Deutschland ist branchenübergreifend vom Fachkräftemangel betroffen. Ohne Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte wird die Zahl potenzieller Erwerbspersonen nach den Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bis 2035 demografisch bedingt um 7 Mio. sinken. Abhilfe soll das 2023 verabschiedete Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung schaffen, indem es Fachkräften aus Drittländern den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt vereinfacht und beschleunigt. Einige Änderungen sind bereits am 18. November 2023 in Kraft getreten. Weitere sind ab dem 1. März hinzugekommen und werden zum 1. Juni 2024 folgen. Im Folgenden wird ein Überblick über die für Unternehmen wichtigsten Neuerungen bei der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte verschafft.
Was gilt für Fachkräfte mit anerkanntem Abschluss?
Die Gewinnung von „fertigen“ Fachkräften bleibt auch nach der Reform der zentrale Weg der Zuwanderung. Als Fachkräfte i.S.d. Aufenthaltsrechts gelten Personen, die über einen in Deutschland erworbenen bzw. als gleichwertig anerkannten Hochschulabschluss oder über eine entsprechend qualifizierte Berufsausbildung (mind. 3 Jahre) verfügen. Zu Letzteren gehören z.B. Abschlüsse zum Meister oder in den Erzieherberufen. Seit November 2023 gelten folgende Neuerungen:
- Fachkräfte können jede qualifizierte Beschäftigung in nicht-reglementierten Bereichen (d.h. ohne eine sog. Berufsausübungserlaubnis) ausüben. Ein Zusammenhang zwischen der Beschäftigung und dem erworbenen Hochschul- oder Ausbildungsabschluss ist nicht mehr erforderlich. Die Beschäftigung muss jedoch weiterhin der Qualifikation (Hochschulabschluss) angemessen sein.
- Die sog. Vorrangprüfung, ob auf dem Arbeitsmarkt privilegierte Arbeitnehmer existieren, wurde für alle Staatsangehörigkeiten abgeschafft.
- Inhabern der Blauen Karte EU ist ein Wechsel des Arbeitsplatzes nach Anzeige bei der Ausländerbehörde bereits nach 12 Monaten gestattet.
- Die Mindestgehaltsschwelle bei der Blauen Karte wurde deutlich abgesenkt:
- Für Regelberufe beträgt diese 50% der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung: aktuell EUR 45.300,- brutto p.a.
- Für Engpassberufe wurde diese auf 45,3% gesenkt: aktuell EUR 41.041,80 brutto p.a.; hierfür bedarf es weiterhin der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit.
- Für Berufseinsteiger mit einem Hochschulabschluss, der nicht länger als drei Jahre zurückliegt, gilt ab 2024 EUR 41.042,- brutto p.a. Auch hierfür bedarf es der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit.
- Eine Abweichung der Gehaltsschwelle nach unten ist bei tarifgebundenen Arbeitgebern möglich.
- Die Liste der Engpassberufe wurde deutlich erweitert. Neben Ärzten, Fachkräften in den MINT-Bereichen sowie in der Informations- und Kommunikationstechnologie wurden weitere Berufe aufgenommen, z. B.:
- Führungskräfte in Produktion, Bau und Logistik, Kinder- und Altenbetreuung, Architektur, Raum- und Verkehrsplanung,
- Gesundheitsberufe wie Krankenpflege- und Geburtshilfefachkräfte, Physiotherapeuten,
- Lehr- und Erziehungskräfte.
Dabei ist zu beachten, dass viele dieser Berufe reglementiert sind. Für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist daher vorab eine qualifizierte Anerkennung des Abschlusses, d.h. eine Berufsausübungserlaubnis, notwendig.
Was gilt für Arbeitskräfte ohne anerkannten Abschluss?
IT-Spezialisten/Fachkräfte können bei ausgeprägter berufspraktischer Erfahrung unabhängig von einem formalen Abschluss eine Blaue Karte erhalten. Voraussetzung ist, dass sie ihre Qualifikation durch eine mind. 3-jährige Berufserfahrung nachweisen und i.d.R. über deutsche Sprachkenntnisse verfügen.
Ab März 2024 können Arbeitskräfte, die über mind. 2-jährige einschlägige Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufsabschluss (mind. 2-jähriger Ausbildungsdauer) verfügen, ohne Anerkennung des Abschlusses in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und unter Einhaltung der Mindestgehalts in nicht-reglementierten Bereichen arbeiten.
Für angehende Fachkräfte, die in einem reglementierten Bereich arbeiten möchten, wird die sog. Anerkennungspartnerschaft als neuer Aufenthaltstitel eingeführt. Dieser ermöglicht ab März 2024 eine Einreise zum Zwecke der Anerkennung und berechtigt zur Ausübung einer nicht-reglementierten Tätigkeit. Voraussetzung sind neben einer Vereinbarung mit dem potenziellen Arbeitgeber auch Deutschkenntnisse (A2).
Neue Regelungen für Branchen mit großem Bedarf
Ab März 2024 wird ein kontingentierter Arbeitsmarktzugang für kurzzeitige Beschäftigung von Arbeitskräften aus Drittstaaten unabhängig von ihrer Qualifikation eingeführt. Dabei kann die Bundesagentur für Arbeit ein bedarfsorientiertes Kontingent festlegen, auch differenziert für bestimmte Wirtschaftszweige oder Berufsgruppen. Dies setzt voraus, dass
- der Arbeitgeber tarifgebunden ist und die Arbeitskräfte nach den geltenden tariflichen Arbeitsbedingungen beschäftigt werden,
- der Arbeitgeber die Reisekosten übernimmt,
- die geplante Beschäftigung innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten 8 Monate nicht überschreitet und
- die Arbeitszeit mind. 30 h/Woche beträgt.
Erweiterungen bei Studenten und Auszubildenden
- Die Möglichkeiten einer Nebenbeschäftigung bei Studienaufhalten wurden erweitert. Das bisherige Jahresarbeitszeitkonto von 120 ganzen bzw. 240 halben Tagen wird auf 140 volle oder 280 halbe Arbeitstage angehoben. Die Neuregelung ermöglicht es alternativ, Werkstudentenjobs bis zu 20 h/Woche auszuüben.
- Drittstaatsangehörige auf der Suche nach einem Studienplatz dürfen eine Nebenbeschäftigung im Umfang von 20 h/Woche ausüben.
- Bei allen Berufsausbildungen sind Nebenbeschäftigungen von bis zu 20 h/Woche möglich.
Zuwanderung aus dem Westbalkan für geringqualifizierte Beschäftigungen
Die sog. Westbalkanregelung eröffnet Staatsangehörigen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien einen Arbeitsmarktzugang in Deutschland für jede Art von Beschäftigung in nicht-reglementierten Berufen. Die ursprünglich bis Ende 2023 befristete Regelung wurde damit entfristet. Ab Juni 2024 beträgt das Kontingent jährlich 50.000 Zustimmungen der Bundesagentur für Arbeit. Notwendig ist die Einreise mit entsprechendem Visum.
Chancenkarte als Punktemodell für Arbeitssuchende
Um darüber hinaus Fachkräftepotential zu erschließen, wurde für Personen mit ausländischem (und im Ausbildungsstaat anerkannten) mind. zweijährigem Berufsabschluss oder Hochschulabschluss die sog. Chancenkarte zur Arbeitsplatzsuche in Deutschland eingeführt. Diese wird ab Juni 2024 auf Basis eines Punktesystems nach bestimmten Auswahlkriterien (z. B. Qualifikation, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse, Deutschlandbezug, Alter) erteilt. Mit ihr erhalten diese Fachkräfte einen Aufenthaltstitel von bis zu einem Jahr und sind berechtigt, in dieser Zeit eine Probearbeit von zwei Wochen oder Nebentätigkeit von bis zu 20 h/Woche auszuüben.
Fazit
Zwar verbleibt es nach der Reform beim alten Zuwanderungsmodell. Das durch Neuerungen bzw. Erleichterungen, insbesondere durch Chancenkarte, Öffnung der Engpassberufe und Senkung der Gehaltsschwellen, erweiterte Anwendungsspektrum bietet aber neuen Antrieb zur Arbeitssuche und ist insgesamt positiv zu bewerten. Wie effektiv und schnell die Fachkräftegewinnung tatsächlich erfolgt, ist eher eine Frage der Umsetzung in der behördlichen Alltagspraxis. Es ist zu hoffen, dass die Einwanderungsinfrastruktur in Form deutscher Anerkennungs- und Zustimmungsbehörden sowie Auslandsvertretungen entsprechend nachzieht.
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz – Neuregelung der Erwerbsmigration
Deutschland ist branchenübergreifend vom Fachkräftemangel betroffen. Ohne Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte wird die Zahl potenzieller Erwerbspersonen nach den Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bis 2035 demografisch bedingt um 7 Mio. sinken. Abhilfe soll das 2023 verabschiedete Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung schaffen, indem es Fachkräften aus Drittländern den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt vereinfacht und beschleunigt. Einige Änderungen sind bereits am 18. November 2023 in Kraft getreten. Weitere sind ab dem 1. März hinzugekommen und werden zum 1. Juni 2024 folgen. Im Folgenden wird ein Überblick über die für Unternehmen wichtigsten Neuerungen bei der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte verschafft.
Was gilt für Fachkräfte mit anerkanntem Abschluss?
Die Gewinnung von „fertigen“ Fachkräften bleibt auch nach der Reform der zentrale Weg der Zuwanderung. Als Fachkräfte i.S.d. Aufenthaltsrechts gelten Personen, die über einen in Deutschland erworbenen bzw. als gleichwertig anerkannten Hochschulabschluss oder über eine entsprechend qualifizierte Berufsausbildung (mind. 3 Jahre) verfügen. Zu Letzteren gehören z.B. Abschlüsse zum Meister oder in den Erzieherberufen. Seit November 2023 gelten folgende Neuerungen:
- Fachkräfte können jede qualifizierte Beschäftigung in nicht-reglementierten Bereichen (d.h. ohne eine sog. Berufsausübungserlaubnis) ausüben. Ein Zusammenhang zwischen der Beschäftigung und dem erworbenen Hochschul- oder Ausbildungsabschluss ist nicht mehr erforderlich. Die Beschäftigung muss jedoch weiterhin der Qualifikation (Hochschulabschluss) angemessen sein.
- Die sog. Vorrangprüfung, ob auf dem Arbeitsmarkt privilegierte Arbeitnehmer existieren, wurde für alle Staatsangehörigkeiten abgeschafft.
- Inhabern der Blauen Karte EU ist ein Wechsel des Arbeitsplatzes nach Anzeige bei der Ausländerbehörde bereits nach 12 Monaten gestattet.
- Die Mindestgehaltsschwelle bei der Blauen Karte wurde deutlich abgesenkt:
- Für Regelberufe beträgt diese 50% der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung: aktuell EUR 45.300,- brutto p.a.
- Für Engpassberufe wurde diese auf 45,3% gesenkt: aktuell EUR 41.041,80 brutto p.a.; hierfür bedarf es weiterhin der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit.
- Für Berufseinsteiger mit einem Hochschulabschluss, der nicht länger als drei Jahre zurückliegt, gilt ab 2024 EUR 41.042,- brutto p.a. Auch hierfür bedarf es der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit.
- Eine Abweichung der Gehaltsschwelle nach unten ist bei tarifgebundenen Arbeitgebern möglich.
- Die Liste der Engpassberufe wurde deutlich erweitert. Neben Ärzten, Fachkräften in den MINT-Bereichen sowie in der Informations- und Kommunikationstechnologie wurden weitere Berufe aufgenommen, z. B.:
- Führungskräfte in Produktion, Bau und Logistik, Kinder- und Altenbetreuung, Architektur, Raum- und Verkehrsplanung,
- Gesundheitsberufe wie Krankenpflege- und Geburtshilfefachkräfte, Physiotherapeuten,
- Lehr- und Erziehungskräfte.
Dabei ist zu beachten, dass viele dieser Berufe reglementiert sind. Für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist daher vorab eine qualifizierte Anerkennung des Abschlusses, d.h. eine Berufsausübungserlaubnis, notwendig.
Was gilt für Arbeitskräfte ohne anerkannten Abschluss?
IT-Spezialisten/Fachkräfte können bei ausgeprägter berufspraktischer Erfahrung unabhängig von einem formalen Abschluss eine Blaue Karte erhalten. Voraussetzung ist, dass sie ihre Qualifikation durch eine mind. 3-jährige Berufserfahrung nachweisen und i.d.R. über deutsche Sprachkenntnisse verfügen.
Ab März 2024 können Arbeitskräfte, die über mind. 2-jährige einschlägige Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufsabschluss (mind. 2-jähriger Ausbildungsdauer) verfügen, ohne Anerkennung des Abschlusses in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und unter Einhaltung der Mindestgehalts in nicht-reglementierten Bereichen arbeiten.
Für angehende Fachkräfte, die in einem reglementierten Bereich arbeiten möchten, wird die sog. Anerkennungspartnerschaft als neuer Aufenthaltstitel eingeführt. Dieser ermöglicht ab März 2024 eine Einreise zum Zwecke der Anerkennung und berechtigt zur Ausübung einer nicht-reglementierten Tätigkeit. Voraussetzung sind neben einer Vereinbarung mit dem potenziellen Arbeitgeber auch Deutschkenntnisse (A2).
Neue Regelungen für Branchen mit großem Bedarf
Ab März 2024 wird ein kontingentierter Arbeitsmarktzugang für kurzzeitige Beschäftigung von Arbeitskräften aus Drittstaaten unabhängig von ihrer Qualifikation eingeführt. Dabei kann die Bundesagentur für Arbeit ein bedarfsorientiertes Kontingent festlegen, auch differenziert für bestimmte Wirtschaftszweige oder Berufsgruppen. Dies setzt voraus, dass
- der Arbeitgeber tarifgebunden ist und die Arbeitskräfte nach den geltenden tariflichen Arbeitsbedingungen beschäftigt werden,
- der Arbeitgeber die Reisekosten übernimmt,
- die geplante Beschäftigung innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten 8 Monate nicht überschreitet und
- die Arbeitszeit mind. 30 h/Woche beträgt.
Erweiterungen bei Studenten und Auszubildenden
- Die Möglichkeiten einer Nebenbeschäftigung bei Studienaufhalten wurden erweitert. Das bisherige Jahresarbeitszeitkonto von 120 ganzen bzw. 240 halben Tagen wird auf 140 volle oder 280 halbe Arbeitstage angehoben. Die Neuregelung ermöglicht es alternativ, Werkstudentenjobs bis zu 20 h/Woche auszuüben.
- Drittstaatsangehörige auf der Suche nach einem Studienplatz dürfen eine Nebenbeschäftigung im Umfang von 20 h/Woche ausüben.
- Bei allen Berufsausbildungen sind Nebenbeschäftigungen von bis zu 20 h/Woche möglich.
Zuwanderung aus dem Westbalkan für geringqualifizierte Beschäftigungen
Die sog. Westbalkanregelung eröffnet Staatsangehörigen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien einen Arbeitsmarktzugang in Deutschland für jede Art von Beschäftigung in nicht-reglementierten Berufen. Die ursprünglich bis Ende 2023 befristete Regelung wurde damit entfristet. Ab Juni 2024 beträgt das Kontingent jährlich 50.000 Zustimmungen der Bundesagentur für Arbeit. Notwendig ist die Einreise mit entsprechendem Visum.
Chancenkarte als Punktemodell für Arbeitssuchende
Um darüber hinaus Fachkräftepotential zu erschließen, wurde für Personen mit ausländischem (und im Ausbildungsstaat anerkannten) mind. zweijährigem Berufsabschluss oder Hochschulabschluss die sog. Chancenkarte zur Arbeitsplatzsuche in Deutschland eingeführt. Diese wird ab Juni 2024 auf Basis eines Punktesystems nach bestimmten Auswahlkriterien (z. B. Qualifikation, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse, Deutschlandbezug, Alter) erteilt. Mit ihr erhalten diese Fachkräfte einen Aufenthaltstitel von bis zu einem Jahr und sind berechtigt, in dieser Zeit eine Probearbeit von zwei Wochen oder Nebentätigkeit von bis zu 20 h/Woche auszuüben.
Fazit
Zwar verbleibt es nach der Reform beim alten Zuwanderungsmodell. Das durch Neuerungen bzw. Erleichterungen, insbesondere durch Chancenkarte, Öffnung der Engpassberufe und Senkung der Gehaltsschwellen, erweiterte Anwendungsspektrum bietet aber neuen Antrieb zur Arbeitssuche und ist insgesamt positiv zu bewerten. Wie effektiv und schnell die Fachkräftegewinnung tatsächlich erfolgt, ist eher eine Frage der Umsetzung in der behördlichen Alltagspraxis. Es ist zu hoffen, dass die Einwanderungsinfrastruktur in Form deutscher Anerkennungs- und Zustimmungsbehörden sowie Auslandsvertretungen entsprechend nachzieht.