Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22. Mai 2025 – 7 ABR 28/24 (bislang nur Pressemitteilung veröffentlicht)
Fakten
Die Parteien stritten um die Anfechtung einer Betriebsratswahl. Die Wählerliste zur Betriebsratswahl enthielt u.a. 128 Führungskräfte, die in einer sog. „Matrixorganisation“ eingesetzt waren. Diese zeichnete sich dadurch aus, dass die 128 Führungskräfte zwar Arbeitnehmer in dem maßgeblichen Betrieb führten, aber ansonsten einem anderen Betrieb der (selben) Arbeitgeberin angehörten.
Die Arbeitgeberin beantragte, die auf Grundlage dieser Wählerliste durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären, weil die Matrix-Führungskräfte ihrer Ansicht nach mangels Eingliederung nicht dem maßgeblichen Betrieb angehörten und daher nicht hätten mitwählen dürfen. Das Arbeitsgericht Stuttgart (Beschl. v. 25.10.2023 – 14 BV 112/22) und das LAG Baden-Württemberg (Beschl. v. 13.06.2024 – 3 TaBV 1/24) entschieden zugunsten der Arbeitgeberin.
Entscheidung
Das BAG hob die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg auf. Die Wahlberechtigung bei Betriebsratswahlen knüpfe an die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum Betrieb an. Diese werde durch die Eingliederung in die Betriebsorganisation begründet. Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer bereits in einem Betrieb eingegliedert und damit in diesem wahlberechtigt ist, stehe seiner Wahlberechtigung in einem weiteren Betrieb nicht entgegen. Es sei möglich, in mehreren Betrieben wahlberechtigt zu sein.
Folgen der Entscheidung
Bei der Vorbereitung der – regulär bereits im Frühjahr 2026 anstehenden – nächsten Betriebsratswahlen ist damit zu prüfen, ob Personen, die Aufgaben in verschiedenen Betrieben wahrnehmen, ggf. in mehreren Betrieben eingegliedert und damit in mehreren Betrieben wahlberechtigt sind.
Der Pressemitteilung ist es nicht ausdrücklich zu entnehmen, aber vermutlich legt das BAG den bereits zu § 99 BetrVG entwickelten Maßstab für die Eingliederung zugrunde. Diese liegt bereits vor, wenn eine Matrix-Führungskraft Führungsaufgaben gegenüber Mitarbeitern eines anderen Betriebs wahrnimmt und dadurch dessen Betriebszweck mit verwirklicht (Beschl. v. 12.06.2019 – 1 ABR 5/18). Es spricht viel dafür, dass das Gleiche dann auch hinsichtlich der Wählbarkeit und der für die Größe des Betriebsrats maßgeblichen Schwellenwerte gelten.
Folge des Mehrfach-Wahlrechts von Matrix-Führungskräften und der vorzunehmenden Prüfung, welche Matrix-Führungskräfte in welche Betriebe eingegliedert sind, ist u.a., dass die Aufstellung der Wählerliste aufwändiger und fehleranfälliger wird. Das erhöht das Risiko / die Chance einer erfolgreichen Wahlanfechtung. Durch das Mehrfach-Wahlrecht können die Matrix-Führungskräfte auch mehr Einfluss auf die Wahlen bzw. im Gesamt- / Konzernbetriebsrat erlangen. Zudem kann sich die Anzahl der Mitglieder des Betriebsrats erhöhen, wenn die Matrix-Führungskräfte bei mehreren Betrieben „mitzählen“ und dadurch Schwellenwerte überschritten werden.
Hinweise für die Praxis
Matrixstrukturen und anderen Unternehmen mit betriebsübergreifenden Weisungsrechten sollte im Vorfeld einer Betriebsratswahl sorgfältig geprüft werden, ob und wenn ja welche Mitarbeiter in welchen Betrieben wahlberechtigt sind (und ggf. als Vorfrage: wo überhaupt Betriebe bestehen).
In der Praxis kann die Zuordnung der Matrix-Führungskräfte zu den einzelnen Betrieben durchaus komplex sein und rechtliche Unsicherheiten nach sich ziehen. Bestenfalls einigen sich Arbeitgeber und Wahlvorstand im Vorfeld auf ein gemeinsames Verständnis der Betriebsstrukturen und der Zuordnung insb. der Matrix-Führungskräfte zu den Betrieben. Bei einer unrichtigen Wählerliste droht eine erfolgreiche Wahlanfechtung (§ 19 BetrVG).






