Autoren
Dr. Maximilian Schmidt
Datum

06. Juni 2023

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Das Vorspiel für die Tarifrunde 2023 bei der Deutsche Bahn AG hat begonnen. Neben den zu erwartenden Forderungen für erhebliche Entgeltsteigerungen hat die GDL am 05. Juni 2023 bekanntgegeben, dass mit der Genossenschaft „Fair Train e.G.“ eine gewerkschaftlich organisierte Gesellschaft zur Überlassung von Arbeitnehmern im Eisenbahnsektor gegründet worden ist. Eine Gewerkschaft gründet eine Leiharbeitsgesellschaft? Arbeitsrechtliche und tarifpolitische Grundsatzfragen drängen sich auf.

„Wir übernehmen nunmehr die Verantwortung und haben mit der Fair Train e.G. ein Unternehmen gegründet, welches im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung von Lokomotivführern mit fairen Bedingungen aufwartet“, so Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Die Satzung der Fair Train e.G. ist bereits im Internet abrufbar (https://www.fair-train.de/satzung). 

Das Konzept ist kreativ: Die Mitglieder der GDL sollen möglichst vollzählig ihre Arbeitsverhältnisse mit der Deutsche Bahn AG beenden und Mitglieder der Genossenschaft Fair Train e.G. werden. Aus der Fair Train e.G. sollen die GDL-Mitglieder dann an Unternehmen des Eisenbahnsektors im Wege der Arbeitnehmerüberlassung verliehen werden, vorrangig wohl auf ihre bisherigen Arbeitsplätze bei der Deutsche Bahn AG. Es sollen auch Tarifverträge abgeschlossen werden – natürlich mit der GDL zu den bereits derzeit gewünschten Konditionen.

Hintergrund der Gründung der Genossenschaft ist ein jahrelanger Tarifkonflikt der GDL mit der Deutsche Bahn AG. Die dortige Mehrheitsgewerkschaft EVG gibt aufgrund des Tarifeinheitsgesetzes den Ton an, verdrängt Tarifverträge der kleineren GDL. Dies versucht die GDL nun mit der Gründung der Fair Train e.G. zu umgehen.

Genialer Schachzug oder klassisches Eigentor? Fünf Thesen zur Gründung der Fair Train e.G.

1. Tariffähigkeit der GDL in Frage – Personenidentität statt Gegnerfreiheit?

Grundlegende Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Gewerkschaft ist ihre Gegnerfreiheit. Arbeitgeber dürfen grundsätzlich nicht Mitglieder der Gewerkschaft sein. Ansonsten ist nicht gewährleistet, dass die ausverhandelten Ergebnisse tarifautonom die Stärkeverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern widerspiegeln.

§ 3 Ziff. 2 der Satzung der Fair Train e.G. sieht vor, dass ausschließlich GDL-Mitglieder als Mitglieder der Fair Train e.G. in Betracht kommen. Wenn wirklich – so wie von der GDL beabsichtigt – alle GDL-Mitglieder zugleich Genossen der Fair Train e.G. werden, stünden auf Arbeitgeberseite und Arbeitnehmerseite faktisch die gleichen Personen. Die GDL-Mitglieder würden etwa in gewerkschaftlichen Versammlungen der GDL über die Zustimmung zu einem Tarifvertrag abstimmen, ebenso wären sie in der Fair Train e.G. am Abschluss von Tarifverträgen beteiligt. GDL-Mitglieder würden also mit GDL-Mitgliedern über ihre Arbeitsbedingungen verhandeln. Sowohl die Tariffähigkeit der GDL als auch der Fair Train e.G. wären angreifbar.

Grundsätzliche Fragen stellen sich auch hinsichtlich der koalitionsrechtlichen Betätigungsfreiheit einer Gewerkschaft: Darf die GDL als Arbeitnehmerkoalition einen Arbeitgeber gründen und Mitarbeiter des Tarifpartners abwerben? Planungen der IG Metall zur Gründung eines von Mitgliedern betriebenen Automobilherstellers sind jedenfalls – wohl aus guten Gründen – nicht bekannt.

Ein tarifrechtlich hochriskantes Spiel also: Im Ergebnis könnte die GDL insgesamt nicht mehr tariffähig sein mit unübersehbaren Folgen für die gesamte Gewerkschaft. Statt tarifpolitisch den Druck auf den Gegner zu erhöhen hätte sich die GDL damit selbst abgeschafft. Ein potenziell spielentscheidendes Eigentor!

2. AÜG gilt auch für die Fair Train e.G. 

Auch die Fair Train e.G. wird sich an die Vorgaben des AÜG halten müssen. So beabsichtigt die Fair Train e.G. ihrer Satzung zufolge auch die Beantragung der entsprechenden Erlaubnis. Bis auf Weiteres würde aber z.B. die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten gelten. So müssten die Eisenbahner regelmäßig zwischen den Entleihern wechseln, Stabilität im Arbeitsleben wäre kaum zu gewährleisten. Ein grundsätzlich zulässiger Tarifvertrag zur Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer wie bspw. in der Elektro- und Metallindustrie könnte wohl kaum wirksam zwischen GDL und Fair Train e.G. abgeschlossen werden. Die Gewerkschaftsmitglieder verhandelten faktisch mit sich selbst über ihre Arbeitsbedingungen.

Dazu kommen wirtschaftliche Risiken: Die Deutsche Bahn AG würde wohl nur auf Mitarbeiter der Fair Train e.G. zurückgreifen, wenn andernfalls – wie derzeit der Fall – akuter Personalmangel herrscht. Zeiten ohne Überlassung drohen – wie soll die Fair Train e.G. die Gehälter der Eisenbahner für diese Dauer dann bezahlen? Das Konzept dürfte also voraussetzen, dass so viele GDL-Mitglieder zur Fair Train e.G. wechseln, dass die Deutsche Bahn AG auf diese zurückgreifen muss. Unwahrscheinlich, dass zu einem Stichtag derart viele GDL-Mitglieder den riskanten Sprung wagen.

3. GDL auch bei Leiharbeit im gewerkschaftlichen Alleingang

Gewerkschaften setzen sich traditionell für die Stärkung der Stammbelegschaft ein. So wird häufig die Übernahme von Leiharbeitnehmern in die Stammbelegschaft oder auch Höchstquoten für das Verhältnis von Stammbelegschaft zu Leiharbeitnehmern von Gewerkschaften gefordert. In der Pflege-Branche wird vermehrt zu über den ansonsten geltenden tariflichen Bedingungen bezahlte Leiharbeitnehmer zurückgegriffen – mit viel Kritik von Gewerkschaftsseite. 

Anders die GDL: Sie unterstützt nun den Pfad der „gut bezahlten“ Leiharbeit statt dauerhaft eingesetzter Stammarbeitnehmer. Ziel ist es mit der Fair Train e.G. gerade bessere Arbeitskonditionen für die Mitglieder durchzusetzen als auf Grundlage der mit der Mehrheitsgewerkschaft EVG geltenden Tarifverträge. Statt auf Tarifautonomie setzt die GDL also auf eine (vermeintliche) Marktmacht von Leiharbeitnehmern. Dies dürfte auch von Gewerkschaften anderer Branchen kritisch beobachtet werden.

4. Weitere Zersplitterung der Tariflandschaft und Gefahr für die Daseinsvorsorge

Zugleich lässt die Maßnahme eine weitere Zersplitterung der Tariflandschaft befürchten. Die gesetzgeberisch vorgegebene, wenn auch oft kritisierte Tarifeinheit bezweckt gerade, dass Gewerkschaften mit den besten Ideen und Forderungen um Mitglieder werben, damit die eigenen Vorstellungen durchgesetzt werden können. Hiermit hatte die GDL bisher keinen durchschlagenden Erfolg. Sollte das Vehikel der Fair Train e.G. Erfolg haben, würde den tariflichen Auseinandersetzungen bei der Bahn ein weiteres Spielfeld hinzugefügt. Das Risiko für Streiks und hiermit verbundene Zugausfälle würde sich wohl weiter erhöhen.

5. Klare Trennung der Kassen von GDL und Fair Train e.G. muss gewährleistet sein

Die bisherige Kommunikation der GDL und die Satzung der Fair Train e.G. zeigen eine enge personelle Verbindung. Vorsicht ist bei der Verwendung gewerkschaftlicher Mittel geboten: Die Beiträge der Mitglieder dürfen ausschließlich zu gewerkschaftlichen Zwecken eingesetzt werden. Die Zweckentfremdung von Mitteln kann andernfalls eine Untreue iSd § 266 StGB darstellen. 

Die Gründung und der Betrieb der Fair Train e.G. dürften nicht zu Zwecken der Gewerkschaft zählen. Die rechtliche Beratung, Finanzierung, Gründungskosten und die Kosten für die Website müssten also von den Gründungsmitgliedern persönlich getragen worden sein, nicht von der GDL. Nicht nur diesen Punkt werden Deutsche Bahn AG und andere Interessierte kritisch hinterfragen.

Genialer Schachzug oder klassisches Eigentor? GDL verkündet Gründung einer gewerkschaftlichen Zeitarbeitsfirma

Das Vorspiel für die Tarifrunde 2023 bei der Deutsche Bahn AG hat begonnen. Neben den zu erwartenden Forderungen für erhebliche Entgeltsteigerungen hat die GDL am 05. Juni 2023 bekanntgegeben, dass mit der Genossenschaft „Fair Train e.G.“ eine gewerkschaftlich organisierte Gesellschaft zur Überlassung von Arbeitnehmern im Eisenbahnsektor gegründet worden ist. Eine Gewerkschaft gründet eine Leiharbeitsgesellschaft? Arbeitsrechtliche und tarifpolitische Grundsatzfragen drängen sich auf.

„Wir übernehmen nunmehr die Verantwortung und haben mit der Fair Train e.G. ein Unternehmen gegründet, welches im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung von Lokomotivführern mit fairen Bedingungen aufwartet“, so Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Die Satzung der Fair Train e.G. ist bereits im Internet abrufbar (https://www.fair-train.de/satzung). 

Das Konzept ist kreativ: Die Mitglieder der GDL sollen möglichst vollzählig ihre Arbeitsverhältnisse mit der Deutsche Bahn AG beenden und Mitglieder der Genossenschaft Fair Train e.G. werden. Aus der Fair Train e.G. sollen die GDL-Mitglieder dann an Unternehmen des Eisenbahnsektors im Wege der Arbeitnehmerüberlassung verliehen werden, vorrangig wohl auf ihre bisherigen Arbeitsplätze bei der Deutsche Bahn AG. Es sollen auch Tarifverträge abgeschlossen werden – natürlich mit der GDL zu den bereits derzeit gewünschten Konditionen.

Hintergrund der Gründung der Genossenschaft ist ein jahrelanger Tarifkonflikt der GDL mit der Deutsche Bahn AG. Die dortige Mehrheitsgewerkschaft EVG gibt aufgrund des Tarifeinheitsgesetzes den Ton an, verdrängt Tarifverträge der kleineren GDL. Dies versucht die GDL nun mit der Gründung der Fair Train e.G. zu umgehen.

Genialer Schachzug oder klassisches Eigentor? Fünf Thesen zur Gründung der Fair Train e.G.

1. Tariffähigkeit der GDL in Frage – Personenidentität statt Gegnerfreiheit?

Grundlegende Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Gewerkschaft ist ihre Gegnerfreiheit. Arbeitgeber dürfen grundsätzlich nicht Mitglieder der Gewerkschaft sein. Ansonsten ist nicht gewährleistet, dass die ausverhandelten Ergebnisse tarifautonom die Stärkeverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern widerspiegeln.

§ 3 Ziff. 2 der Satzung der Fair Train e.G. sieht vor, dass ausschließlich GDL-Mitglieder als Mitglieder der Fair Train e.G. in Betracht kommen. Wenn wirklich – so wie von der GDL beabsichtigt – alle GDL-Mitglieder zugleich Genossen der Fair Train e.G. werden, stünden auf Arbeitgeberseite und Arbeitnehmerseite faktisch die gleichen Personen. Die GDL-Mitglieder würden etwa in gewerkschaftlichen Versammlungen der GDL über die Zustimmung zu einem Tarifvertrag abstimmen, ebenso wären sie in der Fair Train e.G. am Abschluss von Tarifverträgen beteiligt. GDL-Mitglieder würden also mit GDL-Mitgliedern über ihre Arbeitsbedingungen verhandeln. Sowohl die Tariffähigkeit der GDL als auch der Fair Train e.G. wären angreifbar.

Grundsätzliche Fragen stellen sich auch hinsichtlich der koalitionsrechtlichen Betätigungsfreiheit einer Gewerkschaft: Darf die GDL als Arbeitnehmerkoalition einen Arbeitgeber gründen und Mitarbeiter des Tarifpartners abwerben? Planungen der IG Metall zur Gründung eines von Mitgliedern betriebenen Automobilherstellers sind jedenfalls – wohl aus guten Gründen – nicht bekannt.

Ein tarifrechtlich hochriskantes Spiel also: Im Ergebnis könnte die GDL insgesamt nicht mehr tariffähig sein mit unübersehbaren Folgen für die gesamte Gewerkschaft. Statt tarifpolitisch den Druck auf den Gegner zu erhöhen hätte sich die GDL damit selbst abgeschafft. Ein potenziell spielentscheidendes Eigentor!

2. AÜG gilt auch für die Fair Train e.G. 

Auch die Fair Train e.G. wird sich an die Vorgaben des AÜG halten müssen. So beabsichtigt die Fair Train e.G. ihrer Satzung zufolge auch die Beantragung der entsprechenden Erlaubnis. Bis auf Weiteres würde aber z.B. die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten gelten. So müssten die Eisenbahner regelmäßig zwischen den Entleihern wechseln, Stabilität im Arbeitsleben wäre kaum zu gewährleisten. Ein grundsätzlich zulässiger Tarifvertrag zur Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer wie bspw. in der Elektro- und Metallindustrie könnte wohl kaum wirksam zwischen GDL und Fair Train e.G. abgeschlossen werden. Die Gewerkschaftsmitglieder verhandelten faktisch mit sich selbst über ihre Arbeitsbedingungen.

Dazu kommen wirtschaftliche Risiken: Die Deutsche Bahn AG würde wohl nur auf Mitarbeiter der Fair Train e.G. zurückgreifen, wenn andernfalls – wie derzeit der Fall – akuter Personalmangel herrscht. Zeiten ohne Überlassung drohen – wie soll die Fair Train e.G. die Gehälter der Eisenbahner für diese Dauer dann bezahlen? Das Konzept dürfte also voraussetzen, dass so viele GDL-Mitglieder zur Fair Train e.G. wechseln, dass die Deutsche Bahn AG auf diese zurückgreifen muss. Unwahrscheinlich, dass zu einem Stichtag derart viele GDL-Mitglieder den riskanten Sprung wagen.

3. GDL auch bei Leiharbeit im gewerkschaftlichen Alleingang

Gewerkschaften setzen sich traditionell für die Stärkung der Stammbelegschaft ein. So wird häufig die Übernahme von Leiharbeitnehmern in die Stammbelegschaft oder auch Höchstquoten für das Verhältnis von Stammbelegschaft zu Leiharbeitnehmern von Gewerkschaften gefordert. In der Pflege-Branche wird vermehrt zu über den ansonsten geltenden tariflichen Bedingungen bezahlte Leiharbeitnehmer zurückgegriffen – mit viel Kritik von Gewerkschaftsseite. 

Anders die GDL: Sie unterstützt nun den Pfad der „gut bezahlten“ Leiharbeit statt dauerhaft eingesetzter Stammarbeitnehmer. Ziel ist es mit der Fair Train e.G. gerade bessere Arbeitskonditionen für die Mitglieder durchzusetzen als auf Grundlage der mit der Mehrheitsgewerkschaft EVG geltenden Tarifverträge. Statt auf Tarifautonomie setzt die GDL also auf eine (vermeintliche) Marktmacht von Leiharbeitnehmern. Dies dürfte auch von Gewerkschaften anderer Branchen kritisch beobachtet werden.

4. Weitere Zersplitterung der Tariflandschaft und Gefahr für die Daseinsvorsorge

Zugleich lässt die Maßnahme eine weitere Zersplitterung der Tariflandschaft befürchten. Die gesetzgeberisch vorgegebene, wenn auch oft kritisierte Tarifeinheit bezweckt gerade, dass Gewerkschaften mit den besten Ideen und Forderungen um Mitglieder werben, damit die eigenen Vorstellungen durchgesetzt werden können. Hiermit hatte die GDL bisher keinen durchschlagenden Erfolg. Sollte das Vehikel der Fair Train e.G. Erfolg haben, würde den tariflichen Auseinandersetzungen bei der Bahn ein weiteres Spielfeld hinzugefügt. Das Risiko für Streiks und hiermit verbundene Zugausfälle würde sich wohl weiter erhöhen.

5. Klare Trennung der Kassen von GDL und Fair Train e.G. muss gewährleistet sein

Die bisherige Kommunikation der GDL und die Satzung der Fair Train e.G. zeigen eine enge personelle Verbindung. Vorsicht ist bei der Verwendung gewerkschaftlicher Mittel geboten: Die Beiträge der Mitglieder dürfen ausschließlich zu gewerkschaftlichen Zwecken eingesetzt werden. Die Zweckentfremdung von Mitteln kann andernfalls eine Untreue iSd § 266 StGB darstellen. 

Die Gründung und der Betrieb der Fair Train e.G. dürften nicht zu Zwecken der Gewerkschaft zählen. Die rechtliche Beratung, Finanzierung, Gründungskosten und die Kosten für die Website müssten also von den Gründungsmitgliedern persönlich getragen worden sein, nicht von der GDL. Nicht nur diesen Punkt werden Deutsche Bahn AG und andere Interessierte kritisch hinterfragen.

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