Autoren
Dr. Roua Schmitz
Datum

19. September 2022

Diesen Beitrag teilen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) fällte bereits am 14.05.2019 (Rechtssache C-55/18) ein „bahnbrechendes” Urteil zur Arbeitszeiterfassung, das als „Stechuhr-Urteil” bekannt wurde. Nunmehr sorgt zu diesem Thema auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit seinem Urteil vom 13.09.2022 (Az: 1 ABR 22/21) für großen Wirbel. Das BAG entschied, dass der Betriebsrat kein Initiativrecht hinsichtlich der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung hat. Zur Begründung führt es in der Pressemitteilung an, dass der Arbeitgeber bereits nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG gesetzlich verpflichtet sei, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Welche Folgen dies konkret für die Praxis hat, beleuchtet der nachfolgende Beitrag.

Hintergründe des Urteils des BAG

Der Entscheidung des BAG lag ein Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat hinsichtlich der Einführung eines elektronisches Systems zur Arbeitszeiterfassung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu Grunde. Es galt zu entscheiden, ob der Betriebsrat ein entsprechendes Initiativrecht hat. 

Während erstinstanzlich das Arbeitsgericht Minden (Beschl. v. 15.09.2020 – 2 BV 8/20) zugunsten des Arbeitgebers entschied, sprach in der zweiten Instanz das Landesarbeitsgericht dem Betriebsrat ein Initiativrecht zu (Beschl. v. 27.07.2021 – 7 TaBV 79/20). Zur Begründung führte es an, dass Wortlaut und Verständnis der betriebsverfassungsrechtlichen Norm für ein anderes Verständnis sprechen. Das BAG bewertete die Sache indes vollkommen anders: Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehe überhaupt nur dann, wenn es keine gesetzliche oder tarifliche Regelung gebe. Nach Ansicht des BAG liegt eine solche gesetzliche Regelung aber vor. Denn eine unionskonforme Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ergebe, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist die Arbeitszeiten seiner Arbeitnehmer zu erfassen. Der Arbeitgeber sei verpflichtet ein System einzuführen mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.

Das „Stechuhr-Urteil” des EuGHs

Der EuGH hatte bereits im Mai 2019 entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System“ einzuführen, mit dem die geleistete „tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“. Die Frage, ob der EuGH damit eine allgemeine Aufzeichnungspflicht konstatiert hat und ob das EuGH-Urteil unmittelbar Arbeitgeber binde oder nur die Mitgliedstaaten verpflichte, eine entsprechende Gesetzesregelung zu schaffen, ist umstritten. Es existieren bereits drei Gutachten zu der Frage, ob es einer Änderung des deutschen Arbeitszeitgesetzes bedarfs bzw. ob eine Arbeitszeiterfassungspflicht besteht, die u.a. im Auftrag des BMAS und BMWi erstellt worden sind und unterschiedliche Positionen vertreten.

Bisherige Rechtslage und Reaktionen des Gesetzgebers

Bisher sind gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG Arbeitgeber nur dazu verpflichtet, Überstunden und Sonntagsarbeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Eine allgemeine Pflicht zu Aufzeichnung jeglicher Arbeitszeit besteht jedoch nicht. 

Die Bundesregierung hat sich bislang auch noch nicht zu der Frage der Umsetzung des EuGH-Urteils vom 14.05.2019 positioniert. Damit lässt der Gesetzgeber die Fragen, ob, wann und in welcher Weise das EuGH Urteil ggf. umgesetzt werden soll, unbeantwortet. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Fraktionen beschränkt sich diesbezüglich lediglich auf den Passus: „Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z.B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“ Ein Gesetzesentwurf ist aber noch nicht in Sicht.

Was bedeutet das BAG-Urteil nun für Arbeitgeber?

Arbeitgeber müssen – sofern noch nicht geschehen – ein passendes System einführen mit dem die tägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer gemessen werden kann. Mit jedem Tag ohne Einrichtung eines entsprechenden Systems verstößt der Arbeitgeber gegen die Regeln zum Arbeitsschutz. 

Die Frage, wie die Arbeitszeit mit diesem System zu erfassen ist, lässt sich jedoch aus der Pressemitteilung des BAG nicht entnehmen. Die Frage war für den Fall des BAG auch nicht entscheidungserheblich. Daher bleibt abzuwarten, ob und wie die vom BAG getroffene Aussage in den Entscheidungsgründen konkretisiert wird.

Zu beachten ist auch, dass zwar ein Initiativrecht des Betriebsrats nicht besteht. Will ein Arbeitgeber aber eine elektronische Arbeitszeiterfassung im Betrieb einführen, dann ist dies nicht ohne die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG möglich. Die Ausgestaltung einer solchen Erfassung bleibt somit weiterhin mitbestimmt und kann ggf. in einer Einigungsstelle landen. 

Welche Eigenschaften muss das System zur Messung der Arbeitszeit erfüllen?

In der Pressemitteilung hat das BAG keine Vorgaben zur Ausgestaltung des Systems zur Messung der Arbeitszeit gemacht. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG hierzu überhaupt konkret Stellung nehmen wird. 

Das BAG hat jedenfalls nicht entschieden, dass es sich dabei um ein elektronisches System handeln muss. Jedenfalls die seinerzeit vom EuGH formulierten Vorgaben (objektiv, verlässlich und zugänglich) zur Ausgestaltung eines solchen Systems dürften aber weiter relevant sein.

Können die Arbeitnehmer verpflichtet werden, selbst aufzuzeichnen?

Eine Delegation der Pflicht zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit an die Arbeitnehmer ist weiterhin möglich. Auch diesbezüglich ergeben sich zumindest keine konkreten Anhaltspunkte aus der Pressmitteilung des BAG. Selbst der EuGH hat in seiner sog. „Stechuhrentscheidung“ nicht entschieden, dass eine Erfassung der Arbeitszeit durch die Arbeitnehmer selbst nicht zulässig ist. Vielmehr hat der EuGH gerade betont, dass die Besonderheit eines Tätigkeitsbereichs bei der Ausformung der konkreten Modalitäten eines solchen Systems Berücksichtigung finden soll. Es ist nicht zu erwarten, dass die Entscheidungsgründe des BAG-Urteils hier etwas anders vorsehen. 

Den Arbeitgeber dürften jedoch höhere Organisations-, Informations- und Kontrollpflichten treffen, damit ein hinreichendes System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit vorliegt. Bei entsprechender Gestaltung kann daher auch weiterhin die Aufzeichnung der Arbeitszeit delegiert werden. 

Kein Ende der Vertrauensarbeitszeit!

Richtig ist, dass die Vertrauensarbeitszeit derzeit auf den Prüfstand steht. Der Pressmitteilung des BAG lässt sich jedoch kein Ende der Vertrauensarbeitszeit entnehmen. Ein Verzicht auf die Arbeitszeitmessung ist bereits nach derzeitiger Rechtslage bei einer Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit rechtlich unzulässig. Bei entsprechender Gestaltung kann auch Vertrauensarbeitszeit weiterhin praktiziert werden. Das Urteil bedeutet mithin nicht das Ende der Vertrauensarbeitszeit.

Muss die Arbeitszeit von allen Arbeitnehmern erfasst werden oder gibt es Ausnahmen für leitende Angestellte o.a.? 

Nach § 18 Abs. 1 ArbZG werden bestimmte Beschäftigtengruppen vollständig von der Geltung des ArbZG ausgenommen. Dies sind u.a. leitende Angestellte i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG, Chefärzte, Leiter von öffentlichen Dienststellen und deren Vertreter sowie Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, die zu selbständigen Entscheidungen in Personalangelegenheiten befugt sind. Für sie gelten die Grenzen des ArbZG nicht. So können z.B. leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG ohne jegliche Grenzen nach dem ArbZG (auch in Vertrauensarbeitszeit) arbeiten, was in der Praxis der Regelfall ist. Der Ausschluss, insbesondere von leitenden Angestellten bzw. von Führungskräften aus dem ArbZG ist auch sinnvoll, da i.d.R. gerade in diesem Bereich eine hohe zeitliche Flexibilität zur Wahrnehmung der Führungsaufgaben notwendig ist. 

Das BAG hat jedoch nicht aus dem ArbZG sondern aus dem ArbSchG eine Pflicht des Arbeitgebers zur Errichtung eines Systems mit dem die Arbeitszeit erfasst werden kann, hergeleitet und sieht im ArbSchG die Pflicht des Arbeitsgebers die Arbeitszeit zu erfassen. Anders als das ArbZG gilt das ArbSchG jedoch auch für leitende Angestellte und z.B. Chefärzte. Es könnte mithin aus der Entscheidung des BAG auch eine Zeiterfassungspflicht bei z.B. leitenden Angestellten hergeleitet werden. Ob das BAG diese Frage auch in seinen Entscheidungsgründen klärt, bleibt abzuwarten. 

Wo besteht nun Handlungsbedarf?

Anpassungsbedarf besteht vor allem in Bereichen, in denen bisher Vertrauensarbeitszeit und/oder eine Delegation von Aufzeichnungspflichten auf Arbeitnehmer praktiziert wird. Für die betroffenen Bereiche wäre nach der Entscheidung eine praxistaugliche Lösung zur Einführung eines Systems mit dem die Arbeitszeit erfasst werden kann, erforderlich. Als mögliche Lösung käme neben der Einbindung in bestehende Arbeitszeiterfassungssysteme z.B. die Einführung einer Arbeitszeiterfassung per App oder über eine Projektsoftware in Betracht. Die Kanzlei Seitz begleitet die Einführung entsprechender Systeme bei einigen Mandanten bereits. 

Bereiche, in denen bereits heute mit „Stechuhr“ oder anderer Zeiterfassungsmethoden gearbeitet wird, sind voraussichtlich nicht oder geringer betroffen.

Ab wann gilt die Pflicht zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems? 

Die Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung gilt ab sofort. Es besteht daher ein dringender Handlungsbedarf. Laut Pressemitteilung des BAG heißt es: „Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.“ 

Im Ergebnis ist das Urteil in jedem Falle ernst zu nehmen. Selbst wenn die noch nicht vorliegenden Urteilsgründe des BAG keine konkreten Angaben dazu machen sollten, ob und wie die Arbeitszeit zukünftig aufzuzeichnen ist, muss nunmehr jeder Arbeitgeber, ein System einrichten mit dem die Arbeitszeit erfasst werden kann. Wichtig für Unternehmen bzw. Arbeitgeber sind folgende Schritte:

  • entsprechende Umsetzung der Rechtsprechung in Unternehmen
  • durch praxistaugliche Lösungen, falls möglich mit den technisch-organisatorischen Mitteln der Zeit
  • mit einem der Unternehmensgröße verhältnismäßigen Aufwand

und regelmäßige Aktualisierung des Kenntnisstandes, insbesondere hinsichtlich weiterer Konkretisierungen der Rechtsprechung und Veränderungen in der Gesetzgebung.

Allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) fällte bereits am 14.05.2019 (Rechtssache C-55/18) ein „bahnbrechendes” Urteil zur Arbeitszeiterfassung, das als „Stechuhr-Urteil” bekannt wurde. Nunmehr sorgt zu diesem Thema auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit seinem Urteil vom 13.09.2022 (Az: 1 ABR 22/21) für großen Wirbel. Das BAG entschied, dass der Betriebsrat kein Initiativrecht hinsichtlich der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung hat. Zur Begründung führt es in der Pressemitteilung an, dass der Arbeitgeber bereits nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG gesetzlich verpflichtet sei, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Welche Folgen dies konkret für die Praxis hat, beleuchtet der nachfolgende Beitrag.

Hintergründe des Urteils des BAG

Der Entscheidung des BAG lag ein Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat hinsichtlich der Einführung eines elektronisches Systems zur Arbeitszeiterfassung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu Grunde. Es galt zu entscheiden, ob der Betriebsrat ein entsprechendes Initiativrecht hat. 

Während erstinstanzlich das Arbeitsgericht Minden (Beschl. v. 15.09.2020 – 2 BV 8/20) zugunsten des Arbeitgebers entschied, sprach in der zweiten Instanz das Landesarbeitsgericht dem Betriebsrat ein Initiativrecht zu (Beschl. v. 27.07.2021 – 7 TaBV 79/20). Zur Begründung führte es an, dass Wortlaut und Verständnis der betriebsverfassungsrechtlichen Norm für ein anderes Verständnis sprechen. Das BAG bewertete die Sache indes vollkommen anders: Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehe überhaupt nur dann, wenn es keine gesetzliche oder tarifliche Regelung gebe. Nach Ansicht des BAG liegt eine solche gesetzliche Regelung aber vor. Denn eine unionskonforme Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ergebe, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist die Arbeitszeiten seiner Arbeitnehmer zu erfassen. Der Arbeitgeber sei verpflichtet ein System einzuführen mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.

Das „Stechuhr-Urteil” des EuGHs

Der EuGH hatte bereits im Mai 2019 entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System“ einzuführen, mit dem die geleistete „tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“. Die Frage, ob der EuGH damit eine allgemeine Aufzeichnungspflicht konstatiert hat und ob das EuGH-Urteil unmittelbar Arbeitgeber binde oder nur die Mitgliedstaaten verpflichte, eine entsprechende Gesetzesregelung zu schaffen, ist umstritten. Es existieren bereits drei Gutachten zu der Frage, ob es einer Änderung des deutschen Arbeitszeitgesetzes bedarfs bzw. ob eine Arbeitszeiterfassungspflicht besteht, die u.a. im Auftrag des BMAS und BMWi erstellt worden sind und unterschiedliche Positionen vertreten.

Bisherige Rechtslage und Reaktionen des Gesetzgebers

Bisher sind gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG Arbeitgeber nur dazu verpflichtet, Überstunden und Sonntagsarbeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Eine allgemeine Pflicht zu Aufzeichnung jeglicher Arbeitszeit besteht jedoch nicht. 

Die Bundesregierung hat sich bislang auch noch nicht zu der Frage der Umsetzung des EuGH-Urteils vom 14.05.2019 positioniert. Damit lässt der Gesetzgeber die Fragen, ob, wann und in welcher Weise das EuGH Urteil ggf. umgesetzt werden soll, unbeantwortet. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Fraktionen beschränkt sich diesbezüglich lediglich auf den Passus: „Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z.B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“ Ein Gesetzesentwurf ist aber noch nicht in Sicht.

Was bedeutet das BAG-Urteil nun für Arbeitgeber?

Arbeitgeber müssen – sofern noch nicht geschehen – ein passendes System einführen mit dem die tägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer gemessen werden kann. Mit jedem Tag ohne Einrichtung eines entsprechenden Systems verstößt der Arbeitgeber gegen die Regeln zum Arbeitsschutz. 

Die Frage, wie die Arbeitszeit mit diesem System zu erfassen ist, lässt sich jedoch aus der Pressemitteilung des BAG nicht entnehmen. Die Frage war für den Fall des BAG auch nicht entscheidungserheblich. Daher bleibt abzuwarten, ob und wie die vom BAG getroffene Aussage in den Entscheidungsgründen konkretisiert wird.

Zu beachten ist auch, dass zwar ein Initiativrecht des Betriebsrats nicht besteht. Will ein Arbeitgeber aber eine elektronische Arbeitszeiterfassung im Betrieb einführen, dann ist dies nicht ohne die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG möglich. Die Ausgestaltung einer solchen Erfassung bleibt somit weiterhin mitbestimmt und kann ggf. in einer Einigungsstelle landen. 

Welche Eigenschaften muss das System zur Messung der Arbeitszeit erfüllen?

In der Pressemitteilung hat das BAG keine Vorgaben zur Ausgestaltung des Systems zur Messung der Arbeitszeit gemacht. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG hierzu überhaupt konkret Stellung nehmen wird. 

Das BAG hat jedenfalls nicht entschieden, dass es sich dabei um ein elektronisches System handeln muss. Jedenfalls die seinerzeit vom EuGH formulierten Vorgaben (objektiv, verlässlich und zugänglich) zur Ausgestaltung eines solchen Systems dürften aber weiter relevant sein.

Können die Arbeitnehmer verpflichtet werden, selbst aufzuzeichnen?

Eine Delegation der Pflicht zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit an die Arbeitnehmer ist weiterhin möglich. Auch diesbezüglich ergeben sich zumindest keine konkreten Anhaltspunkte aus der Pressmitteilung des BAG. Selbst der EuGH hat in seiner sog. „Stechuhrentscheidung“ nicht entschieden, dass eine Erfassung der Arbeitszeit durch die Arbeitnehmer selbst nicht zulässig ist. Vielmehr hat der EuGH gerade betont, dass die Besonderheit eines Tätigkeitsbereichs bei der Ausformung der konkreten Modalitäten eines solchen Systems Berücksichtigung finden soll. Es ist nicht zu erwarten, dass die Entscheidungsgründe des BAG-Urteils hier etwas anders vorsehen. 

Den Arbeitgeber dürften jedoch höhere Organisations-, Informations- und Kontrollpflichten treffen, damit ein hinreichendes System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit vorliegt. Bei entsprechender Gestaltung kann daher auch weiterhin die Aufzeichnung der Arbeitszeit delegiert werden. 

Kein Ende der Vertrauensarbeitszeit!

Richtig ist, dass die Vertrauensarbeitszeit derzeit auf den Prüfstand steht. Der Pressmitteilung des BAG lässt sich jedoch kein Ende der Vertrauensarbeitszeit entnehmen. Ein Verzicht auf die Arbeitszeitmessung ist bereits nach derzeitiger Rechtslage bei einer Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit rechtlich unzulässig. Bei entsprechender Gestaltung kann auch Vertrauensarbeitszeit weiterhin praktiziert werden. Das Urteil bedeutet mithin nicht das Ende der Vertrauensarbeitszeit.

Muss die Arbeitszeit von allen Arbeitnehmern erfasst werden oder gibt es Ausnahmen für leitende Angestellte o.a.? 

Nach § 18 Abs. 1 ArbZG werden bestimmte Beschäftigtengruppen vollständig von der Geltung des ArbZG ausgenommen. Dies sind u.a. leitende Angestellte i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG, Chefärzte, Leiter von öffentlichen Dienststellen und deren Vertreter sowie Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, die zu selbständigen Entscheidungen in Personalangelegenheiten befugt sind. Für sie gelten die Grenzen des ArbZG nicht. So können z.B. leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG ohne jegliche Grenzen nach dem ArbZG (auch in Vertrauensarbeitszeit) arbeiten, was in der Praxis der Regelfall ist. Der Ausschluss, insbesondere von leitenden Angestellten bzw. von Führungskräften aus dem ArbZG ist auch sinnvoll, da i.d.R. gerade in diesem Bereich eine hohe zeitliche Flexibilität zur Wahrnehmung der Führungsaufgaben notwendig ist. 

Das BAG hat jedoch nicht aus dem ArbZG sondern aus dem ArbSchG eine Pflicht des Arbeitgebers zur Errichtung eines Systems mit dem die Arbeitszeit erfasst werden kann, hergeleitet und sieht im ArbSchG die Pflicht des Arbeitsgebers die Arbeitszeit zu erfassen. Anders als das ArbZG gilt das ArbSchG jedoch auch für leitende Angestellte und z.B. Chefärzte. Es könnte mithin aus der Entscheidung des BAG auch eine Zeiterfassungspflicht bei z.B. leitenden Angestellten hergeleitet werden. Ob das BAG diese Frage auch in seinen Entscheidungsgründen klärt, bleibt abzuwarten. 

Wo besteht nun Handlungsbedarf?

Anpassungsbedarf besteht vor allem in Bereichen, in denen bisher Vertrauensarbeitszeit und/oder eine Delegation von Aufzeichnungspflichten auf Arbeitnehmer praktiziert wird. Für die betroffenen Bereiche wäre nach der Entscheidung eine praxistaugliche Lösung zur Einführung eines Systems mit dem die Arbeitszeit erfasst werden kann, erforderlich. Als mögliche Lösung käme neben der Einbindung in bestehende Arbeitszeiterfassungssysteme z.B. die Einführung einer Arbeitszeiterfassung per App oder über eine Projektsoftware in Betracht. Die Kanzlei Seitz begleitet die Einführung entsprechender Systeme bei einigen Mandanten bereits. 

Bereiche, in denen bereits heute mit „Stechuhr“ oder anderer Zeiterfassungsmethoden gearbeitet wird, sind voraussichtlich nicht oder geringer betroffen.

Ab wann gilt die Pflicht zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems? 

Die Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung gilt ab sofort. Es besteht daher ein dringender Handlungsbedarf. Laut Pressemitteilung des BAG heißt es: „Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.“ 

Im Ergebnis ist das Urteil in jedem Falle ernst zu nehmen. Selbst wenn die noch nicht vorliegenden Urteilsgründe des BAG keine konkreten Angaben dazu machen sollten, ob und wie die Arbeitszeit zukünftig aufzuzeichnen ist, muss nunmehr jeder Arbeitgeber, ein System einrichten mit dem die Arbeitszeit erfasst werden kann. Wichtig für Unternehmen bzw. Arbeitgeber sind folgende Schritte:

  • entsprechende Umsetzung der Rechtsprechung in Unternehmen
  • durch praxistaugliche Lösungen, falls möglich mit den technisch-organisatorischen Mitteln der Zeit
  • mit einem der Unternehmensgröße verhältnismäßigen Aufwand

und regelmäßige Aktualisierung des Kenntnisstandes, insbesondere hinsichtlich weiterer Konkretisierungen der Rechtsprechung und Veränderungen in der Gesetzgebung.

Footer Mood