Viele Selbstständige, die von den mittelbaren und unmittelbaren Folgen der Corona-Pandemie betroffen sind und waren, konnten zwischenzeitlich dringend notwendige, ambulante Maßnahmen einleiten, um den Fortbestand ihres Unternehmens zu sichern. Ein arbeitsrechtliches Werkzeug, welches seitdem den Alltag vieler Betriebe prägt, ist die Kurzarbeit. Auch wenn Kurzarbeit die Reduzierung oder gar Vermeidung von Lohnkosten ermöglicht und hierdurch die betrieblichen Ausgaben effektiv beschnitten werden können, geraten zunehmend Detailfragen der arbeitsrechtlichen Beratung in den Vordergrund. Sie zeigen, dass sich Unternehmer damit beschäftigen, wie es nach der Pandemie weitergehen soll. Dieser Beitrag widmet sich der für die Zukunft bedeutsamen Frage, ob Arbeitnehmer trotz lang andauernder Kurzarbeitsphasen noch den vollen Jahresurlaub für sich in Anspruch nehmen können.
Die Entstehung des Urlaubs
Die meisten Arbeitnehmer kennen Urlaub als den Volljahresurlaubsanspruch. Er entsteht in bestimmter Höhe zum Anfang des Jahres und kann hiernach weitgehend selbstbestimmt genommen werden. Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie und Art. 31 der Grundrechtecharta, gleichsam die Rechtsquellen des europäischen Urlaubsrechts, gehen dagegen von einem anderen Grundsatz aus. Zu Beginn des Jahres hat der Arbeitnehmer erstmal nur eines: Die Aussicht, dass sich sein Urlaubsanspruch im Laufe der Zeit mehrt.
Der „Volljahresurlaubsvorschuss“, wie ihn der deutsche Arbeitnehmer kennt, ist dem EuGH fremd. Tatsächlich behandelt dieser das Thema Urlaub viel eher als geldwerten Anspruch als es deutsche Gerichte lange getan haben. Vergleichbar mit dem Lohnanspruch, den sich der Arbeitnehmer Monat für Monat verdient, entsteht der Urlaubsanspruch nach Zeitabschnitten parallel zur bestehenden Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers („korrespondierende Arbeitspflicht“).
Die Entstehung nach Zeitabschnitten ist übrigens nicht zu verwechseln mit einem Erarbeiten des Urlaubsanspruches. Urlaub entsteht auch für solche Arbeitnehmer, welche arbeitsunfähig krank sind oder ihrer Arbeit sonst nicht nachkommen können. Urlaub entsteht jedoch nach Verständnis des EuGH dann nicht, wenn keine Arbeitsverpflichtung besteht – beispielsweise bei Kurzarbeit Null.
Zusammengefasst ist der Erholungsurlaub
- ein geldwerter Anspruch, zusammengesetzt als Vergütung und Freistellung,
- dient der Erholung des Arbeitnehmers,
- entsteht abschnittsweise im Laufe des Jahres,
- ist abhängig von einer grundsätzlich bestehenden Arbeitspflicht und
- bleibt dem Arbeitnehmer als „verdienter“ Wert erhalten.
Urlaub und Kurzarbeit
Die dargestellten Grundsätze lassen sich an einer aktuellen Entscheidung des LAG Hamm (30.08.2017 – 5 Sa 626/17) zum Thema Kurzarbeit praktisch konkretisieren.
In dem entschiedenen Fall regelte ein Sozialplan, dass Arbeitnehmern, die von der Arbeitsverpflichtung freigestellt wurden und denen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Transferkurzarbeitergeld gezahlt wurde, keine Urlaubsansprüche zustünden. Zutreffend zieht es hierbei den Vergleich zur Rechtsprechung des EuGH, welcher bereits im Vorfeld zu dem Schluss kam, dass bei einem vollen Jahr Kurzarbeit Null auch keine Urlaubsansprüche entstünden.
Die weitere Argumentation, wonach es sich bei dem Sozialplan um eine sozialpolitische Maßnahme handle, welche für den Kläger eine nützliche Institution darstelle, lässt sich hervorragend auf die gegenwärtige Situation rund um Corona übertragen. Auch hier stellt sich die Einführung von Kurzarbeit Null unter Gewährung des Kurzarbeitergeldes als eine nützliche Institution dar. Immerhin können auf diesem Wege viele Arbeitsplätze gerettet werden, welche sonst womöglich einer betriebsbedingten Kündigung zum Opfer gefallen wären.
Erfreulicherweise grenzt das Gericht darüber hinaus Fälle der Kurzarbeit Null vom ruhenden Arbeitsverhältnis ab, bei welchen das BAG noch in ausdrücklicher Abweichung vom EuGH die Entstehung von Urlaubsansprüchen bejaht hat. Richtigerweise konstatiert das LAG Hamm an dieser Stelle, dass die Arbeitsverpflichtung bei Kurzarbeit Null gerade nicht fortbesteht und das die Entstehung von Urlaubsansprüchen hindere.
Vor diesem Hintergrund ist leider der weitergehende (zugegebenermaßen nur vorsichtig angedeutete) Schluss des LAG Hamm, wonach bei solchen Phasen von Kurzarbeit Null, welche nur Teile des Bezugszeitraumes betreffen und nicht das gesamte Jahr, wiederum der gesamte Mindestjahresurlaub entstehen dürfte, wenig konsequent und noch weniger überzeugend. Das gilt umso mehr, als dass das Gericht an dieser Stelle selbst verkennt, dass Kürzung und Entstehung des Urlaubes zwei zu unterscheidende Begrifflichkeiten sind.
Rechtsfolge und Handlungsempfehlung
Unter Berücksichtigung der klaren Vorgaben des EuGH, wonach Urlaubsansprüche parallel zur korrespondierenden Arbeitsverpflichtung entstehen, sollte wie folgt vorgegangen werden: Der Gesamtjahresurlaubsanspruch – gehen wir einmal von 24 Tagen auf Grundlage einer 5-Tages-Woche aus – beinhaltet, dass für jedes Quartal des Jahres 6 und für jeden Monat 2 Urlaubstage für den Arbeitnehmer neu entstehen. Soweit für einen Betrieb oder auch einzelne Mitarbeiter über einen Zeitraum von beispielsweise zwei Monaten Kurzarbeit Null angeordnet wurde, bedeutet das, dass insgesamt vier Urlaubstage aufgrund fehlender, korrespondierender Arbeitsverpflichtung nicht zur Entstehung gelangt sind.
Eine weitergehende, gesetzliche oder vertragliche Regelung hierzu dürfte man vor dem Hintergrund, dass diese Rechtsfolge einfacher Ausfluss des pro-rata-temporis-Grundsatzes ist, nicht benötigen.