Der BGH setzt neue Impulse für die Bemessung der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern: Danach dürften individuelle Sonder- oder Ausnahmekarrieren von Betriebsratsmitgliedern nicht mehr ohne weiteres anzunehmen sein. Und auch für Berater hat der BGH eine Botschaft: Gutachten, die rechtlichen Flankenschutz bieten sollen, werden besonders kritisch gewürdigt.
Die Ermittlung der richtigen Vergütung und der beruflichen Entwicklung von Betriebsratsmitgliedern ist seit vielen Jahren ein Dauerbrenner in den Personal-, Rechts- und Compliance-Abteilungen der Unternehmen: Ausgangspunkt ist § 78 Satz 2 BetrVG, wonach Mandatsträger wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden dürfen. Ähnlich klar ist § 37 Abs. 1 BetrVG, wonach die Mitglieder des Betriebsrats ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt führen. Und dennoch fragen sich viele Unternehmen, wie diese Vorgaben in der betrieblichen Praxis rechtssicher umzusetzen sind. Besonders herausfordernd ist die Berücksichtigung hypothetischer Sonder- oder Ausnahmekarrieren von Betriebsratsmitgliedern, die sich z.B. sehr früh in ihrem Berufsleben der Arbeit in Betriebsratsgremien verschrieben haben und seit Jahren mit dem Management auf Augenhöhe verhandeln. Ähnlich komplex ist z.B. die Frage, wie Betriebsratsmitglieder bei variablen (leistungsabhängigen) Vergütungssystemen zu behandeln sind. Der Themenkreis geht bekanntermaßen über das Betriebsverfassungsgesetz hinaus: Wenn z.B. ein Vorstand oder Prokurist gegen das Begünstigungsverbot verstößt, kann der objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllt sein.
Nachdem das LG Braunschweig Personalverantwortliche eines großen deutschen Automobilkonzerns freigesprochen hatte, hat der BGH (10.1.2023 – 6 StR 133/22) diese Freisprüche nunmehr aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen. Dabei sind insbesondere zwei Hinweise aus den Urteilsgründen von höchster Praxisrelevanz:
- Nach § 37 Abs. 4 BetrVG ist das einem Betriebsrat zu zahlende Arbeitsentgelt nach der Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung zu bemessen. In der Praxis wurde demgegenüber gelegentlich auch (mit) berücksichtigt, dass gerade langjährige Amtsträger in herausgehobener Position (z.B. als Vorsitzender mehrerer Gremien) eine „Sonderkarriere“ vollzogen hätten. Nach der jüngsten BGH-Entscheidung ist es jedoch nicht zulässig, auf die „hypothetische Gehaltsentwicklung des Betriebsrats bei einer Sonderkarriere abzustellen“. Im arbeitsrechtlichen Schrifttum wurden hierzu – jedenfalls bisher – auch andere Standpunkte vertreten.
- Soweit sich die Beschuldigten im Strafprozess auf fehlenden Vorsatz und/oder Irrtumstatbestände unter Hinweis auf bestätigende Rechtsgutachten berufen, hat der BGH hierzu einen deutlichen Hinweis erteilt: „Ein Gutachten, das „rechtlichen Flankenschutz für die tatsächliche Handhabung“ (…) bieten soll, wird besonders kritischer Würdigung bedürfen“. Sog. „Gefälligkeitsgutachten“ verhelfen daher nicht ohne weiteres zur Straflosigkeit.
Für die betriebliche Praxis bedeutet das Urteil Folgendes: Unternehmen, die Vergütungen und die berufliche Entwicklung von Betriebsratsmitgliedern bisher noch nicht kritisch überprüft haben (und zwar in beide Richtungen, d.h. sowohl im Hinblick auf eine Benachteiligung wie auch im Hinblick auf eine Begünstigung) sollten das spätestens jetzt nachholen. Für die Unternehmen, die die Vergütung und berufliche Entwicklung von Betriebsratsmitgliedern bereits in den Blick genommen haben, gilt es nunmehr, die bestehenden Verfahren unter Berücksichtigung der jüngsten BGH-Entscheidung nochmals zu überprüfen und ggf. anzupassen. Ferner sollte der Umgang mit etwaigen „Grenzfällen“, auch wenn die Handhabung ggf. durch Berater entsprechend attestiert wurde, zumindest aktualisiert und ggf. durch eine Zweitbegutachtung zusätzlich abgesichert werden, um dem möglichen Vorwurf einer Gefälligkeitsbegutachtung entgegenzutreten.
Dr. Patrick Esser ist Partner der Kanzlei und hat zum Thema „Die Begünstigung von Mitgliedern des Betriebsrats“ promoviert.