LAG Baden-Württemberg vom 28. Februar 2024 – 4 Sa 32/23
Fakten
Der Arbeitnehmer ist in einem Abrufarbeitsverhältnis bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Er war im Dienstplan für März 2022 bis zum 9. März und dann wieder ab dem 21. März eingeteilt. Der Arbeitnehmer legte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis zum 10. März und ab dem 18. März vor und arbeitete in diesem Monat nicht. In den Vormonaten gab es bereits mehrere Arbeitsunfähigkeitszeiten. Die Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung für März 2022, weil sie der Auffassung war, dass der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum unter Berücksichtigung der früheren Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit ausgeschöpft sei.
Entscheidung
Die Klage auf Entgeltfortzahlung für den Monat März 2022 hatte Erfolg. Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz) hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Der Anspruch ist grundsätzlich auf die Dauer von sechs Wochen pro Krankheit begrenzt. Zeiten unterschiedlicher Krankheiten werden aber dann zusammengerechnet, wenn ein Fall der Einheit des Verhinderungsfalls vorliegt. Das ist der Fall, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.
Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste Arbeitsunfähigkeit bereits beendet war, als die neue Erkrankung auftrat. Davon ist auszugehen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Erkrankungen tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war.
Der Arbeitnehmer muss in diesem Fall nachweisen, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht. Grundsätzlich genügt hierfür die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Macht der Arbeitgeber aber gewichtige Indizien geltend, dass sich die Erkrankungen überschnitten haben, ist der Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung erschüttert. Der Arbeitnehmer muss dann, im nächsten Schritt, den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden, damit dieser zu den Zeitpunkten der Beendigung der ersten und des Beginns der neuen Krankheit aussagen kann. Ein solches gewichtiges Indiz kann sein, dass die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich unmittelbar aufeinanderfolgen oder dass zwischen ihnen lediglich ein für den Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt. Denn wenn zwischen beiden Erkrankungen keine Arbeitspflicht bestand, hat der Arbeitgeber kaum eine Möglichkeit, konkrete Anhaltspunkte für eine durchgängige Arbeitsunfähigkeit zu benennen.
Das LAG Baden-Württemberg stützte sich auf den Umstand, dass die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit (auch in der Vergangenheit) nicht unmittelbar aufeinanderfolgten, sondern jeweils längere Zeitblöcke dazwischen lagen, in denen der Arbeitnehmer arbeitsfähig war. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer zwischen dem 11. und 17. März nicht zur Arbeit eingeteilt war, half dem Arbeitgeber nicht weiter. Entscheidend sei, dass in Abrufarbeitsverhältnissen die Mitteilungs- und Nachweispflichten auch in Zeiten ohne Arbeitspflicht bestehen.
Folgen der Entscheidung
Die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg reiht sich ein in die aktuelle Rechtsprechung. Sie ist für alle Fälle relevant, in denen zwischen den Arbeitseinsätzen mehrere Tage ohne Arbeitspflicht liegen – z.B. auch für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (sog. Minijobs).
Hinweise für die Praxis
Liegen mehrere arbeitsfreie Tage zwischen den Einsatzzeiten, wird es dem Arbeitgeber erschwert, sich auf eine Einheit des Verhinderungsfalls zu berufen. Denn selbst wenn der Arbeitnehmer in der arbeitsfreien Zeit gegen seine Anzeige- und Nachweispflicht verstößt, hat dies keine Auswirkungen auf den Entgeltfortzahlungsanspruch. Dieser berechnet sich in Abrufarbeitsverhältnissen die Entgeltfortzahlung gemäß § 12 Abs. 4 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) nach der durchschnittlichen Arbeitszeit der letzten drei Monate.