BAG v. 19.09.2024 – 8 AZR 21/24
Fakten
Der vermeintliche Bewerber im Zentrum dieser Entscheidung ist ausgebildeter Industriekaufmann und absolvierte zudem ein Fernstudium zum „Wirtschaftsjuristen (LL.M.)“. Er bewarb sich in den Jahren 2021 bis 2023 auf unterschiedliche Stellenausschreibungen für eine Tätigkeit als „Sekretärin“. Dabei verwendete er meist ein gleichlautendes Anschreiben, in dem er seine Bewerbungsabsicht und seine Qualifikationen beschrieb, und ausdrücklich nach der Möglichkeit fragte, auch als Mann eingestellt zu werden. Aus den darauffolgenden Absagen der Unternehmen resultierten zahlreiche arbeitsgerichtliche Verfahren, in denen der abgelehnte Bewerber auf Entschädigung wegen vermeintlicher Diskriminierung klagte.
Schließlich bewarb er sich auch bei einem Unternehmen mit Sitz in Dortmund als „Bürokauffrau/Sekretärin“, nannte bei der Bewerbung seine Qualifikationen als ausgebildeter Industriekaufmann und gab an: „Ich suche derzeit eine neue Wohnung in Ihrem Umkreis oder könnte mir einen Umzug sehr gut vorstellen.“ Eine Rückmeldung des Unternehmens erhielt er nicht. Die Stelle wurde schließlich mit einer Frau besetzt. Der Bewerber erhob daraufhin Klage auf Zahlung einer Entschädigung wegen vermeintlicher Ungleichbehandlung auf Grund seines Geschlechts. Vor dem ArbG Dortmund und dem LAG Hamm hatte er damit keinen Erfolg.
Entscheidung
Das BAG bestätigte die Vorinstanzen und wies die Revision zurück.
Ein Anspruch auf Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz („AGG“) bestehe nicht. Dem Entschädigungsverlangen sei der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegenzuhalten. Rechtsmissbräuchliches Verhalten liege immer dann vor, wenn hinreichend nachgewiesen werden könne, dass eine Person sich nicht beworben habe, um die ausgeschriebene Stelle tatsächlich zu erhalten, sondern es ihr nur darum ging, rechtlich als Bewerber im Sinne des AGG angesehen zu werden und auf der Grundlage der formal erfolglosen Bewerbung einen Anspruch auf Entschädigung oder Schadensersatz zu erhalten.
Dafür, dass der Kläger im konkreten Fall nur scheinbar als Bewerber im Sinne des AGG auftreten wolle, sprachen nach Ansicht des Gerichts gleich mehrere Indizien:
- Fehlende Umzugswilligkeit, die aus der in sich widersprüchlichen Formulierung im Bewerbungsanschreiben abgeleitet wurde.
- Fehlende Verknüpfung der genannten Qualifikationen als Industriekaufmann mit dem Stellenprofil als „Sekretärin“.
- Fragliche zeitliche Kapazitäten des Klägers für eine Vollzeitbeschäftigung neben seinem Fernstudium.
- Starker Verdacht einer bloßen Scheinbewerbung aufgrund der Geltendmachung zahlreicher Entschädigungsansprüche im Vorfeld.
Folgen der Entscheidung
In das arbeitsrechtliche „Minenfeld“ AGG sind bereits viele Arbeitgeber getreten, wenn sie sich mit seriösen Bewerbungen auseinandersetzen mussten. Für zusätzliche Probleme und finanzielle Risiken auf Unternehmensseite sorgen Scheinbewerber, sog. „AGG-Hopper“, die die Arbeitsgerichte regelmäßig beschäftigen. Die vorliegende Entscheidung fügt sich jedoch in die jüngere Kasuistik des BAG ein, nach der Arbeitgebern zur Abwehr solcher Klagen zumindest in eindeutigen Fällen der Einwand des Rechtsmissbrauchs an die Hand gegeben wird (vgl. schon BAG v. 25.10.2018, Az.: 8 AZR 562/16).
Hinweise für die Praxis
Es ist zu begrüßen, dass das BAG erneut zahlreiche Indizien aufarbeitet, mit denen der Einwand des Rechtsmissbrauchs näher begründet werden kann. Arbeitgeber sind jedoch weiterhin gut beraten, bei Stellenausschreibungen insbesondere geschlechtsneutrale Formulierungen (z.B. „w/m/d“) zu verwenden. Denn weiterhin dürfte dem Entschädigungsverlangen des erfolglosen Bewerbers bei (vermuteter) Ungleichbehandlung nur in Ausnahmefällen der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengesetzt werden: So sind etwa die fehlende Beifügung von Zeugnissen oder grammatikalische/orthographische Fehler im Bewerbungsanschreiben grundsätzlich keine Indizien für einen fehlenden Bewerbungswillen.






