Autoren
Dr. Dennis Ehrlich, Nicholas Mackes
Datum

27. März 2024

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Die Geschäftsführer einer GmbH sind – ebenso wie die Geschäftsleiter anderer Gesellschaftsformen – grundsätzlich dazu verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet wird (§ 15a Abs. 1 InsO). Die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung löst aber nicht nur eine Antragspflicht aus, sondern darüber hinaus auch ein Zahlungsverbot (§ 15b Abs. 1 InsO). Für Zahlungen, die trotz dieses Verbots vorgenommen wurden, haften die Geschäftsführer grundsätzlich persönlich (§ 15b Abs. 4 InsO). Der Eintritt der Überschuldung birgt für Geschäftsführer daher ein persönliches Haftungsrisiko. Umso wichtiger ist es, dass der Eintritt der Überschuldung rechtzeitig erkannt wird.

Das OLG Düsseldorf hat in den letzten Jahren und zuletzt mit Urteil vom 16.08.2023 damit für Aufsehen gesorgt, dass es die Grundsätze des BGH für die Fortbestehensprognose im Bereich der Start-up-Unternehmen nicht uneingeschränkt anwenden will. Im Folgenden wird zunächst die Problematik der Feststellung der Überschuldung im Start-up-Bereich erläutert (I.). Sodann wird auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Feststellung der Überschuldung eingegangen (II.) und inwieweit das OLG Düsseldorf bei Start-ups davon abweichen will (III.). Schließlich bewerten die beiden Autoren, welche Konsequenzen die Entscheidung für die Geschäftsführer von Start-ups hat und welche Vorgehensweise in der Praxis zu empfehlen ist (IV.)

I. Die Überschuldungsproblematik bei Start-ups

Nach § 19 Abs. 2 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Die Feststellung der Überschuldung erfolgt also in zwei Stufen. Zunächst muss geprüft werden, ob die Gesellschaft rechnerisch überschuldet ist, d.h. ob die Verbindlichkeiten das Gesellschaftsvermögen übersteigen. Wenn dies der Fall ist, muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob für das Unternehmen bei einem Planungshorizont von 12 Monaten eine positive oder eine negative Fortführungsprognose besteht. Bei einer negativen Fortführungsprognose ist das Unternehmen überschuldet im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO. Ist die Fortführungsprognose hingegen positiv, liegt trotz der rechnerischen Überschuldung keine Insolvenzreife vor.

Bei Start-ups ist die Anfangsphase typischerweise von hohen Verlusten aufgrund großer Investitionskosten und wenig bis keinen Einnahmen geprägt. Sie sind deshalb auf Kapitalgeber (wie z. B. einen Investor) angewiesen. Start-ups sind daher in den ersten Jahren häufig rechnerisch überschuldet. Ob das Start-up auch im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO überschuldet ist, hängt damit von der Fortführungsprognose ab. Für Geschäftsführer von Start-ups ist daher von besonderer Bedeutung, welche Anforderungen an eine positive Fortführungsprognose zu stellen sind.

II. Die Fortführungsprognose in der BGH-Rechtsprechung

Die Fortführungsprognose ist positiv, wenn die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich, also größer als 50%, ist. Nach der Rechtsprechung des BGH setzt eine positive Fortführungsprognose in subjektiver Hinsicht den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe und in objektiver Hinsicht die sich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept ergebende Lebensfähigkeit des Unternehmens voraus (BGH, Urt. v. 13.7.2021 – II ZR 84/20 = NZI 2021, 872 Rn. 68 m.w.N.). Dem schlüssigen und realisierbaren Unternehmenskonzept muss dabei grundsätzlich ein Ertrags- und Finanzplan für die nächsten zwölf Monate zugrunde liegen, aus dem sich ergibt, dass die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig zur Unternehmensfortführung ausreicht. Da es sich bei der Fortführungsprognose um eine Vorhersage handelt, ist dem Geschäftsführer zwangsläufig ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen. In seine Beurteilung darf und soll der Geschäftsführer alle Umstände einbeziehen, die ihm zu diesem Zeitpunkt bekannt waren.

Bei Start-ups steht häufig ein Investor im Hintergrund, der der Gesellschaft in der Vergangenheit bereits Kapital zur Verfügung gestellt hat. Wenn sich diese Kapitalreserven dem Ende nähern, ist für den Geschäftsführer von besonderer Bedeutung, ob er weiterhin mit der Unterstützung durch den Investor rechnen darf. Unproblematisch ist der Fall, dass der Investor bereits verbindlich neue finanzielle Engagements, sei es durch neue Darlehen oder harte Patronatserklärungen, zugesichert hat. Schwierigkeiten bereitet der Fall, in dem der Investor lediglich neue Engagements in Aussicht gestellt hat, ohne sich bereits zu verpflichten („weiche“ Patronatserklärung). In einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2021 hat der BGH entschieden, dass auch eine weiche Patronatserklärung ein Umstand ist, dem im Rahmen der Fortführungsprognose Bedeutung zukommen kann (BGH, Urt. v. 13.7.2021 – II ZR 84/20 = NZI 2021, 872 Rn. 77). Maßgeblich ist, ob mit der neuen Finanzierung durch den Investor insgesamt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden kann. Für Geschäftsführer von Start-ups folgt daraus, dass sie beurteilen müssen, ob aufgrund der Finanzkraft des Investors und dessen bisheriger Kommunikation eine erneute finanzielle Hilfe überwiegend wahrscheinlich ist, welche die Unternehmensfortführung mittelfristig sicherstellt.

III. Das Urteil des OLG Düsseldorf vom 16.8.2023

Mit Urteil vom 16.8.2023 hat das OLG Düsseldorf seine Rechtsauffassung bestätigt, die es bereits in mehreren Prozesskostenhilfeverfahren in den Jahren 2021 und 2022 geäußert hat (OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.8.2023 – 12 U 59/22 = NZI 2024, 76). So seien bei einem Start-up Unternehmen die Grundsätze, die der BGH für eine positive Fortführungsprognose aufgestellt hat, nicht uneingeschränkt anwendbar. Nach der Ansicht des OLG Düsseldorf ist die Ertragsfähigkeit des Unternehmens keine Voraussetzung für die positive Fortführungsprognose. Es sei bei solchen Unternehmen typisch, dass diese in einer mehr oder weniger langen Anfangsphase nicht ertragsfähig sind und zunächst nur Schulden machen. Entscheidend für die positive Fortführungsprognose sei daher nur die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum von zwölf Monaten. Bei dieser „Zahlungsfähigkeitsprognose“ seien dann die von Dritten kurz-, mittel- oder langfristig zur Verfügung gestellten Mittel zu berücksichtigen. Maßgeblich sei daher, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein wird, seine im Prognosezeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten zu decken.

Als Grundlage für diese Beurteilung verlangt das OLG Düsseldorf eine nachvollziehbare, realistische Finanzplanung mit einem operativen Konzept, das die geplante Etablierung der Geschäftsidee des Start-ups erfolgsversprechend erscheinen lässt. Denn nach Ansicht des Gerichts sei eine mittelfristige Liquiditätssicherung in der Regel nur erreichbar, wenn durch das operative Geschäft auf Dauer ausreichend Erträge erzielt werden, weil eine andauernde Fremdfinanzierung perspektivisch an Grenzen stoße. Soweit Finanzierungsbeiträge eines Investors in der Beurteilung berücksichtigt werden sollen, setzt dies nach Ansicht des OLG Düsseldorf voraus, dass dem Investor entsprechende Planungen vorgelegt worden sind und dieser seine Finanzierungszusage hiervon abhängig gemacht habe.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf darf durchaus kritisch betrachtet werden. Zum einen wird nicht hinreichend klar, inwieweit das Gericht von der BGH-Rechtsprechung abweichen will. Denn nach der BGH-Rechtsprechung ist ein aussagekräftiges Unternehmenskonzept mit einer Ertrags- und Finanzplanung erforderlich. Es ist daher keineswegs so, dass der BGH bei der Fortführungsprognose bislang alleine auf die Ertragsfähigkeit abgestellt hat. Zum anderen ist die Entscheidung in sich nicht konsequent. Denn einerseits soll es nicht auf die Ertragsfähigkeit, sondern auf die Zahlungsfähigkeit des Start-ups im Prognosezeitraum ankommen. Andererseits verlangt das Gericht aber, dass als Beurteilungsgrundlage ein operatives Konzept vorliegt, welches die geplante Etablierung der Geschäftsidee am Markt, mithin die Ertragsfähigkeit, als erfolgsversprechend erscheinen lässt. Nach dem Wortlaut von § 19 Abs. 2 InsO kommt es aber nur auf die nächsten zwölf Monate an. Wenn man die Ertragsfähigkeit bei Start-ups aus dem Prognosezeitraum heraushalten möchte, sollte man aber nicht gleichzeitig eine Planung für die Ertragsfähigkeit über den zwölf Monatszeitraum hinaus verlangen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass das „Abweichen“ des OLG Düsseldorf von der BGH-Rechtsprechung für den Bereich der Start-up-Unternehmen nicht erforderlich war. Denn eine mangelnde Ertragsfähigkeit im Prognosezeitraum führt auch bei Anwendung der BGH-Rechtsprechung nicht zu einer negativen Fortführungsprognose, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass eine Finanzierung für die nächsten zwölf Monate überwiegend wahrscheinlich ist.

IV. Praxistipps für Geschäftsführer

Es darf bezweifelt werden, ob die Ansicht des OLG Düsseldorf tatsächlich im Widerspruch zur bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung steht. Richtigerweise lassen sich wohl die gleichen, praxisgerechten Lösungen durch Anwendung der BGH-Rechtsprechung finden. Für Geschäftsführer von Start-ups in der verlustreichen Anfangsphase ist wichtig zu wissen, dass eine rechnerische Überschuldung nicht unmittelbar zur Insolvenzreife führt, sondern dass eine positive Fortbestehensprognose entscheidend ist. Dabei handelt es sich um eine Prognose über die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten. Sowohl nach dem BGH als auch nach dem OLG Düsseldorf müssen die Geschäftsführer eine realistische Finanzplanung und ein aussagekräftiges Unternehmenskonzept aufstellen. Ob nun mit dem OLG Düsseldorf eine Ertragsfähigkeit im Prognosezeitraum nicht verlangt wird oder wohl mit dem BGH eine mangelnde Ertragsfähigkeit durch eine überwiegend wahrscheinliche Sicherstellung der Finanzierung im Prognosezeitraum ausgeglichen wird, ist im Ergebnis unerheblich. In den Fällen, in denen sich der Investor (noch) nicht zu einer weiteren Finanzierung verpflichtet hat, ist es wichtig, eine überwiegend wahrscheinliche Finanzierung durch den Investor nachweisen zu können. Dafür sollte das Start-up von Anfang an eine nachvollziehbare Finanzplanung in enger Abstimmung mit den (potentiellen) Investoren erstellen und die Maßgeblichkeit dieser Planung für die Finanzierungszusage des Investors dokumentieren.

Die Fortbestehensprognose bei Start-ups – Haftungsrisiko für Geschäftsführer

Die Geschäftsführer einer GmbH sind – ebenso wie die Geschäftsleiter anderer Gesellschaftsformen – grundsätzlich dazu verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet wird (§ 15a Abs. 1 InsO). Die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung löst aber nicht nur eine Antragspflicht aus, sondern darüber hinaus auch ein Zahlungsverbot (§ 15b Abs. 1 InsO). Für Zahlungen, die trotz dieses Verbots vorgenommen wurden, haften die Geschäftsführer grundsätzlich persönlich (§ 15b Abs. 4 InsO). Der Eintritt der Überschuldung birgt für Geschäftsführer daher ein persönliches Haftungsrisiko. Umso wichtiger ist es, dass der Eintritt der Überschuldung rechtzeitig erkannt wird.

Das OLG Düsseldorf hat in den letzten Jahren und zuletzt mit Urteil vom 16.08.2023 damit für Aufsehen gesorgt, dass es die Grundsätze des BGH für die Fortbestehensprognose im Bereich der Start-up-Unternehmen nicht uneingeschränkt anwenden will. Im Folgenden wird zunächst die Problematik der Feststellung der Überschuldung im Start-up-Bereich erläutert (I.). Sodann wird auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Feststellung der Überschuldung eingegangen (II.) und inwieweit das OLG Düsseldorf bei Start-ups davon abweichen will (III.). Schließlich bewerten die beiden Autoren, welche Konsequenzen die Entscheidung für die Geschäftsführer von Start-ups hat und welche Vorgehensweise in der Praxis zu empfehlen ist (IV.)

I. Die Überschuldungsproblematik bei Start-ups

Nach § 19 Abs. 2 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Die Feststellung der Überschuldung erfolgt also in zwei Stufen. Zunächst muss geprüft werden, ob die Gesellschaft rechnerisch überschuldet ist, d.h. ob die Verbindlichkeiten das Gesellschaftsvermögen übersteigen. Wenn dies der Fall ist, muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob für das Unternehmen bei einem Planungshorizont von 12 Monaten eine positive oder eine negative Fortführungsprognose besteht. Bei einer negativen Fortführungsprognose ist das Unternehmen überschuldet im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO. Ist die Fortführungsprognose hingegen positiv, liegt trotz der rechnerischen Überschuldung keine Insolvenzreife vor.

Bei Start-ups ist die Anfangsphase typischerweise von hohen Verlusten aufgrund großer Investitionskosten und wenig bis keinen Einnahmen geprägt. Sie sind deshalb auf Kapitalgeber (wie z. B. einen Investor) angewiesen. Start-ups sind daher in den ersten Jahren häufig rechnerisch überschuldet. Ob das Start-up auch im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO überschuldet ist, hängt damit von der Fortführungsprognose ab. Für Geschäftsführer von Start-ups ist daher von besonderer Bedeutung, welche Anforderungen an eine positive Fortführungsprognose zu stellen sind.

II. Die Fortführungsprognose in der BGH-Rechtsprechung

Die Fortführungsprognose ist positiv, wenn die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich, also größer als 50%, ist. Nach der Rechtsprechung des BGH setzt eine positive Fortführungsprognose in subjektiver Hinsicht den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe und in objektiver Hinsicht die sich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept ergebende Lebensfähigkeit des Unternehmens voraus (BGH, Urt. v. 13.7.2021 – II ZR 84/20 = NZI 2021, 872 Rn. 68 m.w.N.). Dem schlüssigen und realisierbaren Unternehmenskonzept muss dabei grundsätzlich ein Ertrags- und Finanzplan für die nächsten zwölf Monate zugrunde liegen, aus dem sich ergibt, dass die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig zur Unternehmensfortführung ausreicht. Da es sich bei der Fortführungsprognose um eine Vorhersage handelt, ist dem Geschäftsführer zwangsläufig ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen. In seine Beurteilung darf und soll der Geschäftsführer alle Umstände einbeziehen, die ihm zu diesem Zeitpunkt bekannt waren.

Bei Start-ups steht häufig ein Investor im Hintergrund, der der Gesellschaft in der Vergangenheit bereits Kapital zur Verfügung gestellt hat. Wenn sich diese Kapitalreserven dem Ende nähern, ist für den Geschäftsführer von besonderer Bedeutung, ob er weiterhin mit der Unterstützung durch den Investor rechnen darf. Unproblematisch ist der Fall, dass der Investor bereits verbindlich neue finanzielle Engagements, sei es durch neue Darlehen oder harte Patronatserklärungen, zugesichert hat. Schwierigkeiten bereitet der Fall, in dem der Investor lediglich neue Engagements in Aussicht gestellt hat, ohne sich bereits zu verpflichten („weiche“ Patronatserklärung). In einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2021 hat der BGH entschieden, dass auch eine weiche Patronatserklärung ein Umstand ist, dem im Rahmen der Fortführungsprognose Bedeutung zukommen kann (BGH, Urt. v. 13.7.2021 – II ZR 84/20 = NZI 2021, 872 Rn. 77). Maßgeblich ist, ob mit der neuen Finanzierung durch den Investor insgesamt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden kann. Für Geschäftsführer von Start-ups folgt daraus, dass sie beurteilen müssen, ob aufgrund der Finanzkraft des Investors und dessen bisheriger Kommunikation eine erneute finanzielle Hilfe überwiegend wahrscheinlich ist, welche die Unternehmensfortführung mittelfristig sicherstellt.

III. Das Urteil des OLG Düsseldorf vom 16.8.2023

Mit Urteil vom 16.8.2023 hat das OLG Düsseldorf seine Rechtsauffassung bestätigt, die es bereits in mehreren Prozesskostenhilfeverfahren in den Jahren 2021 und 2022 geäußert hat (OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.8.2023 – 12 U 59/22 = NZI 2024, 76). So seien bei einem Start-up Unternehmen die Grundsätze, die der BGH für eine positive Fortführungsprognose aufgestellt hat, nicht uneingeschränkt anwendbar. Nach der Ansicht des OLG Düsseldorf ist die Ertragsfähigkeit des Unternehmens keine Voraussetzung für die positive Fortführungsprognose. Es sei bei solchen Unternehmen typisch, dass diese in einer mehr oder weniger langen Anfangsphase nicht ertragsfähig sind und zunächst nur Schulden machen. Entscheidend für die positive Fortführungsprognose sei daher nur die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum von zwölf Monaten. Bei dieser „Zahlungsfähigkeitsprognose“ seien dann die von Dritten kurz-, mittel- oder langfristig zur Verfügung gestellten Mittel zu berücksichtigen. Maßgeblich sei daher, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein wird, seine im Prognosezeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten zu decken.

Als Grundlage für diese Beurteilung verlangt das OLG Düsseldorf eine nachvollziehbare, realistische Finanzplanung mit einem operativen Konzept, das die geplante Etablierung der Geschäftsidee des Start-ups erfolgsversprechend erscheinen lässt. Denn nach Ansicht des Gerichts sei eine mittelfristige Liquiditätssicherung in der Regel nur erreichbar, wenn durch das operative Geschäft auf Dauer ausreichend Erträge erzielt werden, weil eine andauernde Fremdfinanzierung perspektivisch an Grenzen stoße. Soweit Finanzierungsbeiträge eines Investors in der Beurteilung berücksichtigt werden sollen, setzt dies nach Ansicht des OLG Düsseldorf voraus, dass dem Investor entsprechende Planungen vorgelegt worden sind und dieser seine Finanzierungszusage hiervon abhängig gemacht habe.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf darf durchaus kritisch betrachtet werden. Zum einen wird nicht hinreichend klar, inwieweit das Gericht von der BGH-Rechtsprechung abweichen will. Denn nach der BGH-Rechtsprechung ist ein aussagekräftiges Unternehmenskonzept mit einer Ertrags- und Finanzplanung erforderlich. Es ist daher keineswegs so, dass der BGH bei der Fortführungsprognose bislang alleine auf die Ertragsfähigkeit abgestellt hat. Zum anderen ist die Entscheidung in sich nicht konsequent. Denn einerseits soll es nicht auf die Ertragsfähigkeit, sondern auf die Zahlungsfähigkeit des Start-ups im Prognosezeitraum ankommen. Andererseits verlangt das Gericht aber, dass als Beurteilungsgrundlage ein operatives Konzept vorliegt, welches die geplante Etablierung der Geschäftsidee am Markt, mithin die Ertragsfähigkeit, als erfolgsversprechend erscheinen lässt. Nach dem Wortlaut von § 19 Abs. 2 InsO kommt es aber nur auf die nächsten zwölf Monate an. Wenn man die Ertragsfähigkeit bei Start-ups aus dem Prognosezeitraum heraushalten möchte, sollte man aber nicht gleichzeitig eine Planung für die Ertragsfähigkeit über den zwölf Monatszeitraum hinaus verlangen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass das „Abweichen“ des OLG Düsseldorf von der BGH-Rechtsprechung für den Bereich der Start-up-Unternehmen nicht erforderlich war. Denn eine mangelnde Ertragsfähigkeit im Prognosezeitraum führt auch bei Anwendung der BGH-Rechtsprechung nicht zu einer negativen Fortführungsprognose, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass eine Finanzierung für die nächsten zwölf Monate überwiegend wahrscheinlich ist.

IV. Praxistipps für Geschäftsführer

Es darf bezweifelt werden, ob die Ansicht des OLG Düsseldorf tatsächlich im Widerspruch zur bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung steht. Richtigerweise lassen sich wohl die gleichen, praxisgerechten Lösungen durch Anwendung der BGH-Rechtsprechung finden. Für Geschäftsführer von Start-ups in der verlustreichen Anfangsphase ist wichtig zu wissen, dass eine rechnerische Überschuldung nicht unmittelbar zur Insolvenzreife führt, sondern dass eine positive Fortbestehensprognose entscheidend ist. Dabei handelt es sich um eine Prognose über die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten. Sowohl nach dem BGH als auch nach dem OLG Düsseldorf müssen die Geschäftsführer eine realistische Finanzplanung und ein aussagekräftiges Unternehmenskonzept aufstellen. Ob nun mit dem OLG Düsseldorf eine Ertragsfähigkeit im Prognosezeitraum nicht verlangt wird oder wohl mit dem BGH eine mangelnde Ertragsfähigkeit durch eine überwiegend wahrscheinliche Sicherstellung der Finanzierung im Prognosezeitraum ausgeglichen wird, ist im Ergebnis unerheblich. In den Fällen, in denen sich der Investor (noch) nicht zu einer weiteren Finanzierung verpflichtet hat, ist es wichtig, eine überwiegend wahrscheinliche Finanzierung durch den Investor nachweisen zu können. Dafür sollte das Start-up von Anfang an eine nachvollziehbare Finanzplanung in enger Abstimmung mit den (potentiellen) Investoren erstellen und die Maßgeblichkeit dieser Planung für die Finanzierungszusage des Investors dokumentieren.

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