000. Der Solidaritätszuschlag fällt infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weg.
Als Maßnahmen zur Gegenfinanzierung könnte der Einkommensteuerspitzensatz moderat angehoben werden, was nach Wegfall des Solidaritätszuschlags keine Steuererhöhung bedeuten würde. Denkbar wäre zudem, dass die Koalitionsparteien den Regelsteuersatz bei der Umsatzsteuer in den Blick nehmen. Da der deutsche Umsatzsteuersatz der drittniedrigste Steuersatz in der EU ist, könnte der Regelsteuersatz von 19% angehoben werden – bei gleichzeitiger Absenkung des Steuersatzes für Restaurantleistungen und Grundnahrungsmittel. 22% Umsatzsteuer wäre ein Platz im Mittelfeld der Steuersätze in den EU-Mitgliedstaaten.
Offen ist, ob auch die (weitgehend) erbschaft- und schenkungsteuerfreie Übertragung von Großvermögen aufgrund der gegenwärtigen Begünstigung von Betriebsvermögen durch ein mehrjähriges Steuerstundungsmodell ersetzt wird. Diese Forderung der SPD hatte die CDU auch zunächst in einen Entwurf des Grundsatzprogramms aufgenommen, dann aber wieder gestrichen. So ganz abgeneigt scheint daher auch die CDU dieser steuerpolitischen Forderung nicht zu sein, zumal, wenn sie die Mittel für eine notwendige Gegenfinanzierung der vorgenannten Steuersenkungen bereitstellt. Eine solche Reform des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes sollte im Blick gehalten werden, um rechtzeitig vor der Umsetzung von entsprechenden Gesetzesänderungen Maßnahmen zur Reduzierung von Steuerlasten zu ergreifen.