OLG Düsseldorf vom 27. Juli 2023 – I-12 U 59/22
Fakten: Das OLG Düsseldorf („OLG“) hat sich erstmalig in einer Hauptsacheentscheidung zu den Grundsätzen der Fortführungsprognose im Rahmen der Prüfung der Überschuldung als Insolvenzgrund bei Start-ups geäußert.
Eine Gesellschaft ist im Sinne der Insolvenzordnung überschuldet und damit ihre Geschäftsleitung insolvenzantragspflichtig, wenn das Vermögen der Schuldnerin die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist in den nächsten zwölf Monaten überwiegend wahrscheinlich (sog. Fortführungsprognose).
In dem Verfahren vor dem OLG machte der Insolvenzverwalter Zahlungsansprüche gegen den Geschäftsführer der insolventen Schuldnerin geltend, weil dieser nach seiner Ansicht trotz Eintritt der Überschuldung weiterhin Zahlungen geleistet habe. Streitentscheidend war damit der Zeitpunkt des Eintritts der Überschuldung.
Entscheidung: Dem Grunde nach bejaht das OLG den Zahlungsanspruch gegen den Geschäftsführer. Gleichwohl führt das Gericht weiter aus, dass bei der Prüfung der Überschuldung eines Start-ups nicht die vom Bundesgerichtshof festgestellten Grundsätze für die Fortführungsprognose Anwendung fänden und es insbesondere nicht auf die Ertragsfähigkeit des Start-ups aus seiner operativen Tätigkeit ankommen dürfe. Vielmehr müsse auch der Mittelzufluss durch Dritte, etwa Investoren, bei der Aufstellung der Fortführungsprognose berücksichtigt werden, wenn dieser überwiegend wahrscheinlich sei. Start-ups seien naturgemäß in der Anfangsphase ihrer unternehmerischen Tätigkeit nicht aus eigener Kraft ertragsfähig. Aufgrund operativer Geschäftschancen sei die fehlende Ertragskraft möglicherweise aber nicht auf Dauer ausgeschlossen. Deswegen müsse im Rahmen der Fortführungsprognose rein auf die Zahlungsfähigkeit abgestellt werden, was die Gewährung von fremdfinanzierten Mitteln einschließe.
Folgen der Entscheidung: Das OLG hebt hervor, dass im Rahmen der Fortführungsprognose bei Start-ups, die im Wesentlichen eine „Zahlungsfähigkeitsprognose“ darstellt, sowohl die Eigenfinanzierung als auch die Fremdfinanzierung berücksichtigt werden müssen. Dass dies eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darstellen soll, erscheint verwunderlich, da auch diese eine Konzentration der Prüfung auf die Eigenfinanzierung nicht vorsieht.
Entscheidender für die Praxis der Start-ups sind daher die Ausführungen dazu, welche inhaltlichen Anforderungen an die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Zuflusses solcher Drittmittel zu stellen sind. Hierzu führt das OLG aus, dass zur Berücksichtigung von Finanzierungszusagen eines Investors diesem eine nachvollziehbare und realistische Finanzplanung mit einem Konzept vorgelegen haben müsse, welches die geplante Etablierung der Geschäftsidee des Start-ups als erfolgsversprechend habe darstellen lassen, und der Investor seine Finanzierungszusage hiervon abhängig gemacht habe.
Nicht ausreichend sei hingegen die Zusage des Investors, dass er das Unternehmen weiterhin finanziell unterstütze, solange er an die Geschäftsidee glaube.
Hinweise für die Praxis: Start-ups, bei denen eine Finanzierungszusage für das operative Fortbestehen überlebenswichtig ist, sollten eine hinreichend wahrscheinliche Finanzierungszusage eines Investors nachweisen können. Damit eine solche Finanzierungszusage für die Begründung der positiven Fortführungsprognose herangezogen werden kann, sollte das Start-up von Anfang an eine nachvollziehbare Finanzplanung in enger Abstimmung mit den (potenziellen) Investoren erstellen und die Maßgeblichkeit dieser Planung für deren Finanzierungszusage dokumentieren. Im Übrigen bleibt zu beachten, dass die Rechtsprechung des OLG bisher noch keine höchstrichterliche Bestätigung gefunden hat, sodass bei der Heranziehung „weicher“ Finanzierungszusagen zur Begründung der Fortführungsprognose weiterhin Vorsicht geboten ist.