Autoren
Datum

10. Februar 2025

Diesen Beitrag teilen

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. Januar 2025 – 1 AZR 33/24

Fakten

Die klagende Gewerkschaft hat vom Arbeitgeber gefordert, dass er ihr die betrieblichen E-Mail-Adressen seiner Arbeitnehmer übermittele, ihr Zugang als „internal user“ zur konzerninternen Kommunikationsplattform gewähre und ihren Internetauftritt auf der Startseite des Intranets verlinke. Ein erheblicher Teil der betriebsinternen Kommunikation findet in digitaler Form statt.

Entscheidung

Die Vorinstanzen haben die Klage der Gewerkschaft abgewiesen. Die Revision hatte keinen Erfolg. Die Gerichte hätten bei einer Ausgestaltung der Koalitionsbestätigungsfreiheit im Wege einer gesetzesvertretenden Rechtsfortbildung die konfligierenden Grundrechte des Arbeitgebers (Art. 14, 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) und der Arbeitnehmer (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) zu berücksichtigen. Alle betroffenen Positionen seien miteinander in einen Ausgleich zu bringen, der ihnen die größtmögliche Wirksamkeit verschaffe. Diese einzelfallbezogene Abwägung nahm das BAG in Bezug auf die einzelnen Klageanträge vor, die auch in der Revisionsinstanz erfolglos blieben.

Hinsichtlich des Begehrens, dass der Arbeitgeber die betrieblichen E-Mail-Adressen mitteilen und ihre Verwendung in bestimmtem Umfang dulden müsse, verwies das Gericht die Gewerkschaft auf die weniger eingriffsintensive Möglichkeit, die Arbeitnehmer vor Ort im Betrieb nach ihrer betrieblichen E-Mail-Adresse zu fragen. Offen gelassen hat das BAG, ob eine Gewerkschaft grundsätzlich auf Grundlage von Art. 9 Abs. 3 GG vom Arbeitgeber verlangen kann, dass er ihren Internetauftritt im Intranet verlinkt. Jedenfalls habe die Gewerkschaft keinen Anspruch aus einer analogen Anwendung von § 9 Abs. 3 Satz 2 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) auf Vornahme einer Verlinkung auf der Startseite des Intranets.

Folgen der Entscheidung

Die Koalitionsbetätigungsfreiheit ist verfassungsrechtlich geschützt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gehört zu der den Koalitionen und ihren Mitgliedern gewährleisteten Betätigung auch die Werbung neuer Mitglieder, die ohne entsprechende Information und Selbstdarstellung der Gewerkschaften kaum verwirklicht werden kann. Ob eine einzelne Werbeaktion unerlässlich ist, um den Bestand einer Koalition zu erhalten und zu sichern, ist nicht maßgeblich. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Digitalisierung der Arbeit gewinnt die Frage nach digitalen Möglichkeiten einer Ansprache von Arbeitnehmern für die Gewerkschaften an Bedeutung.

In Erwartung einer Grundsatzentscheidung zum digitalen Zugangsrecht hat das Urteil vom 28. Januar 2025 breite Aufmerksamkeit erhalten. Die Entscheidung liegt bislang nur als Pressemitteilung vor. Das Ergebnis liegt auf einer Linie mit bisherigen untergerichtlichen Entscheidungen zum digitalen Zugangsrecht (Arbeitsgericht Bonn, Urteil vom 11. Mai 2022 – 2 Ca 93/22; Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 31. März 2022 – 4 Ca 248/21) und der herrschenden Ansicht in der Literatur.

Die Ampelkoalition hatte sich vorgenommen, „ein zeitgemäßes Recht für Gewerkschaften auf digitalen Zugang in die Betriebe“ zu schaffen, das ihren analogen Rechten entspricht (Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Bündnis90/Die Grünen und den Freien Demokraten (FDP), S. 56). Nach einer zeitweisen Überlegung, das BetrVG und das Tarifvertragsgesetz im Rahmen des Tariftreuegesetzes um eine Regelung zum digitalen Zugangsrecht zu ergänzen, hat der Gesetzgeber letztlich keine Regelung für die Privatwirtschaft geschaffen (ausführlich hierzu: Scharff, BB 2025, 116, 118 ff.).

Während das BPersVG in § 9 Abs. 3 Satz 2 BPersVG seit Juni 2021 einen Anspruch von Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen darauf regelt, dass die Dienststelle in ihrem Intranet den Internetauftritt der Vereinigung verlinkt, hat der Gesetzgeber weder im Rahmen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes (Juni 2021) noch im Zweiten Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes (Juli 2024) eine entsprechende Regelung ins BetrVG aufgenommen. Abzuwarten gilt, ob die neue Bundesregierung ein digitales Zugangsrecht der Gewerkschaften gesetzlich regeln wird. Denkbar sind auch Regelungen der Tarifvertragsparteien. So hat die klagende Gewerkschaft mit mehreren Arbeitgeberverbänden Sozialpartnervereinbarungen zum digitalen Zugangsrecht geschlossen.

Hinweise für die Praxis

Arbeitgeber müssen bei einer entsprechenden Forderung einer Gewerkschaft die Interessen aller Beteiligten sorgfältig abwägen und prüfen, ob sie im Einzelfall Zugang zu digitalen Kommunikationskanälen gewähren müssen. Dabei sind insbesondere Koalitionsbetätigungsfreiheit, negative Koalitionsfreiheit, Datenschutz und Datensicherheit einzubeziehen. Erhält die tarifzuständige Gewerkschaft ohne Mitteilung durch den Arbeitgeber Kenntnis der betrieblichen E-Mail-Adressen, muss der Arbeitgeber grundsätzlich dulden, wenn die Gewerkschaft diese zur Ansprache von Arbeitnehmern zu Werbe- und Informationszwecken nutzt (BAG, Urteil vom 20. Januar 2009 – 1 AZR 515/08). Ein Anspruch der Gewerkschaft kann insbesondere ausscheiden bei Störungen des Betriebsablaufs oder des Betriebsfriedens.

Digitales Zugangsrecht einer Gewerkschaft

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. Januar 2025 – 1 AZR 33/24

Fakten

Die klagende Gewerkschaft hat vom Arbeitgeber gefordert, dass er ihr die betrieblichen E-Mail-Adressen seiner Arbeitnehmer übermittele, ihr Zugang als „internal user“ zur konzerninternen Kommunikationsplattform gewähre und ihren Internetauftritt auf der Startseite des Intranets verlinke. Ein erheblicher Teil der betriebsinternen Kommunikation findet in digitaler Form statt.

Entscheidung

Die Vorinstanzen haben die Klage der Gewerkschaft abgewiesen. Die Revision hatte keinen Erfolg. Die Gerichte hätten bei einer Ausgestaltung der Koalitionsbestätigungsfreiheit im Wege einer gesetzesvertretenden Rechtsfortbildung die konfligierenden Grundrechte des Arbeitgebers (Art. 14, 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) und der Arbeitnehmer (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) zu berücksichtigen. Alle betroffenen Positionen seien miteinander in einen Ausgleich zu bringen, der ihnen die größtmögliche Wirksamkeit verschaffe. Diese einzelfallbezogene Abwägung nahm das BAG in Bezug auf die einzelnen Klageanträge vor, die auch in der Revisionsinstanz erfolglos blieben.

Hinsichtlich des Begehrens, dass der Arbeitgeber die betrieblichen E-Mail-Adressen mitteilen und ihre Verwendung in bestimmtem Umfang dulden müsse, verwies das Gericht die Gewerkschaft auf die weniger eingriffsintensive Möglichkeit, die Arbeitnehmer vor Ort im Betrieb nach ihrer betrieblichen E-Mail-Adresse zu fragen. Offen gelassen hat das BAG, ob eine Gewerkschaft grundsätzlich auf Grundlage von Art. 9 Abs. 3 GG vom Arbeitgeber verlangen kann, dass er ihren Internetauftritt im Intranet verlinkt. Jedenfalls habe die Gewerkschaft keinen Anspruch aus einer analogen Anwendung von § 9 Abs. 3 Satz 2 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) auf Vornahme einer Verlinkung auf der Startseite des Intranets.

Folgen der Entscheidung

Die Koalitionsbetätigungsfreiheit ist verfassungsrechtlich geschützt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gehört zu der den Koalitionen und ihren Mitgliedern gewährleisteten Betätigung auch die Werbung neuer Mitglieder, die ohne entsprechende Information und Selbstdarstellung der Gewerkschaften kaum verwirklicht werden kann. Ob eine einzelne Werbeaktion unerlässlich ist, um den Bestand einer Koalition zu erhalten und zu sichern, ist nicht maßgeblich. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Digitalisierung der Arbeit gewinnt die Frage nach digitalen Möglichkeiten einer Ansprache von Arbeitnehmern für die Gewerkschaften an Bedeutung.

In Erwartung einer Grundsatzentscheidung zum digitalen Zugangsrecht hat das Urteil vom 28. Januar 2025 breite Aufmerksamkeit erhalten. Die Entscheidung liegt bislang nur als Pressemitteilung vor. Das Ergebnis liegt auf einer Linie mit bisherigen untergerichtlichen Entscheidungen zum digitalen Zugangsrecht (Arbeitsgericht Bonn, Urteil vom 11. Mai 2022 – 2 Ca 93/22; Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 31. März 2022 – 4 Ca 248/21) und der herrschenden Ansicht in der Literatur.

Die Ampelkoalition hatte sich vorgenommen, „ein zeitgemäßes Recht für Gewerkschaften auf digitalen Zugang in die Betriebe“ zu schaffen, das ihren analogen Rechten entspricht (Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Bündnis90/Die Grünen und den Freien Demokraten (FDP), S. 56). Nach einer zeitweisen Überlegung, das BetrVG und das Tarifvertragsgesetz im Rahmen des Tariftreuegesetzes um eine Regelung zum digitalen Zugangsrecht zu ergänzen, hat der Gesetzgeber letztlich keine Regelung für die Privatwirtschaft geschaffen (ausführlich hierzu: Scharff, BB 2025, 116, 118 ff.).

Während das BPersVG in § 9 Abs. 3 Satz 2 BPersVG seit Juni 2021 einen Anspruch von Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen darauf regelt, dass die Dienststelle in ihrem Intranet den Internetauftritt der Vereinigung verlinkt, hat der Gesetzgeber weder im Rahmen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes (Juni 2021) noch im Zweiten Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes (Juli 2024) eine entsprechende Regelung ins BetrVG aufgenommen. Abzuwarten gilt, ob die neue Bundesregierung ein digitales Zugangsrecht der Gewerkschaften gesetzlich regeln wird. Denkbar sind auch Regelungen der Tarifvertragsparteien. So hat die klagende Gewerkschaft mit mehreren Arbeitgeberverbänden Sozialpartnervereinbarungen zum digitalen Zugangsrecht geschlossen.

Hinweise für die Praxis

Arbeitgeber müssen bei einer entsprechenden Forderung einer Gewerkschaft die Interessen aller Beteiligten sorgfältig abwägen und prüfen, ob sie im Einzelfall Zugang zu digitalen Kommunikationskanälen gewähren müssen. Dabei sind insbesondere Koalitionsbetätigungsfreiheit, negative Koalitionsfreiheit, Datenschutz und Datensicherheit einzubeziehen. Erhält die tarifzuständige Gewerkschaft ohne Mitteilung durch den Arbeitgeber Kenntnis der betrieblichen E-Mail-Adressen, muss der Arbeitgeber grundsätzlich dulden, wenn die Gewerkschaft diese zur Ansprache von Arbeitnehmern zu Werbe- und Informationszwecken nutzt (BAG, Urteil vom 20. Januar 2009 – 1 AZR 515/08). Ein Anspruch der Gewerkschaft kann insbesondere ausscheiden bei Störungen des Betriebsablaufs oder des Betriebsfriedens.

Footer Mood

Bitte warten...